Objektkonstanz
Keyword: Objektkonstanz
Links: > Beziehung > Internalisierung > Not-Ich > Objekt > Objektbeziehungstheorie > Selbst > Urbeziehung
Definition: Der Begriff Objektkonstanz (lat. obiectus: das Entgegengestellte, das Gegenüber; lat. constans: Standhaftigkeit, Festigkeit) ist ein zentraler Begriff in Jean Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung. Er beschreibt die Fähigkeit, zu verstehen, dass Objekte und Personen weiter existieren, wenn sie nicht mehr wahrgenommen werden können. Diese Fähigkeit entwickelt sich in Piagets Modell im Laufe der sensomotorischen Phase, etwa im Alter von 7 bis 24 Monaten. Sie ist eine grundlegende Voraussetzung für intelligentes Verhalten und die Anpassung an die Umwelt.
In der Tiefenpsychologie wird Objektkonstanz zuerst in der > Ich-Psychologie verwendet. In seiner heute geläufigen Bedeutung stammt er aus dem Kontext der entwicklungspsychologischen Untersuchungen von M. Mahler u. a. (Mahler et. al. 1978). Das Erreichen der Objektkonstanz ist hier ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung der Objektbeziehungen bzw. der Objekt- und der > Selbstrepräsentanz. Als Grundannahme für die Objektkonstanz in der psychoanalytischen Theorienbildung wird vermutet, dass das kindliche Ich sich in der ersten Lebensphase nur in geringem Maße von der Mutter unterscheiden kann (> Urbeziehung > Einheitswirklichkeit).
Information: Die Objektbeziehungstheorie nimmt an, dass die Mutter zunächst als in Teilobjektrepräsentanzen gespalten erlebt wird: als gutes Objekt (gute Mutter) und als böses Objekt (böse Mutter). Im Laufe der Erfahrungen mit der Mutter erlebt es, dass das gute (bemutternde, versorgende und schützende) und das böse (versagende und verlassende) Objekt ein Objekt ist, dass diese beiden Aspekte hat. Das Kind erlebt, dass ein Objekt nicht nur durch einen, sondern durch viele Aspekt gekennzeichnet wird und dass es trotzdem insgesamt ein konstantes verlässliches Objekt ist. Damit wird das Aushalten von Frustration der Mutter und von deren vorübergehender Abwesenheit ermöglicht.
Die Fähigkeit zur Objektkonstanz baut auf den Separations- und Individuationsprozess auf. Gefördert wird sie in diesem Prozess zunächst durch das sog. Übergangsobjekt (D. Winnicott). Dieses kann die gute, sorgende, Sicherheit spendende Mutter repräsentieren, auch wenn die (gute) Mutter gerade nicht anwesend ist.
Die Integration der stabilen Objektkonstanz ist in Bezug auf das Urvertrauen des Kindes in seine Welt und in sich selbst von immenser Bedeutung. Das Kind erlebt dadurch, dass es nicht alleingelassen ist, weder, wenn ein Trennungsimpuls oder eine Selbstständigkeitsforderung von der Mutter ausgeht, noch wenn es einem eigenen Trennungsimpuls folgt und damit die Mutter verlässt. Es erlebt also, dass die in der Urbeziehung angelegte Beziehungsmatrix konstant, gleich bleibend verlässlich ist, auch bei (angemessener) Frustration. Voraussetzung dafür ist natürlich eine insgesamt als positiv erlebte Urbeziehung. Bei narzisstischen Störungen (> Narzissmus > Not-Ich) und in Borderline-Entwicklungen (> Borderline) kann oft nachgewiesen werden, dass die die Fähigkeit zur Trennung zwischen sich und dem Gegenüber und die Fähigkeit zur Integration 'guter' und 'böser' mütterlicher Teilrepräsentanzen zu einer stabilen und verlässlichen Objektrepräsentanz nicht genügend ausgebildet worden ist.
Im Laufe der Entwicklung erkennt das Kind zunehmend besser, dass die Mutter bzw. seine Bezugspersonen nicht mit ihm selbst identisch sind. Aufgrund der herangereiften Ich-Funktionen und seiner dadurch wachsenden Selbstständigkeitstendenzen wie der zunehmenden Trennungsimpulse, die von der Mutter ausgehen, entwickelt das Kind getrennte Objekt- und Selbstrepräsentanzen.
E. Neumann beschreibt in seiner Entwicklung des kindlichen Ichs aus dem Selbst und der Urbeziehung heraus die Fähigkeit zur Objektkonstanz als Entwicklung des Ich-Du, des Ich-Körper und des Ich-Selbst-Bezugs und als das Zustandekommen des integralen Ichs (> Ich, integrales).
Literatur: Mahler, M. et. al. (1978): Die psychische Geburt des Menschen; Neumann, E. (1963): Das Kind.
Autor: A. Müller