Identifikation

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Keyword: Identifikation

Links: > Abwehrmechanismen > Empathie > Größenfantasien > Identität > Internalisierung > Schatten, therapeutischer > Identifizierung mit dem Aggressor > Identifizierung, projektive > Participation mystique

Definition: Identifikation (lat. identitas: Wesenseinheit; identifizieren: aus innerer Überzeugung ganz mit etwas oder jemand übereinstimmen, sich mit etwas oder jemand emotional gleichsetzen und dessen Ideale und Motive als die eigenen übernehmen) ist ein Vorgang, der sowohl als ein normaler psychischer Prozess in jedem Entwicklungsprozess (> Kreativität, Phasen der), als auch als Abwehrmechanismus (> Abwehrmechanismen) angesehen werden kann. Identifikation kann sich - insbesondere in der Kindheit - aus der Imitation (Nachahmung) entwickeln, die einer der elementarsten Lernvorgänge ist. Nachgeahmt werden insbesondere Menschen und deren Eigenschaften, denen ein besonderer Status, eine besondere Macht oder Beliebtheit zugeschrieben wird, die man bewundert (> Idealisierung) und an deren Status man teilnehmen möchte. Dabei können ebenso gut destruktive wie konstruktive Eigenschaften nachgeahmt, übernommen und zu den eigenen gemacht werden (> Identifikation mit dem Aggressor). Auch mit Idealen, Theorien, politischen Ideologien, religiösen Vorstellungen und Systemen, archetypischen Bilder und Symbolen können in unterschiedlichen Graden Identifikationen stattfinden, beginnend bei Sympathie oder Bewunderung für etwas, über Engagement bis zum Fanatismus: Werden die Aspekte, mit denen man identifiziert ist (z. B. alle Dinge, die mit dem Possessivpronomen "mein" verbunden sind), angegriffen, reagiert man häufig so, als sei man selber angegriffen worden.

Information: In längeren und engeren Beziehungen treten praktisch immer gegenseitige Identifikationen auf, wodurch bewusst und unbewusst Eigenschaften, Standpunkte und auch Verhaltensweisen vom Anderen übernommen werden. Dies geschieht in Eltern-Kind-Beziehungen, in Freundschaften und Partnerschaften, in Gruppen und Gesellschaften (> Participation mystique) wie auch in therapeutischen Beziehungen. Patienten können mit ihren Therapeuten identifiziert sein wie auch Therapeuten mit ihren Patienten. Das ist in gewissem Rahmen normal und auch hilfreich, es wird problematisch, wenn die > Individuation und freie Selbstentfaltung dadurch gehemmt oder verhindert werden. Die Fähigkeit zu kurzfristigen Identifikationen kann Ausdruck einer flexiblen, offenen, lernfähigen Persönlichkeit sein, sie ist die Basis der > Empathie und Vorstellungskraft (> Imagination). Sie findet als Methode im therapeutischen Rahmen vielseitige Anwendung. Stärkere und lang anhaltende Identifikationen dienen häufig der Stabilisierung einer unsicheren > Identität und eines mangelnden Selbstwertgefühls (> Selbstwertgefühl).

In der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) wird besonders häufig auf die Gefahr einer Identifikation mit der > Persona und der Identifikation mit archetypischen Inhalten aus dem kollektiven Unbewussten (> Unbewusstes, kollektives > Anima/Animus: Klassische Auffassung > Schatten > Selbst) hingewiesen. Während bei einer übermäßigen Identifikation mit der Persona und ihren Statussymbolen, ihrem Amt, ihren Ehren und Würden, weite Bereiche der individuellen Persönlichkeit vom Leben ausgespart bleiben, - was zu einer Vielzahl von psychischen Störungen führen kann -, führt die Identifikation mit archetypischen Inhalten leicht zu einer > Inflation, einer Selbstüberhebung (> Hybris) und zu einem Realitätsverlust, weil man seine Fähigkeiten und Eigenschaften nicht mehr angemessen beurteilt. Identifikationen mit der Persona und archetypischen Inhalten sind oft miteinander verbunden, was eine ganz besonders gefährliche Mischung sein und eine große Verführungskraft haben kann. Das Gefühl etwas Allgemeingültiges gefunden zu haben, stammt aus der Universalität der > Kollektivpsyche. Der individuelle Mensch verschwindet dann ganz hinter kollektiven Vorstellungen, z. B. der Politiker wird zum Menschheits-Führer, der Pfarrer zum Vertreter Gottes auf Erden und der Therapeut wird zum magischen Heiler und erleuchteten Guru. "In seiner Identität mit der Kollektivpsyche wird er unfehlbar versuchen, die Ansprüche seines Unbewussten andern aufzudrängen, denn die Identität mit der Kollektivpsyche bringt das Gefühl der Allgemeingültigkeit ('Gottähnlichkeit') mit sich, welche sich über die andersartige, persönliche Psyche des Mitmenschen einfach hinwegsetzt. (Jung, GW 7, § 240). Hingegen ist es der Zweck der Individuation, das Selbst aus der Identifikation mit der Kollektivpsyche, mit der Persona und mit den unbewussten Bildern zu befreien (> Desidentifikation).

Literatur: Freud, A. (1936): Das Ich und seine Abwehrmechanismen; König, K. (1996): Abwehrmechanismen; Mentzos, S. (1984): Neurotische Konfliktverarbeitung.

Autor: L. Müller