Angst
Keyword: Angst
Links: > Abwehr > Abwehrmechanismen > Affekt > Drachenkampf > Emotion > Integration > Konflikt > Lernen > Verhaltenstherapie
Definition: Angst (lat. angustus bzw. angustia „Enge, Beengung, Bedrängnis“ und angor „Würgen“) ist eine > Emotion, die signalisiert, dass eine Gefahr droht und Abhilfe geschaffen werden muss. Sie ist die emotionale Reaktion auf die Antizipation bedeutender Verluste oder Misserfolge, insbesondere in komplexen, mehrdeutigen Situationen, in denen eine adäquate Reaktion nicht möglich erscheint und Hilflosigkeit auslöst.
Information: Angst ist auf die Zukunft bezogen und äußert sich in einem unangenehmen Spannungs- und Erregungsanstieg, in Befürchtungsfantasien, Körperreaktionen (z. B. erhöhter Pulsschlag, Atemnot, Schweißausbruch, gesteigerte Blasen- oder Darmtätigkeit]]) und im Verhalten (z. B. Fluchttendenzen oder > Aggression). Die Gefahr kann von innen oder von außen kommen. Die Tiefenpsychologie hat zahlreiche innerpsychische und interpersonelle Angst-Inhalte benannt und mit der Entwicklung von seelischen Störungen in Verbindung gebracht: Die Todesangst, die Angst vor Verlust einer Beziehung oder vor dem Verlust der Liebe eines Menschen, die Trennungsangst, die Angst vor Nähe, die Schamangst, die Triebangst, die Überich-Angst, die Angst vor Auflösung und Fragmentierung der Persönlichkeit usw. Ist die Gefahrenquelle nicht auszumachen, spricht man von Angst, ist sie lokalisiert, von Furcht. Diese Unterscheidung lässt sich aber nicht durchhalten, weshalb im Folgenden unter Angst beide Aspekte verstanden werden sollen.
Die Biologie der Angst ist gut erforscht. Evolutionsgeschichtlich hat sie die wichtige Funktion als ein die Sinne schärfender und Flucht- und Kampfreaktionen bereitstellender Schutzmechanismus. Da übersehene Gefahren und Bedrohungen sehr folgenschwere Auswirkungen nach sich ziehen können (Verletzungen, Tod), ist der Schutzmechanismus Angst bei den meisten Menschen sehr empfindlich eingestellt, was bedeutet, dass er auch oft in Situationen reagiert und Gefahren antizipiert, die aktuell eigentlich nicht bedrohlich sind. Hirnphysiologisch wurde deutlich, dass hierbei Angstfantasien, neuronale Veränderungen und sich aufschaukelnde Erregungsmuster eng ineinandergreifen. Um die unangenehme Erregung zu bewältigen, werden psychische > Abwehr- oder auch Bewältigungsmechanismen eingesetzt, deren Funktion es ist, einen psychischen Zustand zu ermöglichen, in dem man sich mit der bedrohlich erscheinenden Situation auseinandersetzen und Lösungen finden kann. Findet keine konstruktive Auseinandersetzung mit der Angst auslösenden Situation statt und werden immer stärkere Abwehrmechanismen eingesetzt, kann sich eine Angstkrankheit entwickeln.
Es gibt es auch die Gefahrenkontrolle, um die Angst der Menschen zu minimieren: Wo eine Gefahr bekannt ist, wird etwas dagegen unternommen, um sie zu minimieren, oft auch auf Gesetzesebene. Das hat gelegentlich den Nachteil, dass man dann – etwa in einer Wohnstraße, in der man zu schnell fährt – Angst hat, ein Gesetz zu übertreten, anstatt Angst zu haben, ein Kind zu überfahren. Eine sinnvolle Angst wird so zu einer Autoritätsangst.
In der Angst selber und den mit ihr verbundenen neuronalen-physiologischen Vorgängen liegen viele Möglichkeiten, wie mit ihr sinnvoll umgegangen werden kann. Diese Möglichkeiten werden auch von den verschiedenen Therapierichtungen genutzt. Der Erregungsanstieg und die damit verbundene Spannung rufen nach Entspannung. Dieser Aspekt steht in Therapien, die am Verhalten ansetzen (> Verhaltenstherapie) oder mit dem Körper arbeiten, im Vordergrund. Die komplexe, mehrdeutige Gefahrensituation, die ein Gefühl der Bedrohung und der Ungewissheit auslöst, lässt Kompetenz und Sicherheit suchen (> Kreativität). Gefahrensituationen werden als noch komplexer erlebt und dadurch noch bedrohlicher, wenn Ängste, die im Laufe des Lebens entwickelt worden sind, angesprochen werden. (> Komplexe) Es sind die Fantasien, die Befürchtungsfantasien, die Angst auslösen, und die Fantasien haben immer eine Beziehung zur Lebensgeschichte. Klärungen und Verarbeitungen in diesem Bereich sind vor allem ein Anliegen der tiefenpsychologisch orientierten Therapien.
Die Hilflosigkeit lässt Hilfe suchen: Wenn man hilflos ist und sich ängstigt, wird Bindungsverhalten reaktiviert: Man sucht einen anderen Menschen, der helfen kann, vorausgesetzt, man hat erfahren, dass andere Menschen helfen können. Die Hilfe kann auch zunächst ganz pragmatisch erfolgen, etwa in einer Verhaltenstherapie. Grundsätzlich gilt, dass Menschen sich weniger ängstigen, wenn sie mit einem vertrauenswürdigen anderen Menschen zusammen sind, und Angst kann leichter bewältigt werden im Austausch mit einem zuverlässigen Menschen. Gerade weil ein vertrauenswürdiger anderer Mensch so wichtig ist im Umgang mit der Angst, können Ängste in der Beziehung als außerordentlich bedrohlich erlebt werden. Tauchen plötzlich Ängste auf, oder verschärfen sie sich, lohnt sich ein Blick auf Veränderungen im Beziehungsbereich. In der Angst wird man mit sich selbst konfrontiert, mit dem, was man sein kann, sein könnte und was man sein will. Wird die Herausforderung durch die Angst angenommen, kann ein Mensch sich entwickeln. Flieht ein Mensch ständig, wird sein Leben eingeengt und von anderen Menschen bestimmt. C.G Jung sagt in seinem prägnantesten Satz zur Angst: „Der junge Persönlichkeitsteil, der am Leben verhindert und zurückgehalten wird, erzeugt Angst und verwandelt sich in Angst.“ (Jung, GW 5, § 457)
Die Angst fordert heraus, neue Fähigkeiten und Einstellungen zu entwickeln, die sich auch in neuen Fantasien zeigen. Mut zur Angst ist gefragt: Das wird auch an den Angstträumen sichtbar, die einen großen Anteil aller Träume ausmachen, und für den Umgang mit den Ängsten hilfreich sind. So fordern Angstträume auf, beengende Situationen auszuweiten, die Aggression auch bei sich selbst zu entwickeln und in die Verantwortung zu nehmen, und sie nicht bei den anderen zu sehen und sie dann zu fürchten. Gerade die Angstträume weisen auch darauf hin, dass es wichtig ist, sich der eigenen Ressourcen bewusst zu werden. Mit mehr Kompetenz und sichererem Selbstwertgefühl kann man besser mit der Angst umgehen. Das archetypische Feld, auf das die Angst verweist, ist das Feld von Vernichtung, Tod und der Entschlossenheit zur Existenz.
Literatur: Hüther, G. (1997): Biologie der Angst; Kast, V. (1996): Vom Sinn der Angst; Strian, F. (1995): Angst und Angstkrankheiten.
Autor: V. Kast