Gruppenpsychotherapie: Unterschied zwischen den Versionen
de>Anlumue K (1 Version importiert) |
Lutz (Diskussion | Beiträge) K (1 Version importiert) |
(kein Unterschied)
|
Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Gruppenpsychotherapie
Links: > Beziehung > Gesellschaft > Gestaltungstherapie > Katathym imaginative Psychotherapie > Kollektiv > Kollektivpsyche > Mythodrama > Psychodrama
Definition: Die relativ wenigen, vonseiten der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) vorliegenden Arbeiten zur Gruppenpsychotherapie beziehen sich meist auf die unbewusst-symbolische Ebene des Gruppenprozesses, wobei Bilder (> Bild), Gestaltungen, Imaginationen (> Imagination), Träume (> Traum], Fantasien (> Fantasie) der Gruppenteilnehmer die empirischen Daten hierzu liefern. Die zurückhaltende Einstellung der Analytischen Psychologie gegenüber der therapeutischen Gruppenarbeit spiegelt sich in der Auffassung C. G. Jungs, dass die Gruppenpsychotherapie vor allem soziale Anpassungsprozesse bewirke und eher von einer Schwächung der > Individuation, d. h. von einer Verhinderung der > Individualität auszugehen sei (> Gesellschaft > Kollektiv > Kollektivpsyche). Die Analytische Psychologie betont aber neben den negativen auch die positiven Aspekte der Gruppe. E. Neumann (1949 a) und P. E. Slater (1970) haben die mythologischen Motive, die sich in der Gruppenentwicklung analog der Bewusstseinsentwicklung des Einzelnen zeigen, dargestellt und einen wichtigen Beitrag zum symbolischen Verständnis des Gruppenprozesses geliefert.
Information: Einig sind sich verschiedene Autoren der Analytischen Gruppentherapie in der Bedeutung des Mutterarchetyps (> Mutterarchetyp) für den Gruppenprozess (Battegay, 1974; Bion, 1971; Heigl-Evers, 1978). Die Einbettung in ein Kollektiv wird aus der Sicht der Analytischen Psychologie nicht nur als regressives Phänomen, im Sinne der Wiederherstellung präödipaler Abhängigkeit und Geborgenheit, analog zu den frühen Entwicklungsstufen der Mutter-Kind-Dyade verstanden, sondern die archetypische Erfahrung der Gruppe ermöglicht es dem Einzelnen, sich erneut der „Großen Mutter“ (> Mutter, Große) zuzuwenden, sich gegebenenfalls eine Zeit lang von ihr versorgen und tragen zu lassen. Damit bietet sich die Möglichkeit der Wiederherstellung einer gestörten > Urbeziehung in der Gruppe. Um diese positiven archetypischen Erfahrungen erleben zu können, muss sich die Gruppe zunächst frühen Zerfalls- und Trennungsängsten aussetzen, die gerade in einer Analytischen Gruppensituation mit ihrer Minimalstrukturierung, dem Fehlen vorgegebener Themen sowie der neutralen Haltung und > Abstinenz des Leiters zu einer „milden Traumatisierung“ bzw. “chaotischen Stufe“ (vgl. Finger-Trescher, 1984; Usandivaras, 1989) in der Initialphase führt. Die Gruppe repräsentiert also nicht nur Schutz und Geborgenheit im Sinne einer Guten Mutter, sondern sie provoziert auch frühe Trennungs- und Zerfallsängste in Gestalt des negativen Pols des Mutterarchetyps. In der empirischen Gruppenpsychotherapieforschung lässt sich der Wirkfaktor der Abhängigkeit, als Repräsentanz des positiven Aspekts des Mutterarchetyps, in Beziehung zum wesentlichen Wirkfaktor der Kohäsion bringen, wobei die Entwicklung einer hohen Kohäsion in der Gruppentherapie die konstruktive Bearbeitung der, mit der Abhängigkeit einhergehenden, Enttäuschungsaggression voraussetzt (vgl. Tschuschke, 1997; Yalom, 1996).
Über die zentrale Funktion des Leiters in der Analytischen Gruppe herrscht in der Literatur Übereinstimmung. Jungs zentrale konzeptionelle Vorstellungen des psychischen Systems (> Polarität) > Selbstregulation > Komplexität) lassen sich auch auf die therapeutische Gruppe als ein System mit komplexen intra-und interaktiven Prozessen beziehen. Die Gruppe stellt einen archetypischen Wirkfaktor dar (> Archetyp), wobei die Gruppe das > Selbst bzw. die > Ganzheit als archetypisches Geschehen symbolisch auszudrücken vermag. Die Selbstinstanz als übergeordnete und final wirkende Instanz der Psyche konstelliert sich auch im analytischen Prozess einer Gruppe. Die > Ritualisierung der Gruppe (zeitlich festgelegte Wiederholung der Sitzungen, Schweigepflicht nach außen, klare Grenzen) fördert die Konstellierung dieses zentralen Wirkfaktors. Dem Leiter kommt dabei, als Repräsentanz des Vaterarchetyps (> Vaterarchetyp), vor allem im Anfangsstadium die Funktion zu, die Gruppenidentität zu sichern, Arbeitsnormen der Gruppe zu implantieren und den Bewusstseinsprozess durch die konstellierte Trennung von Leiter und Gruppe zu unterstützen (vgl. Slater, 1974). Er repräsentiert zunächst die unbewusste psychische Ganzheit des Kollektivs, welches zugleich Gruppenselbst wie individuelles Selbst ist. Die anschließende Revolte gegen den Leiter, von Freud als ursprüngliche religiöse Fantasie beschrieben, der „Vatermord“, führt zur Emanzipation von diesem und zur Einverleibung seines Wissens und Macht in einem Prozess der Identifikation. Entsprechend der von Jung herausgehobenen Gleichwertigkeit des archetypischen Gegensatzpaars Individuum und > Kollektiv (vgl. Jung, GW 16, § 1) bietet gerade das Analytische > Setting mit seiner Minimalstrukturierung und Dispensierung alltäglicher Normen eine günstige Möglichkeit, sich im Spannungsfeld zwischen Individuum und Kollektiv von der Gefahr der > Identifizierung mit einem Pol zu befreien. Die Gruppe bildet die positive Matrix, aus der heraus der Beziehungsaspekt der Individuation gefördert werden kann, wobei offen bleiben muss, ob die Begegnung mit der Ganzheit und Transzendenz, der religiösen Erfahrung in der Gruppe, einem größeren Ganzen anzugehören, wirklich im Gruppenprozess stattfinden kann (vgl. Zinkin, 1989). Auf jeden Fall ist in der Analytischen Gruppe eine differenzierte Auseinandersetzung mit zentralen Aspekten der > Individuation, z. B. mit dem matriarchalen und patriarchalen Archetyp (> Bewusstsein, matriarchales > Bewusstsein, patriarchales > Matriarchat > Patriarchat) der > Persona, dem > Schatten („Sündenbock“), der psychischen Polarität (> Anima/Animus: Klassische Auffassung), einer Vielzahl grundlegender Konflikt- und Komplexbereiche sowie die existenzielle Erfahrung des Todes möglich. Verschiedene Autoren sehen in der Gruppe einen therapeutischen Wirkfaktor mit archetypischer Qualität sui generis (Kleespies, 1995; Roser, 1999). Die Konzepte der Analytischen Psychologie werden auch in vielerlei Therapieformen übernommen, die mit Gruppen arbeiten.
Literatur: Kutter, P. (Hrsg.) (1985): Methoden und Theorien der Gruppenpsychotherapie; Yalom, I. D. (1996): Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie.
Autor: M. Roser