Fantasie

Aus aip-lexikon.com
Version vom 17. Juli 2024, 13:28 Uhr von de>Anlumue (1 Version importiert)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springenZur Suche springen

Keyword: Fantasie

Links: > Assoziation > Bewusstsein, schöpferisches > Bild > Fantasiedenken/gerichtetes Denken > Imagination > Imagination, aktive > Katathym imaginative Psychotherapie > Kreativität > Malen aus dem Unbewussten > Sandspieltherapie > Schöpferisches > Spielen > Traum

Definition: Fantasie (lat. phantasia: Gedanke, Einfall; griech.: Vorstellung, Einbildung, Erscheinung) ist der freie Fluss von Gefühlen, Gedanken, Vorstellungen und insbesondere unbewussten Bildern, die Ausdruck der > Selbstregulation der Psyche sind. Formen der Fantasie sind z. B. die > Assoziation, der > Traum, die > Visualisierung, die > Vision, die > Imagination.

Information: Wie Träume (> Traum) und andere unbewusste Manifestationen können sie als Symbole (> Symbol) verstanden werden. Sie verbinden Bewusstes und > Unbewusstes miteinander und schaffen so neue Einsichten und Einstellungen (> Funktion, transzendente). C. G. Jung bezeichnet die Fantasietätigkeit als „höheres Drittes“, welches durch die Vereinigung der Gegensätze von Denken und Fühlen entstehen kann. Sie ist die eigentliche Basis jeder schöpferischen Idee, Gestaltung und Tat. Die alltägliche Fantasietätigkeit dient dazu, sich selbst und die Welt zu ordnen, zu planen und zu strukturieren und mit sich ins Reine zu kommen. Das Fantasieren im Sinne von bewusstem Tagträumen bereitet Lust und Wohlbehagen, hilft das narzisstische Gleichgewicht zu stabilisieren, kann bei der Anpassung an die Realität behilflich sein und verschafft zugleich dem Fantasierenden eine gewisse Unabhängigkeit von dieser. Fantasien lassen sich zur Abwehr (> Abwehrmechanismen) bedrohlicher und beschämender Erfahrungen verwenden und sind letztendlich eine wichtige Quelle für kreative Handlungen.

„Die Psyche erschafft täglich die Wirklichkeit. Ich kann diese Tätigkeit mit keinem andern Ausdruck als mit Fantasie bezeichnen. Die Fantasie ist ebenso sehr Gefühl wie Gedanke, sie ist ebenso intuitiv wie empfindend. Es gibt keine psychische Funktion, die in ihr nicht ununterscheidbar mit den andern psychischen Funktionen zusammenhinge. Sie erscheint bald als uranfänglich, bald als letztes und kühnstes Produkt der Zusammenfassung alles Könnens. Die Fantasie erscheint mir daher als der deutlichste Ausdruck der spezifischen psychischen Aktivität. Sie ist vor allem die schöpferische Tätigkeit, aus der die Antworten auf alle beantwortbaren Fragen hervorgehen, sie ist die Mutter aller Möglichkeiten, in der auch, wie alle psychologischen Gegensätze, Innenwelt und Außenwelt lebendig verbunden sind. (Jung, GW 6, § 78)

S. Freud fasst die Fantasietätigkeit als Gegensatz zum realitätsgerechten Denken auf. Er beschreibt die Fantasie des Erwachsenen als Fortsetzung des Kinderspiels (> Spielen). Sie seien den Träumen verwandt und aus Wunschvorstellungen gebildet. Ihre Funktion sei es, sich Befriedigungsmöglichkeiten auszumalen, die in der Realität nicht gegeben sind. Fantasien ermöglichen eine Lustbefriedigung von Wünschen, unabhängig vom Triebobjekt. Im triebpsychologischen Ansatz Freuds geht die Bildung von Fantasien immer auf die stimulierende Funktion von Triebimpulsen zurück. Das > Es, das im Kontakt mit dem Körper in enger Berührung mit den Triebbedürfnissen ist, verleiht diesen geistigen Ausdruck. Ähnlich wie Freud differenziert Jung zwischen Primär- und Sekundärprozess (> Primärprozess/Sekundärprozess) und nennt dies Fantasiedenken und gerichtetes Denken (> Fantasiedenken/gerichtetes Denken). Jungs Vorstellungen über die „schöpferische Fantasie“ leiten sich hingegen von seinem Begriff des Archetypus (> Archetyp) ab. “In den Produkten der Fantasie werden die Urbilder sichtbar und hier findet der Begriff des Archetypus seine spezifische Anwendung.“ (Jung, GW 9/1, §153) Jung unterscheidet zwischen passiven und aktiven Fantasien. Passive Fantasien zeichnen sich dadurch aus, dass das Individuum ihnen gegenüber nicht aktiv werden muss, um sie hervorzubringen, da sie ins Bewusstsein einbrechen. Diese Fantasien gehören zu den psychomotorischen Automatismen (> Automatismen, psychomotorische) und können nur bei einer relativen Dissoziation der Psyche vorkommen. Ein wesentlicher Energiebeitrag habe sich der bewussten Kontrolle entzogen und unbewusste Inhalte besetzt. Jung meint, dass die passive Fantasie daher immer einer bewussten Kritik bedürfe, wenn sie nicht einseitig den Standpunkt der unbewussten Gegensätze zur Geltung bringen soll. Träume werden von Jung mit passiven Fantasien verglichen. Zu luziden Träumen (> Traum, luzider), in denen sich der Träumende bewusst und aktiv verhält, hat sich Jung nicht geäußert. Aktive Fantasien geschehen dagegen in einer bewussten Auseinandersetzung mit ihnen, durch einen Dialog und eine Angleichung der unbewussten und bewussten Standpunkte (> Imagination, aktive). Sobald dies geschieht, findet eine schöpferische Fusion der bewussten und unbewussten Bereiche der Psyche statt

Literatur: Kast, V. (1988): Imagination als Raum der Freiheit; Müller, L., Knoll, D. (1998): Ins Innere der Dinge schauen; Werthmann, H. -V. (Hrsg.) (1989): Unbewusste Fantasien.

Autor: A. Kuptz-Klimpel