Mystik

Aus aip-lexikon.com
Version vom 17. Juli 2024, 13:28 Uhr von de>Anlumue (1 Version importiert)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springenZur Suche springen

Keyword: Mystik

Links: > Anthropos > Bewusstseinszustände, veränderte > Einheitswirklichkeit > Ekstase > Funktion, transzendente > Mystos-Prinzip > Religion > Stein der Weisen > Transpersonale Psychologie > Unus mundus > Vision

Definition: Mystik (griech. 'myein': schließen; die Sinne den von außen kommenden Impressionen und Irritationen gegenüber abschotten, um sich für innere, vor allem religiöse Erfahrungen zu öffnen bzw. für diese bereit zu halten) bezeichnet eine besondere Form der Religiosität (> Religion > Spiritualität), bei der der Mensch durch Hingabe und Versenkung zu persönlicher Vereinigung mit Gott (> Gottesbild) zu gelangen sucht. Elemente eines so gearteten Gotterlebens und -erkennens sind in allen Hochreligionen in Geschichte und Gegenwart verbreitet. Von den je verschiedenen soziokulturellen Gegebenheiten her (> Gesellschaft > Kollektiv) gibt es kein mystisches Einerlei, auch keine mystische Ober-Religion, sondern es handelt sich jeweils um die Mystik einer bestimmten Religion. Die Vielfalt der Zeugnisse mystischer Erfahrung zeigt, dass es nicht nur verschiedene Grade und Intensitäten des Ergriffenseins gibt (> Archetyp > Numinoses), sondern auch verschiedene Zugänge.

Information: Während z. B. Meister Eckhart das Erlebnis eines spirituellen Durchbruchs betont, der von Gott her erfolgt, kennen andere Mystikerinnen und Mystiker Stadien eines inneren Wegs, die durchlaufen werden müssen. (> Alchemie > Individuationsprozess) Hier lassen sich verschiedene Durchgänge einer vorbereitenden Reinigung des Gefühls- und Willenslebens, der spirituellen Erleuchtung schließlich das ersehnte Hochziel der Mystik, die Vereinigung mit dem Absoluten, die unio mystica, (> Coniunctio/Mysterium Coniunctionis > Hierosgamos) unterscheiden. Es kommt nicht selten zu allerlei Missverständnissen bzw. Missdeutungen, insbesondere dann, wenn paranormale (> Parapsychologie), psychosomatische, (> Psychosomatik) letztlich zu überwindende Begleiterscheinungen mit mystischen Erfahrungen verwechselt werden. Von außen betrachtet stellt die mystische Erfahrung infolge der Nichtaufweisbarkeit des Erlebten ein Problem dar, weshalb deren Zeugen sich paradoxaler Begriffe (> Paradoxie) bedienen müssen, die auf die ungegenständliche und transrationale Bedeutsamkeit des jeweils Benannten verweisen, also der Eigengesetzlichkeit entsprechend zu interpretieren sind. In der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) verdient die Mystik besondere Beachtung, weil es sich jeweils um die Erfahrung von etwas Archetypischem handelt, durch die der Ergriffene aus seiner Alltäglichkeit herausgehoben ist, zugleich aber auch deren Tiefe und Sinnhaltigkeit (> Sinn) erfährt: Das konkrete Jetzt und Hier wird bedeutsam. C. G. Jung sieht Mystiker als "Menschen mit einer besonders lebhaften Erfahrung der Vorgänge im kollektiven Unbewussten." (vgl. Jung, GW 18/1, § 218f) Auf die in diesem Zusammenhang gestellte Frage, ob es einen Unterschied zwischen archetypischen und mystischen Formen des Erlebens gebe, antwortete Jung, er mache keinen Unterschied zwischen beiden. Wenn er sich wiederholt mit dem schweizerischen Mystiker Bruder Klaus beschäftigt und ihn als "mein(en) Bruder Klaus" anspricht (vgl. Jung, GW 11, § 474f), dann nicht zuletzt der diesem zugeschriebenen "unorthodoxen Urvisionen" wegen, deren spiritueller Gehalt die konfessionellen Pferche zu einem überaus lebendigen und einzigartigen, zugleich vereinigenden "symbolischen Archetypus" hin transzendiert (vgl. Jung, GW 11, § 487). Die Frage, inwiefern das Mystische ein allgemein menschliches Phänomen und im Grunde jeder Mensch ein homo mysticus sei, veranlasst E. Neumann zu dem Hinweis, dass jede Erfahrung eines Numinosen, in welcher Gestalt diese auch immer an das Ich-Bewusstsein (> Ich/Ich-Bewusstsein) herantritt, als mystisch anzuerkennen sei. So gesehen, kann es nicht allein darum gehen, auf bestimmte Ausnahmegestalten hinzuschauen, die man gemeinhin als Mystiker und Mystikerinnen zu bezeichnen pflegt. Es gebe vielmehr so etwas wie eine "Ubiquität des mystischen Phänomens innerhalb der Menschheit". Dies berechtige zu der Feststellung, dass es theistische und atheistische, pantheistische und panentheistische, aber auch materialistische und idealistische, extravertierte und introvertierte, personale und transpersonale Formen mystischer Erfahrung gibt. (vgl. Neumann, 1953)

Literatur: Neumann, E. (1953 d): Der mystische Mensch; Neumann, E. (1955 b): Die Erfahrung der Einheitswirklichkeit und die Sympathie aller Dinge; Wehr, G. (1995): Europäische Mystik; Wehr, G. (2003): Christentum.

Autor: G. Wehr