Scham

Aus aip-lexikon.com
Zur Navigation springenZur Suche springen

Keyword: Scham

Links: > Ethik > Ideal-Ich > Minderwertigkeitsgefühl > Moral > Narzissmus > Schuldgefühl > Selbstwertgefühl > Stimme, innere > Über-Ich]

Definition: Scham (abgeleitet aus der indogermanischen Wurzel kam/kem: zudecken, verbergen) ist eine dem Menschen angeborene > Emotion, die sich erst ca. 6 bis 8 Monate nach der Geburt erstmals manifestiert. (vgl. Tomkins, 1963) Scham steht dem > Schuldgefühl (> Urschuld) sehr nahe und wird oft damit verwechselt. Schuldgefühl entsteht vor allem aus Handlungen oder Unterlassungen, und aus Vorstellungen, vor anderen oder vor sich selbst als schlechter Mensch abgestempelt zu werden. Meistens ist Wiedergutmachung möglich. Scham hingegen hat die Tendenz, den Menschen in seiner > Ganzheit zu erniedrigen, wobei sie nicht notwendigerweise in Folge einer beabsichtigten Handlung auftreten muss. Es gibt auch Schamreaktionen infolge körperlicher Mängel oder Erniedrigungserlebnissen aller Art. Als Reaktion darauf möchte man "in den Boden versinken", d. h. unsichtbar werden. Scham bedeutet also letztlich das Gefühl, das Gesicht oder das Ansehen verloren zu haben - vor einem selber und vor der Welt. Schamgefühle haben eine wichtige sozialpsychologische Bedeutung (> Kollektiv), dienen sie doch weitgehend der Regulierung menschlichen Zusammenlebens. Ungehemmte Schamlosigkeit, d. h Übertretung einer kollektiv "vereinbarten" Schamschwelle, kann nicht geduldet werden, sie wird deshalb gesellschaftlich sanktioniert, was für die Betreffenden mit Herabminderung ihres Ansehens einhergeht.

Information: Schon Aristoteles hat zwei Arten von Scham unterschieden: Schamgefühl bei Verstoß gegenüber der allgemeinen Auffassung, also gesellschaftlicher Normen und Schamgefühl bei Verstoß gegenüber der reinen Wahrheit, also etwa aus Angst nicht zur eigenen wahren Überzeugung zu stehen. Diese beiden Arten können zueinander im Konflikt stehen. (Vgl. Jacoby, 1991, S. 48f) Auf einen gemeinsamen Nenner gebracht, könnte die Scham als "Hüterin unserer menschlichen Würde" bezeichnet werden. Sie versucht, den Menschen vor "entwürdigenden" Situationen zurückzuhalten, schmerzliche Signale zu vermitteln, wann immer Entwürdigendes stattfindet. Das Problem liegt allerdings darin, dass die Gegebenheiten, die im Einzelnen als "würdig" bewertet werden, und die Schaltstelle, an welcher jeweils Scham die Grenze zum Würdelosen setzt, äußerst variabel sind, besteht doch stets Verknüpfung mit der entsprechenden gesellschaftlichen, familiären und persönlichen Werthierarchie. In der therapeutischen Praxis spielt das Leiden unter Schamanfälligkeit eine sehr große Rolle. Therapie muss als Ziel eine Stärkung des Selbstwertgefühls, der Selbstoleranz und gegebenenfalls eine Differenzierung des persönlichen Gefühls eigener Würde ins Auge fassen.

Keine

Literatur: Jacoby, M. (1985): Individuation und Narzissmus; Jacoby, M. (1991): Scham-Angst und Selbstwertgefühl.

Autor: M. Jacoby