Schamanismus

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Keyword: Schamanismus

Links: > Bewusstseinszustände, veränderte > Heiler, verwundeter > Heilung > Ekstase > Mana > Mana-Persönlichkeit > Psychopompos > Ritual > Transpersonale Psychologie

Definition: Der Schamanismus (sibirisch-tungusisch: saman: Mönch) ist eine der ältesten Traditionen der Menschheit, die auf Zehntausende von Jahren zurückgeht und in verschiedenen Formen innerhalb von unterschiedlichsten Religionen auftritt, z. B. in Nord- und Südamerika, Sibirien, Zentral- und Südostasien, Indonesien oder Ozeanien. Meist ist der Schamanismus an den Gesellschaftstypus einfacher nomadischer Sammler- und Jäger-Kulturen gebunden. In den wenig differenzierten gesellschaftlichen Schichtungen solcher Stammeskulturen übernimmt der Schamane oder die Schamanin eine heilige Rolle als]] > Heiler, Medizinmann, Herr der Geister, Medium und Hüter der Mythen mit dem entsprechenden Einfluss als religiöser Mittler zwischen Mensch und Jenseits. Durch seine archaische Ekstasetechnik (> Ekstase), als spezifischer Form veränderter Bewusstseinszustände, (> Bewusstseinszustände, veränderte) vermag sich der Schamane im seelischen Verlassen seines Körpers während Trancereisen Zugang zu verschaffen sowohl in das Reich der Toten, als auch in Bereiche des irdischen Lebens oder das der Götterwesen (> Gottesbild). Durch die Notwendigkeit seines, in diesem Zusammenhang vorausgegangenen, rituellen Todes (> Ritual), also der Aufgabe und des Überschreitens seiner menschlichen Identität (> Identität, personale) und profanen Verfasstheit wird der Schamane in die Lage versetzt, die Sprache des ganzen mehrschichtigen Universums und seiner geistigen Bewohner zu verstehen und seinen Einfluss dort auf entsprechende Weise geltend zu machen. Dabei können auch eigenen Hilfs- und Schutzgeister angerufen werden. Sie werden meist als Tiere "gesehen" und verleihen Kraft auf den Seelenreisen bei der Begegnung mit Götterwesen und Dämonen.

Information: Dem Schamanen ist der Einstieg bekannt, durch den er sich mittels asketischen Lebenswandels, Trommelrhythmen (> Musik) oder psychedelischer Pflanzen (> Psycholyse) unter starker Beteiligung von Affekten aus seiner Umgrenzung herauszutreten vermag zwecks Kontaktnahme zu inneren psychischen Wirklichkeiten. Er nimmt seine Seelenreisen selbststeuernd vor und empfindet die, ihm dabei geschehenden, Inhalte als real und außerhalb seines Körpers stattfindend. Die Formen dieser kosmischen Reisen und die in Zusammenhang damit stehende Funktion des Schamanen als Seelengeleiter (> Psychopompos) unterscheidet ihn von allen anderen mit religiös-magischen Fähigkeiten ausgestatteten Heilern wie Medizinmännern, Zauberern (> Magier), Priestern u. a. Die Erwählung zum Schamanen vollzieht sich meist in der > Adoleszenz durch erbliche Übertragung, Berufung durch die Geister, durch Schicksalsschläge oder auch aus eigenem Willen oder dem Wunsch des Clans heraus. Während der > [[Krise in der Inkubations- und Initiationszeit (> Initiation) zeigen sich dramatische psychische und körperliche Symptomatiken mit todesähnlichen Zerstückelungserlebnissen (> Desintegration > Integration), die jedoch durch die Einflussnahme archetypischer Kräfte (> Archetyp) zu Reorganisation und Rekonstruktion führen und eine Form der Erneuerung bzw. Wiedergeburt (> Heldenmythos) hervorrufen.

C. G. Jung sieht in der schamanistischen Symbolik (> Symbol) ähnlich wie in der Alchemie die Symbolik des Individuationsprozesses auf archaischer Stufe. (Vgl. Jung, GW 13, § 462; GW 11, § 447) Seine, während der Initiation erfolgte, psychische Metamorphose befähigt den späteren Schamanen zur Aufnahme seiner Lehrzeit: Von seinem Meisterschamanen wird er in dieser Zeit in das Eintreten in veränderte Bewusstseinszustände mit dem Kontakt zur Welt der Geister (> Unbewusstes9 eingeweiht und erfährt mehr über Mythen, Kosmologie, Rituale, Krankenheilung und sonstige Techniken des Schamanismus Nach vollzogener Weihezeremonie liegen seine beruflichen Aufgaben dann neben der Hauptfunktion des Seelenbegleiters somatisch Erkrankter oder Verstorbener - Suche und gegebenenfalls Zurückholen der jeweiligen Seelen mittels ekstatischer Seelenreise und aktivierter Hilfsgeister - in der Verabreichung von Kräuterarzneien, Massagen oder der Behandlung von Depressionen und Ängsten mit Konfliktlösung (> Konflikt > Neurose), Schuldlinderung (> Schuldgefühl) bei etwaigen Tabubrüchen (> Scham) und Götterbeschwichtigung. Für diese Tätigkeit verfügt der Schamane über eine überdurchschnittliche innere Kraft wie auch physische Konstitution. 

Literatur: Eliade, M. (1975): Schamanismus und archaische Ekstasetechnik; Findeisen, H., Gehrts, H. (1983): Die Schamanen; Walsh, R. N. (1992): Der Geist des Schamanismus.

Autor: C. Bartel