Leib-Psychotherapie/Psychoenergetik: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Leib-Psychotherapie/Psychoenergetik

Links: > Aufmerksamkeit, gleichschwebende > Energie > Focusing > Körper > Körperpsychotherapie > Körpersprache > Libidio > Prozessorientierte Psychologie

Definition: Die Leib-Psychotherapie (> Körper > Körperbild) - früher Psychoenergetik, (> Energie) - ist eine von P. Schellenbaum entwickelte Methode der Tiefenpsychologie und Psychotherapie, die ganz unterschiedliche Gesprächs- und Körpertherapien integriert. Der Ausgangspunkt der Leib-Psychotherapie ist die Wahrnehmung des Leibes, d. h. des menschlichen Gesamtorganismus, in dem > Psyche, > Geist und Körper als verschiedene Arten der Selbstwahrnehmung im Ganzen der Welt zusammenspielen. Die Leib-Psychotherapie vertraut den Lebensimpulsen des "spürbewussten" Menschen und kann deshalb weitgehend auf direktive Interventionen verzichten. Der menschliche Leib ist weise. Es geht darum, möglichst viele seiner Sprachen zu lernen, um seine Weisheit zu nutzen. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine sinnvolle Konvergenz der verschiedenen Formen von Psychotherapie anzustreben.

Information: Sieben Grundzüge sind dabei essenziell:

1. Spürbewusstsein: In Bezug auf die Inhalte des Denkens, Fühlens, Intuierens und Empfindens (> Orientierungsfunktionen) berücksichtigt die Leib-Psychotherapie nicht nur das reflexive, beobachtende, also eine gewisse Distanz benötigende Bewusstsein, sondern vorgängig zu diesem das Spürbewusstsein: das von innen heraus unmittelbare, wache und differenzierte, sowohl körperliche als auch emotionale Spüren, das in keinerlei Distanz zu sich selber steht. In Bezug auf einen bestimmten emotional geladenen Inhalt entwickelt es sich oft in drei Schritten: Im Übergang von einem noch ängstlich abwartenden, sich distanzierenden und beobachtenden Bewusstsein zu einem wachen und sensiblen, die Angst der Annäherung überwindenden Spürbewusstsein melden sich zunächst Emotionen (> Emotion), die weniger mit der gegenwärtigen Lebenssituation als mit einem vergangenen, noch ungelösten und erlebnishaft weitgehend unbewussten Konflikt zu tun haben. Sie werden zunächst beschrieben. Der zweite Schritt konzentriert sich auf die präzise Beschreibung der damit verbundenen stärksten körperlichen Empfindung. Dank der Konkretheit und Unmittelbarkeit körperlichen Empfindens gelangt der Patient dadurch in die Gegenwart. Im dritten Schritt geht es um die Beschreibung des momentanen Gefühls, das sich meist von der im ersten Schritt geäußerten Emotion durch seinen größeren Realitätsbezug, seine flüssige Beweglichkeit und seine Grundstimmung deutlich unterscheidet. Spürbewusstsein bewirkt nicht Konzentration auf einen einzigen Punkt wie das reflexive Bewusstsein, sondern flexible Zentrierung in einem Punkt, der sich im Zusammenhang mit dem Gesamtorganismus und auch der Mit-Welt erfährt. Auch besteht in ihm kein Gegensatz mehr zwischen der Empfindung und der Intuition. Letztlich ist jedes schöpferische auch ein spürendes Bewusstsein.

2. Energiesignale: Die Leib-Psychotherapie folgt dem Fluss der Energiesignale, die nicht nur Erinnerungen, Fantasien, Einfälle und Bilder, sondern zusätzlich auch spontane Selbstberührungen, Bewegungsimpulse, Gebärden, Haltungsveränderungen, körperliche Empfindungen, geladene Worte und Sätze beinhalten, also alles, womit der Mensch sich ausdrückt. Ein Energiesignal bedeutet einen, in eine neue Richtung weisenden, spontanen Lebensimpuls. Es ist zunächst spürunbewusst und geschieht wie nebenbei. Deshalb bedarf es zu seiner Wahrnehmung meist der Mitteilung des Therapeuten an den Patienten. Ein Energiesignal ist ein Wachstumsimpuls aus den Ressourcen des kollektiven Unbewussten (> Unbewusstes, kollektives) - vermischt mit einer Anti-Tendenz, das ist ein durch komplexhafte Fixierung in einem Inhalt des Persönlichen Unbewussten entstandener Wiederholungszwang (> Wiederholung/Wiederholungszwang). Durch > Resonanz kann es dem Therapeuten gelingen, sich in Verbindung mit der Entwicklungstendenz, im Energiesignal des Patienten, zu setzen. Jedes Energiesignal zielt auf die Entwicklung des ganzen Menschen ab, (> Ganzheit) und es verweist auf ein noch Unbekanntes und Ungelebtes. (> Funktion, transzendente > Symbol)

3. Resonanz: Die spürbewusste Resonanz bezieht sich auf den aktuell im Patienten am stärksten aktivierten Entwicklungsimpuls, also auf ein Energiesignal. Der Therapeut beginnt das zu spüren, was der Patient in sich noch nicht spürt. Das Fehlen eben dieser Verbundenheit an einem kritischen Punkt der Selbstwerdung (> Individuation > Individuationsprozess) v. a. in der Kindheit (> Kindheit/Kindheitsphasen) und vonseiten seiner frühen Bezugspersonen (> Ich, integrales > Ich-SeIch-selbst-Achse-Ich > Urbeziehung) hat bisher seine Entwicklung gehemmt. Die Folge davon ist die unbewusste Wiederholung der stets gleichen Selbstunterbrechung. Der Fluss seiner Lebensenergie blieb an derselben "Energieklippe" stecken.

4. Leichte, wache Trance: Im spürbewussten Erleben eines kritischen Übergangs gerät der Patient in einen tranceähnlichen Zustand, (> Bewusstseinszustände, veränderte) der aber nicht mit Hypnose gleichzusetzen ist.

5. Leere: Die spürbewusste Trance führt in einen Zustand von Leere, wie er auch in Zeugnissen der > Mystik (> Philosophie, östliche) beschrieben wird. Die Fixierung in alten Mustern des Empfindens, Fühlens, Denkens und Handelns fällt weg, und noch gibt es keine neuen Muster, die an die Stelle der alten treten könnten. Es ist der Schwebe- und Schwellenzustand zwischen Vergangenem und Zukünftigen, die schöpferische Pause. Ohne das aktive Zulassen solcher Leere gibt es keine wirkliche Lösung eines Konflikts, keine authentische Neuorientierung. (> Kreativität, Phasen der) Es braucht das Nichts, damit sich vielleicht Schöpfung (> Kreativität > Schöpferisches) ereignen kann. Sich dem wertfreien Zustand schöpferischer Leere, dem leeren Unbewussten, auszusetzen ist ein Hauptanliegen der Leib-Psychotherapie. Er ermöglicht den Übergang in neue, stimmigere Muster und Werte. Mit dem Begriff des leeren Unbewussten soll eine fundamentalere Kategorie des Unbewussten als das persönliche und das kollektive Unbewusste eingeführt werden und damit auf die radikal schöpferische Eigenart dieses Entwicklungsschrittes hingewiesen werden.

6. Spontanritual: Darunter versteht die Leib-Psychotherapie den situativ und individuell stimmigen Prozess in einem existenziellen Übergang, der durch das eigene Spürbewusstsein und resonante, nicht direktive Begleitung im Folgen der Energiesignale gefördert wird. Dank dem Durchleben sich spontan meldender archetypischer Entwicklungsmuster hat dieser Prozess rituellen Charakter. Spontanrituale im engeren Sinne sind nur in seltenen, kritischen Lebenssituationen angezeigt, in denen es um existenzielle Entscheidungen geht. Doch gibt es im weiteren Sinne thematisch begrenztere, "alltäglichere" Spontanrituale, die in jeder therapeutischen Sitzung auf der Basis von Spürbewusstsein, Resonanz und Energiesignalen stattfinden können. Sie können auch Ausdrucksimprovisationen oder Leibfantasien genannt werden.

7. Der archetypische (> Archetyp) Kern, sein Archetyp-Komplex und dessen "Freischälung" in der Leib-Psychotherapie: Jeder Komplex ist auch mit einer körperlichen Verspannung oder Verkrampfung, einer sich nicht oder nur mangelhaft in die Entspannung hinein lösenden Anspannung, gekoppelt. Der Leib-Psychotherapie geht es in ihrer Arbeit mit den Komplexen um die teilweise Verflüssigung und Verfügbarmachung der im Komplex fixierten, gefangenen Lebensenergie, auf dem Weg eines sich verdichtenden Spürbewusstseins. Die begreifende und deutende Reflexion kommt erst an zweiter Stelle und dient dem Verständnis des Erlebten innerhalb des eigenen biografischen Zusammenhangs. Die Befreiung des archetypischen Kerns aus dem Komplex zeigt sich darin, dass dank der Spürbewusstwerdung die zum Komplex passende archetypische, in der menschlichen Anlage liegende Ressource aktiviert wird, so z. B. die Fähigkeit aus dem Mutterkomplex, sich selber Mutter zu sein, im Gegensatz zur bisherigen Bedürftigkeit und Anspruchshaltung.

Literatur: Schellenbaum, P. (1994): Nimm deine Couch und geh; Schellenbaum, P. (2000): Träum dich wach.

Autor: P. Schellenbaum