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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Familientherapie
Links: > Eltern > Familie > Kindheit/Kindheitsphasen > Kindarchetyp > Mutter > Mutterarchetyp > Mutter, Große > Vater > Vaterarchetyp > Vater, Großer
Definition: Familientherapie (> Familie) nimmt nicht primär die innerseelischen Konflikte eines Individuums in den Fokus und bearbeitet sie, sondern die zwischenmenschlichen Konflikte, Bindungen und Interaktionen einer „Mehrgenerationen-Lebensgemeinschaft“. Familientherapeutische Ansätze gehen davon aus, dass nicht nur ein Einzelner, der „Symptomträger“, gestört ist, sondern vor allem auch die Interaktionen und Beziehungen des sozialen Systems, in das er eingebettet ist.
Information: Die Familientherapie wurzelt in unterschiedlichen theoretischen und therapeutischen Theorien und Techniken, prägend sind vor allem die Kommunikations- und Interaktionstheorie, der > Konstruktivismus, die Kybernetik und die daraus sich entwickelnden systemischen Ansätze (> Systemtheorie) und Betrachtungsweisen sowie die > Psychoanalyse. Entscheidende Anstöße für die Paar- und Familientherapie kamen von sozialkritischen und sozialtherapeutisch arbeitenden Psychiatern, Psychologen und von, in sozialen Bereichen arbeitenden, Therapeuten und Beratern vor allem in den USA. Aus ihrer Beobachtung, dass in therapeutisch schwer zugänglichen Bereichen wie Sucht, Psychosen (> Psychose) und schweren Störungen und Delinquenz ihre therapeutische Arbeit Fortschritte macht, wenn das familiäre und soziale Umfeld in Gespräche mit einbezogen werden kann, entwickeln sich bald unterschiedliche Ansätze und Schwerpunkte. Der amerikanische Psychiater H. S. Sullivan setzt sich in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts stark für die Ergänzung der klassischen, am Einzelnen orientierten, Psychiatrie durch eine Betrachtung der interpersonellen Perspektive ein. Vom „Patient Familie“ spricht H. E. Richter, der neben H. Stierlin, T. Bauriedl, J. Willi u. a. seit den 60er Jahren eine psychoanalytisch ausgerichtete Familientherapie im deutschen Sprachraum geprägt hat. Innerhalb der Humanistischen Psychologie (> Humanistische Psychologie) entsteht in den 80ern die Entwicklungsorientierte Familientherapie (V. Satir und C. Whitacker). Ausgehend von der Kommunikationstheorie (G. Bateson, P. Watzlawick u. a.), der Kybernetik, dem systemischen Denken und der Hypno-Therapie (M. Erickson) entwickelt J. Haley die Strategische Familientherapie (etwa ab 1963). Ebenfalls, auf der Basis systemischen Denkens, entsteht seit etwa 1967 die Strukturelle Familientherapie aus der Arbeit von S. Minuchin mit verhaltensgestörten Kindern aus sozial unteren Schichten. Auch in der Verhaltenstherapie werden seit Ende der 80er Jahre familientherapeutische Ansätze und Methoden, ebenfalls unter Einbezug der systemischen Sichtweisen und Gedanken, entwickelt.
In der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) sind bisher keine eigenen familientherapeutischen Ansätze systematisch ausgearbeitet worden. Wie alle tiefenpsychologischen und Analytischen Ansätze geht sie aber davon aus, dass jedes Individuum in seiner Entwicklung wesentlich durch die positive oder negativ getönte familiäre Atmosphäre, die familiären Belastungen und Konflikte, die familiären Beziehungen und Interaktionen und deren Störungen, die Persönlichkeit der > Eltern und anderer Bezugspersonen beeinflusst wird und dass jeder Einzelne umgekehrt auch auf sein Umfeld und die ihn umgebenden Menschen einwirkt. C. G. Jung ist der Überzeugung gewesen, dass durch die > Participation mystique – die unbewusste Identität zwischen Kind und Eltern – das Kind die Konflikte der Eltern fühlen und auch daran leiden kann, als ob sie seine eigenen seien. Jungs Zurückhaltung gegenüber einer Kindertherapie (> Kinderpsychotherapie, analytische: Praxis) basierte auf dieser Auffassung und er betonte hingegen die Notwendigkeit einer „Erziehung der Erzieher“.
Einen wichtigen Beitrag zum familientherapeutischen Ansatz könnte die archetypische Perspektive der Analytischen Psychologie bieten, denn nach ihrem Konzept werden die inneren psychischen Mutter-Vater-Familien-Repräsentanzen des Kindes nicht nur von der realen Mutter und dem realen Vater bzw. entsprechenden mütterlichen und väterlichen Bezugspersonen geprägt, sondern ebenso vom Mutter- und Vaterarchetypus (> Mutterarchtyp >Vaterarchetyp). Da das individuelle Ich-Bewusstsein in der frühen Kindheit zunächst noch nicht stark entwickelt ist, erlebt das Kind die Eltern oft weniger individuell und mehr archetypisch überhöht. Auch wenn sich dann im Laufe der seelischen Entwicklung und der fortwährenden Separations-Individuations-Prozesse relativ realistische Objektrepräsentanzen (> Objektrepräsentanz) gebildet haben, bleiben die ursprünglichen, archetypisch gefärbten Bilder von Mutter und Vater doch lange Zeit wirksam und beeinflussen die > Identität, die Beziehungen zu Partnern und die Gestaltung der eigenen Elternschaft in hohem Maße. Insofern müssten diese archetypischen Faktoren als bestimmende und organisierende Größen in die familientherapeutischen Interventionen immer mit einbezogen werden.
Literatur: Schneider, K. (1983): Familientherapie in der Sicht psychotherapeutischer Schulen.
Autor: A. Müller