Evolutionäre Psychologie
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Definition: Die Evolutionäre Psychologie baut auf Ch. Darwins Evolutionstheorie (Evolution, lat.: fortschreitende Entwicklung; in der Biologie: stammesgeschichtliche Entwicklung der Lebewesen von niederen zu höheren Formen) und ihren Weiterentwicklungen auf. Weitere Varianten dieses Ansatzes sind die > Ethologie und die Soziobiologie (artspezifisches Verhalten wird als Funktion genetischer Überlebensstrategien zur Sicherung des Überlebens der Gruppe oder Art verstanden). Auch in anderen Wissenschaften, z. B. in der > kognitiven Psychologie, Anthropologie, Soziologie, > Biologie, Genetik, der Psychobiologie und der > Hirnforschung, sowie der Philosophie (> Erkenntnistheorie, > Konstruktivismus) wird der evolutionäre Ansatz zunehmend diskutiert. Die erweiterte evolutionäre Sichtweise wird als neues universales Paradigma angesehen, deren besonderer Vorteil ihre Verbindung von psychologischen, sozialen, historischen und biologischen Aspekten ist.
Information: Die Evolutionäre Psychologie sieht die Entwicklung des Organismus und seiner kognitiven und emotionalen Funktionen als Ausdruck selektiver Prozesse, die das individuelle, kollektive und genetische Überleben und die Weitergabe von Genen unter verschiedenen Umweltbedingungen und, in Anpassung an diese, immer besser ermöglicht haben. Die psychischen Prozesse sind demnach als Anpassungen (> Anpassung) zu verstehen, d. h. als Mechanismen, die Problemlösungen zu spezifischen, im Laufe der Naturgeschichte immer wieder auftretenden „Problemen“ darstellen und die entsprechend in spezifischen Kontexten aktiviert werden. (Klusmann, o. J.)
W. James hat vermutlich den Begriff „Evolutionary psychology“ als erster benutzt. Er stellt die Theorie auf, dass das menschliche Verhalten flexibel und vielgestaltig sei nicht weil wenige, sondern gerade weil sehr viele und sehr raffinierte Instinkte (> Instinkt) daran beteiligt seien (James 1890, S. 383-441). Das widerspricht dem eindimensionalen Triebkonzept der damals einflussreichen > Psychoanalyse und findet lange Zeit wenig Beachtung, ist aber in der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie), mit der Entwicklung des Konzepts vom kollektiven Unbewussten (> Unbewusstes, kollektives) und der Archetypen (> Archetyp), schon sehr früh enthalten. Das kollektive Unbewusste entspricht der geistigen Erbmasse der Menschheitsentwicklung, die sich in jeder individuellen Hirnstruktur spiegelt.
In den Sozialtheorien wie den Lerntheorien (> Lernen) der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die angeborenen Bereitschaftssysteme des Organismus stark vernachlässigt worden. Man ist weitgehend davon ausgegangen, dass das menschliche Erleben und Verhalten überwiegend durch gesellschaftliche und biografische Lernprozesse bedingt sei. Seit den 80er Jahren hat unter dem Einfluss der Genforschung, der > Hirnforschung und der kognitiven Psychologie (> kognitive Psychologie) eine Trendwende stattgefunden. Allerdings wird weniger von Instinkten (> Instinkt), sondern von angelegten Bereitschaften zu Motiven, Gefühlen und Verhaltensweisen oder von evolvierten Mechanismen (Buss, 1999) gesprochen. Damit ist auch der alte Gegensatz zwischen > Instinkt und Lernen überwunden. Instinkte sind im Wesentlichen Lernbereitschaften, die sich erst in der Interaktion mit einer bestimmten Umgebung entfalten. So muss beispielsweise beim Erwerb der Sprache nicht jedes einzelne Wort gelernt werden. Dies ist aber nur möglich, weil es ein dafür angelegtes mentales Modul gibt, das man als den „Sprachinstinkt“ bezeichnen kann (Pinker, 1994). In den zentralen Konzepten der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie), z. B. denen des Archetyps (> Archetyp) und des kollektiven Unbewussten, sowie in ihrer Vorstellung der Entwicklung des Bewusstseins (> Bewusstsein) (> Bewusstseinsentwicklung: Allgemeine Stadien > Bewusstseins-Evolution) gibt es viele Parallelen zur Evolutionären Psychologie, die insbesondere von Obrist (1990, 1999) und Stevens (1993, 2000, 2002) aufgearbeitet worden sind.
Literatur: Obrist, W. (1990): Archetypen; Obrist, W. (1999): Die Natur – Quelle von Ethik und Sinn; Stevens, A., Price, J. (2000): Evolutionary Psychiatry.
Autor: L. Müller