Sexualität als Symbol

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Keyword: Sexualität als Symbol

Links: > Coniunctio/Mysterium Coniunctionis > Eros-Prinzip > Geschlecht > Hierosgamos > Inzest > Inzestfantasie > Liebe > Sexualität > Symbol > Symbol, Gefahren

Definition: Der symbolische Aspekt der Sexualität kann sich in Bildern, aber auch in der faktischen Handlung der Sexualität als Symbol konstellieren. Die symbolische Sichtweise sexueller Fantasien und Handlungen weist über das unmittelbare Triebgeschehen, das Individuell-Lebensgeschichtliche und Individuell-Aktuelle hinaus. Sie kann objektstufig (> Objektstufe), z. B. als eine bildhafte Analogie zu zwischenmenschlichen Beziehungskonstellationen, Ausdruck einer Suche nach bestimmten Bezugspersonen bzw. nach Geborgenheit oder Kontakt sein. Sie kann auch subjektstufig (> Subjektstufe) etwa auf eine Anima- oder Animusthematik hinweisen. So ist es möglich, dass nicht die Sexualität als Symbol bzw. als Trieb die Ursache eines Konfliktes ist, sondern dass eine konflikthafte innere oder äußere Situation symbolisch über die Sexualität als Symbol ausgelebt wird, ohne dass dies erkannt wird.

Information: C. G. Jung stellt die Sexualität als Symbol damit in einen größeren Lebenszusammenhang, verbindet sie mit anderen seelischen Bedürfnissen, mit der > Liebe (> Eros-Prinzip), der Individuation und gibt ihr damit auch eine umfassende geistige Bedeutung und transzendierende Kraft. So kann ein Menschen auch daran erkranken, "dass er keine Liebe hat, sondern bloß Sexualität" (vgl. Jung, G W 11, § 499). Im Symbol der Sexualität ist für ihn auch die Sehnsucht des Menschen nach > Ganzheit und der Verbindung und Vereinigung von > Polaritäten dargestellt. So kann etwa die Suche eines Menschen nach dem undifferenziert gebliebenen inneren Weiblichen oder Männlichen oder nach dem > Selbst ihren Ausdruck in einer überwertigen oder pathogenen, nach außen gelebten Sexualität als Symbol ihren Ausdruck finden (> Agieren). In einer solchen Projektion kann auch ein Grund für die Sexualisierung von Beziehungen (> Eros-Prinzip in der Psychotherapie > Sexueller Missbrauch) liegen. Eine solche Überbetonung der Sexualität als Symbol kann sich entschärfen, wenn der unbewusste Hintergrund solcher Projektion verstanden und integriert wird.

Wenn die Sexualität als Symbol einer innerpsychischen Vereinigung gesehen wird, wird damit die konkrete körperliche Sexualität als Symbol keineswegs abgewertet, sondern sogar aufgewertet. Diese kann dadurch mehr das sein, was sie ist, frei von hoch aufgeladenen und übersteigerten Vorstellungen, die den Einzelnen und seine Sexualität als Symbol belasten. Der konkrete sexuelle Akt muss nicht mehr das erfüllen, womit er unbewusst verbunden wird und die spirituelle Dimension der Sexualität als Symbol kann auch ohne realen Vollzug erfahren werden. 

Innerhalb der sexuellen Symbolik, die über die konkrete Sexualität als Symbol hinausweist, kann auch das Inzestmotiv > Inzestfantasie erscheinen, in dem sich die "Vereinigung von Verwandtem respektive Gleichartigem" darstellt. Sexualität als Symbol kann darüber hinaus Symbol für religiöse Erfahrung sein (> Religion), denn: "Im religiösen Erlebnis begegnet der Mensch einem seelisch übermächtigen Anderen." (Jung, GW 10, § 655) In welcher Form das Religiöse, das Ganz-Andere, Heilende und Ganzmachende auftaucht, hängt vom Individuum ab. Es kann in seiner geistigen Form auftauchen aber genau so auch als ganz "ungeistiger" Drang wie Sexualität oder auch ein anderer Trieb. Dies ist abhängig davon, wie die Situation eines Menschen gerade ist, damit das auftauchende Symbol "den Menschen als Ganzes herausfordern und ihn zwingen (kann), als Ganzheit zu reagieren" (vgl. Jung, GW 10, § 655).

Entscheidend dafür, wie Sexualität als Symbol in der Psychotherapie angesprochen und bearbeitet wird, sind immer der individuelle Patient und seine individuelle bewusst-unbewusste Lebenssituation. Eine symbolische, subjektstufige und finale Betrachtungsweise (> Finalität > Subjektstufe > Symbol) alleine ist aber meist eben so wenig angemessen wie eine alleinige objektstufige (> Objektstufe).

Literatur: Stein, R. (1981): Inzest und Liebe; Wehr, G. (1986): Heilige Hochzeit.

Autor: S. Prager