Gestalttherapie

Aus aip-lexikon.com
Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr von Lutz (Diskussion | Beiträge) (1 Version importiert)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springenZur Suche springen

Keyword: Gestalttherapie

Links: > Bewusstheit > Humanistische Psychologie > Selbstregulation

Definition: Die Gestalttherapie ist von dem, in Berlin geborenen, Psychiater und Psychoanalytiker F.S. Perls (1893-1970) entwickelt worden und gehört heute zu den grundlegenden Verfahren der Humanistischen Psychologie (> Humanistische Psychologie). Perls kritisiert an der > Psychoanalyse, dass S. Freud die > Kausalität, die Vergangenheit und den Sexualtrieb überschätzt und die Bedeutung von Zielgerichtetheit (> Finalität), und Hungertrieb unterschätzt hat. Nach der Übersiedlung in die USA (1946) entwickelte Perls zusammen mit seiner Frau L. Perls, P. Goodman, I. From, P. Weiß und anderen die Gestalttherapie, in die auch Elemente der > Psychoanalyse (S. Freud, A. Freud, O. Rank – Erlebnis- und Willensorientiertheit; Ferenczi – Aktive Technik), des > Psychodrama, des Existenzialismus (Selbstverantwortung) und des Zen-Buddhismus eingeflossen sind.

Information: Im gestalttherapeutischen Prozess beginnt der Mensch über die > Bewusstheit (Awareness) des Augenblicks Kontakt zu seinem gegenwärtigen Dasein in seinem Gesamtfeld aufzunehmen: > Körper, > Emotion, > Geist, Innerpsychisches, Außenwelt, sozialer Kontext, > Individuum, > Kollektiv, Gegenwart, gegenwärtige Vergangenheit und > Unbewusstes. Aus diesem Hinter-Grund tritt als Figur die noch unerledigte, prägnante Erlebens-Gestalt eines Impulses, Konflikts oder Themas in den Vordergrund. Im Kontaktaufbau werden persönliche „Kontaktmodi“ deutlich als Formen der Kontaktaufnahme und des Kontaktwiderstands. Mit deren integrativer Bearbeitung wird ein vollzogener Kontakt möglich, in dem der Mensch als Organismus seine aktuelle > Beziehung zwischen Selbst und Umfeld erfährt: Darin findet er zu einem Durcherleben der offenen Erlebensgestalt, die sich zu einer > Ganzheit schließt – d. h. auch zur Ganzheit des Unvollständigen und zur ganzen Gestalt eines Widerstands gegen ein Ganzwerden. In einer folgenden Reflexion kann das Erlebte ins inner- und außerpsychische Gesamtfeld integriert werden. Der Organismus kann zu einer Potenzialerweiterung seiner Ich-Grenzen finden, Erlebtes zur bewussten Erfahrung und Neuorientierung werden. Die geschlossene Gestalt tritt in den Hinter-Grund zurück, ein neuer Kontaktzyklus kann beginnen.

Die Gestalttherapie fördert u. a. mit der phänomenologischen Bewusstheit im Hier und Jetzt und mit der bewussten Bewältigung von Emotion und > Erleben eine Ich-Stärkung und eine abgegrenzte Kontaktbereitschaft zum Unbewussten (> Unbewusstes). Bei Ich-starken Patienten wird mit der emotionalen Involvierung die Verbindung des Unbewussten zum Ich angeregt. Mit der > Ritualisierung des therapeutischen Prozesses (z. B. in der Rollenarbeit und in Übungen) werden unbewusste Kräfte kanalisiert und die Distanz des Ich-Bewusstseins zum Prozess strukturiert.

Es gibt zahlreiche Berührungspunkte der Gestalttherapie mit der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie), z. B. das Konzept der Ganzheitlichkeit, die Wachstums- und Ressourcenorientiertheit, die Betonung der Selbstheilungstendenz, das Bemühen um > Empathie, um > Akzeptanz und Wertschätzung, die Auffassung der therapeutischen Beziehung (> Beziehung, therapeutische) als dialogisch-dialektischer Prozess, bei dem in die Gegenübertragung auch ein subjektiver Anteil des Therapeuten einfließt, die Betonung des Aktualkonflikts (> Aktualisierung), die subjektstufige (> Subjektstufe, Deutung auf der) Sichtweise von Träumen und Symbolen. Die Stärkung des Ich-Komplexes (> Ich-Komplex) und die Entwicklung des Bewusstseins (> Bewusstsein) wird ebenso wie in der Analytischen Psychologie in einem vertrauensvollen Dialog zum Unbewussten gesucht. Insofern richten sich die Interventionen (> Intervention) auch hier weniger an die bewussten Entscheidungen und Willensakte, sondern vielmehr an die Wahrnehmung der unbewussten > Selbstregulation.

Literatur: Bocian, B., Stemmler, F.-M. (Hrsg.) (2000): Gestalttherapie und Psychoanalyse; Fuhr, R., Srechovic, M., Gremmler-Fuhr, M. (Hrsg.) (1999): Handbuch der Gestalttherapie; Perls, F. (1976): Gestalt-Therapie in Aktion; Perls, F. (1977): Grundlagen der Gestalt-Therapie.

Autor: S. Prager