Borderline

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Keyword: Borderline

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Definition: „Borderline“ ist die englische Übersetzung für „Grenzgebiet“, ein Begriff, den bereits der Psychiater Emil Kraepelin 1915 für den Bereich „zwischen einer kleinen Gruppe auffälliger Persönlichkeiten und der „Dementia präcox“ verwendete, die er als „unentwickelte Fälle von „Dementia simplex“ bezeichnete. Damit steckte schon Kraepelin den Rahmen für die Diskussion um die spätere „Borderline-Störung“ ab, nämlich als Grenzgebiet zwischen psychischer Gesundheit, bestimmten Fehlentwicklungen der Persönlichkeit und den Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis. In der Folge entwickelte sich das „Borderline -Konzept“ in Psychiatrie und > Psychoanalyse kontinuierlich weiter und man trifft heute auf vier Konzepte von „Borderline -Störungen“ (Modestin, 1991):

Information: 1. Borderline als ein besonderer Typ der Persönlichkeitsstörung: Dieses Konzept geht überwiegend zurück auf Gunderson und Singer (1975) und wurde als Borderline-Persönlichkeitsstörung in das DSM (Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen; Sass et.al. 2003) aufgenommen.

2. Borderline als Oberbegriff für schwere Persönlichkeitsstörung: Hauptvertreter ist hier Kernberg (1978, 1993), der „Borderline“ nicht durch eine umschriebene Symptomatologie charakterisiert, sondern durch eine besondere intrapsychische Struktur. Sein Konzept dieser psychischen Struktur basiert auf der psychoanalytischen > Objektbeziehungstheorie. O.F. Kernberg spricht von „Borderline-Persönlichkeitsorganisation“, die charakterisiert ist durch: 1. Identitätsdiffusion, definiert als „mangelnde Integration des Selbstkonzeptes oder des Konzeptes von bedeutsamen Objekten“ (1993, S. 15), 2. Niveau der Abwehroperationen (> Abwehrmechanismen) mit > Spaltung > Idealisierung, projektiver Identifizierung (> Identifizierung, projektive) und > Verleugnung, bei der diese Fähigkeit nicht vorhanden ist. Kernberg (1997) geht davon aus, dass alle im DSM (vgl. 1.) genannten Persönlichkeitsstörungen eine Borderline-Persönlichkeitsorganisation, unterteilt in high und low level, aufweisen. Die Borderline-Persönlichkeitsstörung nach DSM gehört zu den schweren Persönlichkeitsstörungen, erfasst aber nur einen kleinen Teil aller Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation nach Kernberg.

3. Borderline als schizophrene Spektrumserkrankung: Diese Form, deren Diagnostik sich an den Bleulerschen Grundsymptomen der Schizophrenie Autismus, Ambivalenz, Affektstörung und diskrete Denkstörung orientierte, wurde als schizotype Persönlichkeitsstörung in das DSM aufgenommen.

4. Borderline als affektive Störung: Aufgrund der Tatsache, dass 40-60% der Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung gleichzeitig unter einer affektiven Störung leiden (Modestin 1991) und eine erhebliche Gefahr zur Dekompensation besteht, wird heute diskutiert, ob es sich bei der „Borderline-Störung“ um eine „verdünnte oder frühe Form“ einer affektiven Erkrankung (H. Sass & K. Köhler) handelt.

Unter der Perspektive der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) haben Dieckmann (1991, S. 113 u. 116), Huber (1998) und Adam (2000, S. 50) dargestellt, dass die Komplextheorie (> Komplex) die geeignete Theorie ist, dissoziative Zustände (> Dissoziation) und Prozesse, wie sie bei Borderline-Störungen vorkommen können, zu beschreiben. Für Dieckmann und Adam ist eine „besondere Komplexstärke“ ursächlich. Huber und Schwartz-Salant (1991) nehmen, ebenso wie die Autorin (Junghan 2001), zusätzlich zum Faktor „Komplexstärke“ eine mangelnde Kohärenz des Ich-Komplexes (> Ich-Komplex) an, wenn sie z. B. schreiben, „dass bei der Behandlung der Borderline-Persönlichkeit psychische Befindlichkeiten mitspielen, die sich innerhalb oder in der Nähe einer Grenzzone bzw. auf einer Grenzlinie (=borderline) zwischen Persönlichem und Archetypischem ereignen, sodass Aspekte aus beiden Bereichen oft auf verwirrende Weise miteinander verwoben sind.“ (Schwartz-Salant 1991 S. 25) oder dass die „Borderline-Seele den transpersonalen, den prä-Ichzentrierten Kraftfeldern und sich (wie) autonom gebärdenden Komplexwirkungen in einem Maß ausgesetzt ist, wie dies bei einer hinreichend gefestigten Ich-Organisation nur noch untergründiger oder eingeschränkter der Fall ist.“ (Huber 1998)

Literatur: Dieckmann, H. (1991): Komplexe; Kernberg, O. F. (2000): Handbuch der Borderline-Störungen; Rhode-Dachser, C. (1979): Das Borderlinesyndrom; Schwartz-Salant, N. (1991): Die Borderline-Persönlichkeit.

Autor: M. Junghan