Imagination
Keyword: Imagination
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Definition: Imagination (lat. imago: Vorstellung; imaginieren: sich vorstellen, bildhaft, anschaulich machen) ist eine alte, bewusst eingesetzte Methode zur Veränderung des Bewusstseins (> Bewusstseinszustände, veränderte) und zur Herstellung einer Beziehung zu unbewussten Inhalten. In den religiösen und hermetischen Systemen (> Ekstase > Hermetik > Mystik > Religion > Schamanismus) ist sie verwendet worden, um sich für die religiöse Dimension zu öffnen, in "höhere Wirklichkeiten" einzutreten und transpersonale Erfahrungen zu machen. Sie hat schon immer der Bewusstseinserweiterung und -vertiefung gedient, um mit Dämonen und Gottheiten, jenseitigen Wesenheiten und Geistern (> Geister) in Verbindung zu treten, um Informationen über die Vergangenheit und die Zukunft zu erhalten oder das Weltgeschehen magisch zu beeinflussen. Schamanen erfahren mit ihrer Hilfe heilsame Visionen (> Vision), Mystiker "schauen" das Wesen der Seele und des Göttlichen (> Gottesbild) und Künstler gestalten mit ihrer Hilfe ihre Werke. In der modernen Psychotherapie hat sie sich Ende des 19. Jahrhunderts aus der Hypnose entwickelt.
Information: C. G. Jung weist bereits 1916 auf die Möglichkeiten einer "aktiven Imagination" als therapeutischem Hilfsmittel, wenn auch in nicht systematischer Weise, dar. H. C. Leuner stellt ab 1954 die verschiedenen Methoden und Prinzipien zur Handhabung der Imagination systematisch zusammen (> Katathym imaginative Psychotherapie). Allgemein werden zwei verschiedene Ansätze der Imaginationsarbeit unterschieden: die geführte Imagination und die freie Imagination. Bei der geführten Imagination wird der Imaginierende - nach einer vorbereitenden Entspannung - in vorgegebene, z. T. standardisierte Bilder hineingeführt. Der Imaginierende bewegt sich innerhalb der vorgegebenen Motive und wird dabei mehr oder weniger stark stützend und steuernd von einem Begleiter assistiert. Diese Form der Imagination hat sich besonders als Einstieg in die Imaginationsverfahren bewährt. Sie bietet einen gewissen Schutz vor unerwarteten belastenden Bildinhalten und Impulsen. Auch können manche Menschen besser imaginieren, wenn sie in Beziehung zu einem anderen Menschen sind und ihm die Imaginationen mitteilen können. Bei der freien Imagination geht man nicht von einem vorgegebenen Standard-Motiv aus. Jeder beliebige psychische Inhalt kann Ausgangspunkt sein: eine Stimmung, ein körperliches Befinden, ein Gefühl, ein Persönlichkeitsaspekt, ein Wunsch, eine Angst, ein Traumbild, vor allem, wenn es sozusagen in einem ungelösten und bedrohlichen Zustand stehen geblieben ist. Man stellt sich in entspanntem Zustand auf das Erleben oder das Thema ein und wartet, welche entsprechenden symbolischen Bilder daraus entstehen und wie sie sich weiterentwickeln (> Aktive Imagination). Das freie Vorgehen stellt für den Übenden höhere Anforderungen an seine Fähigkeit zur > Symbolisierung wie auch an seine Fähigkeit, mit spontanen Impulsen integrierend umgehen zu können. Der im geführten Vorgehen enthaltene Schutz vor unerwarteten negativen, belastenden Bildinhalten und Impulsen ist jetzt nicht mehr gegeben. Der Imaginierende muss also "ich-stark" genug sein, um die jeweils andrängenden Inhalte, Bilder, Emotionen in ihrer Stärke zu dosieren, ein gewisses Maß an Spannung, Angst, Desorientierung, auch mögliche traumatische oder archaische Impulse auszuhalten, sich nötigenfalls von ihnen distanzieren zu können. Oft wird es aber so sein, dass die konflikthaften und ungelösten Ausgangspunkte, wie z. B. ein bedrohliches Traumbild, belastender sind als die in der Imagination auftretenden Bilder, die in der Regel schon Wege und Lösungen andeuten.
Die wesentlichen Wirkfaktoren (Faktoren, die Veränderung oder Heilung fördern), sind bei der gelenkten wie bei der freien Imagination (ebenso wie bei allen anderen Formen der Arbeit mit dem Unbewussten) die Bewusstwerdung und > Integration unbewusster Aspekte der Persönlichkeit, - insbesondere Bedürfnisse, Wünsche, Konflikte und Gefühle - und die Erfahrung der schöpferischen > Autonomie des > Selbst. Darüber hinaus erfährt der Imaginierende, dass er sich in einem gewissen Maße mit seinen unbewussten Inhalten auseinandersetzen kann, ohne sein Ich-Bewusstsein (> Ich/Ich-Bewusstsein) und seine Kontrollfähigkeit zu verlieren. Dies erhöht seine Fähigkeit, auf die unbewusste > Selbstregulation zu vertrauen. Er kann sich auch in seinen tieferen Schichten annehmen und sich ganzheitlich identisch fühlen. Er kann in der Imagination ungelebte Bedürfnisse ausleben und neue Verhaltensalternativen erproben. Dadurch wird sein Gefühl von Selbstvertrauen, Kompetenz und Wirksamkeit erhöht, was bedeutet, dass er sich als jemand erlebt, der etwas bewirken und schöpferisch tätig sein kann. Imaginationen können alleine, in Einzelsitzungen oder auch in Gruppen durchgeführt werden, was in mancherlei Hinsicht, z. B. wegen der vielfältigen Lernmöglichkeiten durch andere Teilnehmer, einige Vorteile hat. die > Katathym imaginative Psychotherapie hat ein spezielles Vorgehen in Gruppen entwickelt, in dem die Teilnehmer gemeinsame Imaginationen und Fantasiereisen unternehmen und indem, in den verschiedenen Phasen der Arbeit, auch unterschiedliche Haltungen eingenommen werden. Die Imagination findet beispielsweise im Liegen statt, die analytische Auswertung im Sitzen.
Literatur: Müller, L., Knoll, D. (1998): Ins Innere der Dinge schauen; Kast, V. (1988): Imagination als Raum der Freiheit; Seifert, A., Seifert, T., Schmid, P. (2003): Der Energie der Seele folgen; Singer, J., Pope, K. (Hrsg.) (1986): Imaginative Verfahren in der Psychotherapie.
Autor: L. Müller