Neid: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Neid
Links: > Affekt > Ärger > Emotion > Hass > Minderwertigkeitsgefühl > Selbstwertgefühl
Definition: Neid ist eine Emotion, mit der ein Mensch reagiert, wenn ein anderer etwas hat, was ihm wertvoll erscheint, sein Begehren weckt, was er vermeintlich oder faktisch nicht haben kann, von dem er aber glaubt, es zur eigenen Befriedigung haben zu müssen. Man spürt einen Stich oder ein lang anhaltendes hinergründiges Gefühl von Missbehagen, Ärger, > Trauer, Verzweiflung. Man bewertet sich zumindest unbewusst dem fraglichen Wert gegenüber als inferior, unterlegen, unfähig, bei einer gleichzeitigen inneren, zwingenden Verpflichtung, auch so oder besser sein zu müssen. Dieser Widerspruch ist quälend. Dass die anderen Menschen etwas haben, was erstrebenswert erscheint, man selbst aber nicht hat, wird als ungerecht empfunden. Daraus wird das Anrecht abgeleitet, neidisch zu sein. Neid stammt aus dem Vergleich. Man neidet dort, wo man bei einem Vergleich sich und die eigene Leistung von vornherein verloren gibt.
Information: Neid wird im Umkreis der > Geschwisterrivalität entwickelt, vor allem in Familiensystemen (> Familie), in denen das Problem des Neidens tradiert wird, in denen die Kinder nie gut genug sind, es aber unbedingt sein müssten, in denen auch Leistungen beneidet, entwertet und dadurch als schlecht bewertet werden, obwohl sie es in keiner Weise sind. Komplexepisoden (> Komplex) mit neidischen > Eltern oder Geschwistern (> Geschwisterbeziehung) werden verinnerlicht. Pathologischen Neid findet man bei Menschen mit einem ursprünglich negativen > Mutterkomplex, in einer wenig fördernden Umwelt. Der Neid wird versteckt, ebenso die Neidfantasien. So ist denn der Neid auch vom Ausdrucksgeschehen her wenig sichtbar: allenfalls noch in einer säuerlichen, ständig zur Entwertung bereiten Verkniffenheit. In den Neid-Fantasien sieht man zum einen das Beneidete mit dem Vergrößerungsglas und was man selber erreichen kann mit dem Verkleinerungsglas. Vor allem aber beschäftigen sich Neidfantasien damit, wie der Neider oder die Neiderin depotenziert werden kann, in schlechte Situationen gerät, usw. Um die Selbstwerthomöostase (> Minderwertigkeitsgefühl > Selbstwertgefühl) zumindest vorübergehend wieder herzustellen, können auch > Größenfantasien von einem zukünftigen unerhörten Erfolg gemacht werden, die dann andere beneiden müssen. (> Kompensation) Es gibt verschiedene Grade des Neidens. Die Skala reicht vom bewundernden Neiden ohne Missgunst bis zum gnadenlosen Totschweigen von hervorragenden Leistungen oder Gaben, verbunden mit großer Missgunst. Zwischen Neidern und Neiderregern entwickelt sich eine spezielle Dynamik: Neider entwerten, was Neiderreger geschaffen haben, bis dahin, dass sie diese am liebsten aus der Welt entfernen würden. Neiderreger fühlen sich zu Unrecht in ihrer Leistung etc. entwertet und reagieren ihrerseits darauf mit > Aggression. In den Metamorphosen von Ovid wird die Invidia (Neid, Missgunst) als umdunkelt von schwarzem Gifthauch, zernagt von Neid dargestellt. Wohin sie auch tritt, versengt sie die Spitzen des Wachstums. Ihr Lebensraum ist ein Raum der beharrlichen Düsternis. Die Lebendigkeit fehlt.
Der Neid fordert heraus, sich zu fragen, ob man genug aus seinem Leben gemacht hat. Es ist die Frage nach anderen möglichen Selbstanteilen und deren Verwirklichung (> Individuation > Individuationsprozess > Kreativität > Schöpferisches) nach Selbstanteilen, die mit dem positiven > Mutterarchetyp, mit Fülle und Lebendigkeit (> Bios-Prinzip > Eros-Prinzip) verbunden sind. Der Neid kann aber auch herausfordern, das Selbstbild zu korrigieren, auf ein der Realität angepassteres Maß, das es ermöglicht, > Freude an der eigenen Leistung (> Heros-Prinzip) und am eigenen Sein (> Eros-Prinzip) zu haben, und damit auch an der Leistung und am Sein anderer, Freude an der Fülle des Lebens. Gelegentlich erfordert der Neid auch soziale Veränderungen. In diesem Falle handelt es sich um berechtigten Neid. Wenn Neid nicht als Aufruf wahrgenommen wird, ist ein sehr destruktives Gefühl. Zudem leben wir in einer Konkurrenzkultur, die neidisches Verhalten begünstigt. Eine Anerkennungskultur würde gönnendes Verhalten fördern.
Literatur: Kast, V. (1994): Vater-Töchter Mutter-Söhne; Kast, V. (1996 a): Neid und Eifersucht.
Autor: V. Kast