Aktive Imagination
Keyword: Imagination, aktive
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Definition: Aktive (lat. activus: tätig, treibend, handelnd) Imagination (lat. imago: Vorstellung; imaginieren: sich vorstellen, bildhaft, anschaulich machen) ist eine von C. G. Jung entwickelte, 1916 erstmals erwähnte Methode. Er hat die aktive Imagination für einen wesentlichen Bestandteil einer analytischen Therapie, besonders in deren fortgeschrittenem Stadium gehalten. Durch sie könne der Patient lernen, sich eigenständig mit den tieferen Schichten seiner Seele auseinanderzusetzen und sich für das kreative Potenzial der Seele zu öffnen. Jung hat die aktive Imagination nur unsystematisch beschrieben, sie ist von Ammann, Hannah, Kast und Seifert ausführlicher dargestellt worden.
Information: Das Ich-Bewusstsein (> Ich/Ich-Bewusstsein) hat in der aktiven Imagination zunächst die Aufgabe, sich mit dem Unbewussten (> Unbewusstes) in Beziehung zu setzen. Es gestaltet die aus dem Unbewussten auftauchenden Bilder, Fantasien, Geräusche, Gerüche etc., gibt ihnen Form und Kontur, indem es mit ihnen in einen handelnden Dialog tritt. Dieses aktive Element unterscheidet die aktive von der nur passiven Imagination, die ein seelischer Elementarvorgang ist, in dem man sich eigentlich immer befindet und der dann auch in kreativen Äußerungen zutage tritt. Ausgangspunkt einer solchen aktiven Imagination kann ein realer > Konflikt sein, eine Komplexreaktion (> Komplex) eine schwer lösbare Frage, eine Fantasie, ein starke > Emotion oder eine Stimmung. Häufig ist es ein > Traum, der Fragen aufgeworfen hat. Der Sinn der imaginativen Erschließung ist dann das dialogisierende Weiterfantasieren. Entscheidend für das Gelingen ist dabei die Haltung des Ich-Bewusstseins zu den aufsteigenden Inhalten. Es lässt sie kommen, nimmt sie an, gibt ihnen freien Entfaltungsraum, es bewertet sie nicht. Diese Haltung ist auch eine grundlegende Übung zum "Geschehen lassen", zum "Tun im Nicht-Tun" um das "einfache Werden des psychischen Prozesses" zu erfahren. (vgl. Jung, GW 13, § 20) Dies ist in der Regel ungewohnt, weil man eigentlich immer bewertet, beurteilt, verwirft, bevorzugt und sich aus diesem aktiven Stellungnehmen nur sehr schwer entlassen kann, deshalb muss oft lange geübt werden, "bis der Bewusstseinskrampf gelöst ist, bis man, mit anderen Worten, geschehen lassen kann, was der nächste Zweck der Übung ist. Dadurch ist eine neue Einstellung geschaffen. Eine Einstellung, die auch das Irrationale und Unbegreifliche annimmt, einfach weil es das Geschehende ist. Diese Einstellung wäre Gift für einen, der sowieso schon vom schlechthin Geschehenden überwältigt ist; sie ist aber von höchstem Wert für einen, der durch ausschließlich bewusstes Urteil stets nur das seinem Bewusstsein Passende aus dem schlechthin Geschehenden ausgewählt hat und damit schließlich auch aus dem Strom des Lebens heraus in ein totes Seitengewässer geraten ist. " (Jung, GW 13, § 23)
Der erste Schritt in der aktiven Imagination ist das sich Einstellen auf die beschriebene Haltung des Geschehen lassen. Im zweiten Schritt geht es darum, sich in das Bild, die Situation, die Stimmung etc. hineinzuversetzen, und sich darin aufzuhalten, darin zu sein. Im dritten Schritt lässt sich das Ich-Bewusstsein aktiv in das Geschehen hineinziehen und handelt mit, entsprechend den spontan auftauchenden Impulsen. Während dieses Prozesses ist es oft hilfreich, zu berichten oder aufzuschreiben was geschieht. Dies mag zunächst als störend erscheinend, wird aber im Laufe der Übung ganz selbstverständlich und erhöht die Konzentration auf den Dialog. Im vierten Schritt können Elemente der aktiven Imagination gestaltet, gemalt, getont, gesungen, gespielt, getanzt werden - dabei ist wichtig, das für das jeweilige Element entsprechende Ausdrucksmedium zu finden. Im fünften Schritt wird der Verlauf der aktiven Imagination gedeutet (> Deutung > Verstehen), emotional und intellektuell verstanden und mit dem Konfliktpotenzial oder der Geschichte des Imaginierenden verknüpft. Dieser Prozess ist wichtig, um das Geschehene nicht isoliert stehen zu lassen, sondern in die Psyche einzubinden (> Durcharbeiten > Integration). Oft entwickelt sich eine aktive Imagination daraufhin weiter, wird ergänzt durch nachfolgende Träume etc. Unterstützende Anstöße eines Begleiters sind möglich, sollten jedoch sehr sparsam gegeben werden, das > Selbst soll die Führung behalten. Es ist auch möglich, Imaginationen in anderen Medien als dem Bild und der Sprache Ausdruck zu verleihen. So eignet sich z. B. Körperarbeit- und Bewegung (> Körper > Körperpsychotherapie > Prozessorientierte Psychologie) besonders, der Ausdruck der Hände oder das erwähnte > Malen aus dem Unbewussten, > Psychodrama > Tanz, das Tonfeld (> Tonfeld, Arbeit am) etc. Auch hierbei ist die Haltung des Ich als einer empfangenden Instanz wichtig, die die Impulse aufnimmt und verarbeitet, aber nicht aktiv gestaltet.
Literatur: Ammann, A. (1978): Aktive Imagination; Müller, L., Knoll, D. (1998): Ins Innere der Dinge schauen; Kast, V. (1988): Imagination als Raum der Freiheit; Seifert, A., Seifert, T., Schmid, P. (2003): Der Energie der Seele folgen.
Autor: D. Knoll