Bewusstheit

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Keyword: Bewusstheit

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Definition: Was mit Bewusstheit gemeint ist, lässt sich nur schwer definieren. Jedenfalls bedeutet Bewusstheit nicht das, was man als „bei Bewusstsein sein“ – dem Gegenteil von Bewusstlosigkeit und Schlaf – bezeichnet. Was einem Menschen dann, wenn er „bei Bewusstsein“ bzw. wach ist, durch den Kopf geht, ist nämlich zum größten Teil unbewusst. Wie die Humanethologie gezeigt hat, ist z. B. der größte Teil unseres Sozialverhaltens – ohne dass wir dessen bewusst werden – von phylogenetisch erworbenen Mustern gesteuert. Ferner hat die > Analytische Psychologie gezeigt, dass Komplexe (> Komplex) sich beim unbewussten Dahinleben – vom Ich unbemerkt – in vielfältiger Weise auf unser Fühlen, Denken und Tun auswirken. Allerdings hat, wenn wir von „unbewusst Dahinleben“ reden, „unbewusst“ eine andere Bedeutung, als wenn man in den psychodynamischen Richtungen (> Tiefenpsychologische Theorie, > Psychodynamik) sagt, verdrängte oder nicht bewusstseinsfähige Inhalte seien unbewusst.

Information: Verständlicher ist die, in angelsächsischen Sprachen gebräuchliche, Unterscheidung zwischen awareness (gewahr sein) und consciousness (Bewusstheit). Indessen kann man auch bei Tieren von awareness reden, wenn sie wach sind, doch ist das wohl nicht das Gleiche, wie das unbewusste Dahinleben des Menschen. Hilfreich kann auch die von M. Heidegger geschaffene Terminologie zur Benennung zweier Existenzzustände sein: die Unterscheidung zwischen Da-sein und Weg-sein. Da-sein wäre ungefähr synonym mit Bewusstheit. Die Schwierigkeit, Bewusstheit verbal zu umschreiben, kommt daher, dass dieser Ausdruck dem Bemühen um > Individuation entstammt: der lang dauernden aktiven Auseinandersetzung zwischen > Bewusstsein und Unbewusstem (> Unbewusstes) bzw. > Ich und > Selbst. Wenn man sagt, Individuation führe nicht zu Wissen, sondern zu Bewusstheit, meint man damit u. a., dass ein „individuierter“ Mensch sich seines Schattens (> Schatten) bewusst ist und dass er eine differenzierte Beziehung zur Mitwelt, zu seinem Unbewussten und zu sich selber entwickelt hat. Um aber wirklich zu begreifen, was damit gemeint ist, d. h. was Gewinn von Bewusstheit bedeutet, muss man sich dem Prozess selber unterziehen. In den Schulen der Spiritualität, die sich ja alle um > Individuation – allerdings meist vor dem Hintergrund einer > Weltsicht, archaische – bemühten, wurden für den Begriff der Bewusstheit verschiedene Termini entwickelt, z. B. > Gnosis in den Religionen vom gnostischen Typ, Tawakkul in der Sufik, Debekuth in der jüdisch-kabbalistischen Tradition sowie Im-Tao-Sein im „philosophischen“ > Taoismus.

Literatur: Obrist, W. (1988): Neues Bewusstsein und Religiosität.

Autor: W. Obrist