Couch-Sessel-Kontroverse
Keyword: Couch-Sessel-Kontroverse
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Definition: In der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) wird gelegentlich hervorgehoben, dass die therapeutische Arbeit vor allem im Gegenüber-Sitzen stattfinden soll. Dies wird vor allem mit dem dialektischen Prozess (> Prozess, dialektischer) begründet, in dem sich Therapeut und Patient von allem Anfang an als gleichwertige Partner verstehen, die in gleicher Weise Verantwortung für den Prozess übernehmen. In der > Psychoanalyse wird nach wie vor das Liegen auf der Couch als notwendig für eine tiefere > Regression und ein besseres Zulassen der freien Assoziation (> Assoziation, freie) angesehen. Die damit verbundene Oben-unten-Position von Therapeut und Patient, die ein asymmetrisches Beziehungsverhältnis ausdrückt, wird dafür in Kauf genommen, zumal sie auch entsprechende Übertragungsvorgänge (Macht-Ohnmacht, Kontrolle-Hingabe, Autonomie-Abhängigkeit) provoziert, die für die meisten Patienten zentrale Konflikt- und Komplexthemen sind.
Information: Dass der Analytiker außerdem hinter dem Patienten bzw. außerhalb seines unmittelbaren Blickkontaktes sitzt, kann sich insofern als günstig erweisen, als der Assoziationsfluss des Patienten nicht durch Reaktionen des Analytikers, Mimik und Gestik beeinflusst wird und auch dem Analytiker eher eine ganz entspannte, den unbewussten Inhalten zugewandte Haltung und gleichschwebende Aufmerksamkeit (> Aufmerksamkeit, gleichschwebende) ermöglicht. Allerdings können gerade auch paranoide Ängste des Patienten dadurch gesteigert werden, was wiederum der angestrebten entspannten und gelockerten Haltung, die für einen guten Zugang zum Unbewussten (> Unbewusstes) wesentlich ist, entgegenwirken könnte. Andererseits kann das Liegen auf der Couch dem Patienten den Eindruck vermitteln, die zentrale Person im Prozess zu sein, und das auch vom Therapeuten bewusst dadurch bestätigt zu bekommen, dass er sich im Hintergrund hält. Während das Sitzen im Sessel dem Patienten, neben dem Gefühl der Gleichberechtigung im Prozess, auch den Eindruck vermitteln kann, einen sicheren Halt zu haben und vielleicht durch die Möglichkeit, den Analytiker anzuschauen, auch eine Orientierung und eine persönlichere Beziehung, ist andererseits bei der sitzenden Haltung als Nachteil zu sehen, dass Patienten sich unnötig lange „sichernd halten“ und entsprechende Angst vor > Regression abwehren können. Zudem kann das Gegenübersitzen eine eher intellektuelle Diskussion auf der bewussten und manchmal oberflächlichen Ebene begünstigen. Deshalb wird eine sitzende Haltung von der > Psychoanalyse dann bevorzugt, wenn eine tief reichende Arbeit mit dem Unbewussten vermieden werden soll. Dies kann z. B. bei einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie (> Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte) oder auch bei Psychose-gefährdeten Patienten der Fall sein.
Die strittige Diskussion darüber, was nun die „bessere“ Haltung sei, erscheint rückblickend mehr als ein Ausdruck der konflikthaften > Freud-Jung-Beziehung. Ein Festlegen auf die eine oder andere „Methode“ erscheint nicht nötig, würde aus Sicht der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) im Grunde dem Individuations-Prinzip (> Individuation) entgegenlaufen. In der Analytischen Psychologie werden heute meist beide Möglichkeiten angeboten und genutzt. Die liegende Haltung scheint die Arbeit mit dem Unbewussten, den Prozess der Regression und > Introversion, des Assoziierens, Fantasierens und Imaginierens (> Fantasie > Imagination) zu fördern, während die sitzende Haltung die bewusstere Interaktion und Kommunikation unterstützt. Im Übrigen gibt es in der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) viele andere Möglichkeiten von Patient und Therapeut, sich zu begegnen, etwa wenn Bilder gemalt oder betrachtet werden, das > Sandspieltherapie einbezogen oder in anderer Weise gestaltet (> Gestaltungstherapie/Klinische Kunsttherapie) wird.
Literatur: Bauriedl, T. (1996): Auch ohne Couch; Dieckmann, H. (1979): Methoden der Analytischen Psychologie; Stern, H. (1988): Die Couch: Ihre Bedeutung für die Psychotherapie.
Autor: A. Müller