Eltern
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Definition: Eltern (ahd. alitron: die Älteren; alt: aufgewachsen) existiert als Begriff nur im Plural und signalisiert so die Einheit der zwei Elternteile, die für eine hinreichend gute Be-Elterung eines Kindes erforderlich ist. Etymologisch liegt „alt“ ein heute nicht mehr existierendes Verb, mit der Bedeutung von wachsen, wachsen machen, aufziehen, ernähren, zugrunde. Dies veranschaulicht die zentrale Bedeutung der Eltern: Wachsen lassen, d. h. Bedingungen schaffen, in denen das > Kind sich so entfalten kann, wie es seiner Individualität (> Individuum) und seinem > Selbst entspricht.
Information: In den Analytischen und tiefenpsychologischen Theorien ist die Problematik des Eltern-Seins an sich weniger ausgearbeitet, sehr intensiv jedoch die Eltern-Kind-Dynamik. Der mit ihr verbundene, sich fortwährend wiederholende Differenzierungs- und Integrationsprozess (> Coniunctio/Mysterium Coniunctionis > Differenzierung > Integration > Symbiose > Triade/Triangulierung) ist ein, für die Ich-Bewusstseinsentwicklung und > Individuation, entscheidender psychischer Vorgang, der in der psychoanalytischen Trieblehre, der neueren Ich- und Objektbeziehungstheorie, der Säuglingsforschung und auch in der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) intensiv erforscht wird.
In der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) werden die realen Eltern und ihr individuelles So-Sein von den archetypischen Elternbildern (> Imago > Mutter, Große > Vater, Großer) unterschieden. Letztere können beim Kind das Wahrnehmen und Erleben der realen Eltern in positiver wie negativer Hinsicht stark beeinflussen (s. u.). Die Entwicklung des Kindes, ebenso wie der Individuationsprozess der späteren Lebensphasen, bedeutet von daher immer eine intensive Auseinandersetzung mit den realen Eltern und den Elternarchetypen und Elternkomplexen.
Gravierende Mangelerfahrungen, hinsichtlich einer ausreichend guten Be-Elterung und der Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Schutz, Nahrung, Empathie, Zugehörigkeit und Anerkennung (> Bedürfnishierarchie) sowie des Erlebens von traumatischen Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, spielen in der Entwicklung seelischer Störungen eine große Rolle. Neurotisierenden Elternhaltungen liegen aber oft nicht Unfähigkeit und bewusste Fehlhaltungen der Eltern zugrunde, sondern auch Konflikte (> Konflikt), die den Eltern unbewusst sind und dem Kind z. B. eine krankmachende Rolle in der Stabilisierung der Elternbeziehung zuweisen oder innerhalb des jeweiligen, eigenen psychischen Systems Halt geben. Bestimmte unerwünschte Eigenarten und Verhaltensweisen, aber auch eigene unerfüllte Wünsche und Sehnsüchte werden an das Kind delegiert und auf es übertragen (> Anima/Animus: Klassische Auffassung > Projektion > Schatten).
Zwischen Eltern und Kind besteht für C. G. Jung eine schicksalhafte unbewusste Identität: „Die participation mystique, d. h. die primitive unbewusste Identität, lässt das Kind die Konflikte der Eltern fühlen und daran leiden, als ob sie seine eigenen wären. Es ist sozusagen nie der offene Konflikt oder die sichtbare Schwierigkeit, welche die vergiftende Wirkung hat, sondern es sind die geheim gehaltenen oder unbewusst gelassenen Schwierigkeiten und Probleme der Eltern [..]. Dinge, die in der Luft liegen und die das Kind unbestimmt fühlt, die niederdrückende Atmosphäre von Befürchtungen und Befangenheit dringen mit giftigen Dämpfen langsam in die Seele des Kindes ein.“ (Jung, GW 17, § 217a)
Positive Aspekte der Eltern-Archetypen und des > Selbst können glücklicherweise, auch bei nicht genügend positiven Erfahrungen mit den realen Eltern, kompensatorisch und stabilisierend wirksam werden, beispielsweise über die Beziehungen des Kindes zu seiner Umwelt („Ersatzeltern“, Geschwister, Freunde, Natur, Pflanzen, Tiere), durch tröstende innere Gestalten („lieber Gott“, Schutzengel, die „wahren“ königlichen Eltern etc.) oder durch seinen kreativen Zugang zum Unbewussten (> Unbewusstes > Fantasie > Gestaltung > Imagination > Spiel). In der > Adoleszenz und > Pubertät treten an die Stelle der realen Eltern häufig archetypisch überhöhte Idealgestalten: beeindruckende Erwachsene aus dem persönlichen Umfeld oder der Medienlandschaft (> Mana-Persönlichkeit), Menschen und Organisationen, die alternative Ideen, religiöse oder philosophische Gedanken zur Weltverbesserung anbieten oder auf andere Weise Leitbildfunktion haben oder auch „Führer-Persönlichkeiten“, die aus der Peergroup (Gruppe der gleichaltrigen Jugendlichen) stammen.
Literatur: Jacoby, M. (1998): Grundformen seelischer Austauschprozesse; Fordham, M. (1974): Das Kind als Individuum; Kast, V. (1994): Vater-Töchter, Mutter-Söhne; Neumann, E. (1963): Das Kind.
Autor: A. Müller