Spielen

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Keyword: Spielen

Links: > A-H-System > Fantasie > Gestaltungstherapie/Klinische Kunsttherapie > Imagination > Kinderpsychotherapie, analytische > Kindarchetyp > Kind, inneres > Kreativität > Mythodrama > Psychodrama > Psychotherapie, analytische > Ritual > Sandspiel > Tanz > Übergangsobjekt

Definition: Spielen (mhd. spiln: sich lebhaft oder fröhlich bewegen, tanzen, Kurzweil oder unterhaltende Beschäftigung haben, auch fröhliche Übungen machen) wird als eine Tätigkeit verstanden, die ohne weiteren bewussten Zweck, aus Vergnügen an der Tätigkeit an sich und an ihrem Gelingen ausgeübt wird und mit Lustempfindungen verbunden ist. Spielen wird als Zeitvertreib, als Ein- und Vorübung wichtiger Anlagen und Instinkte, als Erholung, Entspannung oder als Abfuhr von Affekten und Triebregungen und Energieabbau angesehen. In zahlreichen Wort-Zusammensetzungen reicht die Bedeutung des Spielens vom mühelosen, kreativen, auch tändelnd unverbindlichen oder unnützen spielerischen Tun, über vorspielen und aufspielen im Sinne einer mimischen Darstellung oder musikalischen Darbietung bis zum narzisstischen > Narzissmus) oder kompensatorischen (> Kompensation) Sich-Aufspielen, auch Etwas-Vorspielen als Täuschung oder > Abwehr sowie ein Spiel mit jemandem spielen und auf etwas anspielen und dadurch Einfluss nehmen (> Hermes Mercurius > Narr > Trickster).

Information: In der Analytischen Psychologie wird Spielen und das Spielerische vor allem in enger Verbindung mit der Fantasie, der Imagination, der Kreativität, dem Schöpferischen gesehen, "als dynamisches Prinzip der Fantasie, das auch dem Kinde eignet. Aber ohne dieses Spiel mit Fantasien ist noch nie ein schöpferisches Werk geboren worden." (vgl. Jung GW, Bd. 6, § 88)

Das sich spontan entwickelnde Spielen des Kindes oder Erwachsenen entspringt der unbewussten Psyche, die sich in Fantasietätigkeit, in praktischen Handlungen und Darstellungen in das Bewusstsein und mit dem Bewusstsein gestaltet. Spielen ist ursprünglicher Ausdruck der transzendenten Funktion (> Funktion, transzendente), also dem bewusst-unbewussten psychischen Gesamtgeschehen, in dem Gegensätze in der Gestaltung von Symbolen zu einer > Synthese vereinigt werden können. Einseitigkeiten und Blockierung in der psychischen Entwicklung oder eine belastende und lähmende Konfliktsituation (> Konflikt) können dadurch neu und konstruktiv (> Finalität) verstanden werden, psychische Energien wieder in Bewegung geraten (> Progression).

Die therapeutische Bedeutung des Spielen und spielerischen Gestaltens hat C. G. Jung zuerst an sich selber erfahren. Jung beschreibt in seinen Lebenserinnerungen, wie er sich in seiner depressiven und schöpferischen Lebenskrise (nach dem Zerwürfnis mit Freud) den Impulsen seines Unbewussten überließ und ausgelöst durch seine Kindheitserinnerungen am Ufer des Zürichsees mit Sand und Steinen spielte: "Aha, sagte ich mir, hier ist Leben! Der kleine Junge ist noch da und besitzt ein schöpferisches Leben, das mir fehlt. Aber wie kann ich dazu gelangen? Wollte ich aber den Kontakt mit jener Zeit wieder herstellen, so blieb mir nichts anderes übrig, als wieder dorthin zurückzukehren und das Kind mit seinen kindlichen Spielen auf gut Glück wieder aufzunehmen. Dieser Augenblick war ein Wendepunkt in meinem Schicksal, denn nach unendlichem Widerstreben ergab ich mich schließlich darein zu spielen. Dabei klärten sich meine Gedanken und ich konnte die Fantasien fassen, die ich ahnungsweise in mir fühlte." (Jung, Jaffé, 1962, S. 177) 

E. Neumann untersucht die Bedeutung des Spiels in Hinsicht auf seine Bedeutung in der kindlichen Ich-Entwicklung, in der Entwicklung des Bewusstseins und in seiner schöpferischen Funktion: Die Spielwelt ist die Welt des matriarchalen Bewusstseins (> Bewusstsein, matriarchales > Bewusstsein, schöpferisches): "Die Spielwelt ist auch für den erwachsenen Menschen aller Kulturen eine entscheidend wichtige und nicht eine zu überwindende Welt, für das Kind aber gilt dies im ganz besonderen Maße." (Neumann, 1963, S. 76f) Die magisch-mythische Symbolwelt der Fantasie und des Spieles beim Kind und die > Regression des Ichs in diese Welt sichert die ganzheitliche Entwicklung (> Ganzheit) des Kindes und des Erwachsenen. Zugang zu dieser Fantasie- und Spielwelt zu haben, ist ein Ausgleich zur Überbetonung des rationalen Bewusstseins und der einseitig extravertierten Realitätsanpassung der modernen patriarchal geprägten Kulturen.

M. Fordham beschäftigt sich vor allem mit dem kindlichen Spiel und der Rolle des Spielens in der Kindertherapie. Er geht davon aus, dass das kindliche Ich im Spiel in die Nähe des > Selbst und zugleich der Welt gerät und zur Entfaltung des Selbst beiträgt: Für Fordham beruht kindliches Spiel auch auf Angst und sei für das Kind ein Mittel, diese zu bewältigen. Dem Kind müsse die Möglichkeit gegeben werden, im Spiel Gefühle von Allmacht zu erleben und auszudrücken, was im schöpferischem Spiel mit grundlegenden Materialien wie Wasser, Sand, Ton etc. möglich sei. Diese Spiele können autistisch oder autoerotisch werden d. h, dass das Kind die Befriedigungen, die mit dem Spiel verbunden sind, für sich allein erlebt und nicht auf die Anerkennung seiner Bezugsperson angewiesen ist. Dabei entstehen oft Symbole. Grundsätzlich verlange schöpferisches Spiel jedoch Anerkennung durch Eltern und Bezugspersonen. Fordham sieht das Spiel als Mittel bedeutungsvoller Kommunikation im therapeutischen Prozess mit Kindern. Anstatt zu sprechen spielt das Kind und drückt auf diese Weise seine inneren Konflikte aus. Es gehört zum Spiel als Verständigungsmittel, dass andere Menschen ins Spiel einbezogen werden, wobei das Kind sie beauftragt, bestimmte Rollen zu übernehmen, die meist Aspekte seines Selbst darstellen. Später wird ein wechselseitiger Austausch möglich. Das Kind lernt Kompromisse einzugehen, das Spiel bekommt dann einen sozialen Charakter (vgl. Fordham 1974, S. 22).

D. Winnicott (1971) hält Spielen ebenfalls für eine Form der Kommunikation in der Psychotherapie und hat sich wesentlich mit Entstehung und Bedeutung des Spiels in der frühen Kindheit beschäftigt. Er sieht Spielen als eine der frühesten Betätigungen des Säuglings, die sich aufgrund von Sicherheit und Vertrauen in einer ausreichend guten und tragfähigen Mutter-Kind-Beziehung entwickelt. Er führt in seinem Konzept des Spielens den Begriff des 3. Bereichs ein, des intermediären, potenziellen Raums, auch Spannungsbereich genannt ("potential space“), welcher beim Spielen zwischen Mutter und Kleinkind entsteht und in dem erste Erfahrungen zwischen "Ich" und "Nicht-Ich" für das Kind erlebbar werden. Wesentlich ist nach Winnicott für das Kind im Spiel u. a. die Erfahrung des Alleinseins in Gegenwart eines anderen. Kinder dazu zu bringen, dass sie spielen können, ist nach Winnicotts Vorstellung bereits Psychotherapie. Spielen ist auch für ihn "das Universale", ermöglicht Reifung und Gesundheit.

Literatur: Ammann, R. (2001): Das Sandspiel - Der schöpferische Weg der Persönlichkeitsentwicklung; Rosetti-Gsell, V. (1998): Spielen, Sprache der kindlichen Seele; Winnicott, D. W. (1971): Vom Spiel zur Kreativität; Zulliger, H. (1952): Heilende Kräfte im kindlichen Spiel.

Autor: A. Kuptz-Klimpel