Synthese

Aus aip-lexikon.com
Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr von Lutz (Diskussion | Beiträge) (1 Version importiert)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springenZur Suche springen

Keyword: Synthese

Links: > Beziehung > Beziehungsquaternio > Beziehung, therapeutische > Coniunctio/Mysterium Coniunctionis > Dualismus > Polarität > Wandlung > Wandlungszyklus, schöpferischer

Definition: Synthese (griech. syn: zusammen mit, übereinstimmend mit; thesis: Setzung) ist in der Chemie ein Verfahren, eine Substanz aus einfacheren Stoffen aufzubauen: in der Philosophie seit G. W. Hegels Ausarbeitung der Dialektik die Vereinigung verschiedener, möglicherweise auch gegensätzlicher Elemente als These und Antithese zu einem neuen, höheren Ganzen. Seit Plato soll die Dialektik (Gesprächskunst) dazu führen, durch den Dialog zur Schau der wahren Idee zu kommen - bei Plato durch Überredung, bei Aristoteles durch das Abwägen des Pro und Kontra und daraus erfolgender, definitiver Klärung. Hegel führt den idealistischen Gedanken in die Dialektik ein, dass Pro und Kontra nicht ein Entweder - Oder bleiben müsse, sondern dass aus beiden Positionen eine Mischung der berechtigten Vorstellungen hervorgehen kann, die einen progressiven Übergang auf eine neue Ebene der Erkenntnis mit sich bringt. Deshalb fügt er zu These und Antithese eine die beide Positionen einbeziehende, also die Gegensätze vereinigende und versöhnende, sie schöpferisch transzendierende Synthese hinzu. Als Vorläufer der Synthese bei Hegel kann der Gedanke der transzendentalen Synthese von I. Kant gesehen werden. Kant bezeichnet die Fähigkeit des menschlichen Bewusstseins, im verstandesmäßigen Erkennen, aus einer zunächst ungeschiedenen Vielfalt ordnend Zusammenhänge zu erkennen und als transzendentale Synthese zusammenzufügen.

Information: Für C. G. Jung ist die Vorstellung, unterschiedliche, ja gegensätzliche Positionen (> Gegensatz > Polarität) könnten zu einer höheren Synthese zusammengeführt werden, so grundlegend, dass er von der synthetisch-konstruktiven Methode der Analytischen Psychologie in Abgrenzung zur reduktiv-analytischen Methode der > Psychoanalyse spricht, um einen entscheidenden Grundzug seiner Psychologie zu kennzeichnen. Psychotherapie ist für ihn ein dialektisches oder auch dialogisches Verfahren (> Prozess, dialektischer). Zwar muss ein Therapeut allgemeine Kenntnisse und Theorien haben, kann diese aber nicht direkt auf einen individuellen Menschen übertragen und z. B. manipulierend ein Suggestiv-Verfahren als therapeutische Technik anwenden. Damit setze der Therapeut eine allgemeine Kenntnis oder Theorie als prinzipiell richtig und stelle sie über die individuelle Wahrheit des Patienten. Auch eine aristotelische Entweder-oder-Diskussion und Entscheidung ist in einem wirklichen Dialog eher eine Ausnahme. Stattdessen müssen die Positionen von Patient und Therapeut, wie im alchemistischen Prozess (> Prozess, alchemistischer), in den therapeutischen, dialektischen Prozess eingebracht werden, überprüft werden, sich auflösen, zersetzen, sterben und dann in beiden auf je persönliche Weise gewandelt neu entstehen. Damit findet in der Therapie für Patient und Therapeut ein synthetischer Prozess statt. Jung ist davon überzeugt, dass angesichts von schwierigen menschlichen Fragen, etwa wenn es um ethische Grundsätze (> Ethik > Moral) geht, der Therapeut seine eigene Wahrheit sozusagen als These für sich erarbeitet haben muss. Wenn er aber nicht bereit ist, auch z. B. angesichts von Schattenproblemen (> Böses > Schatten) oder ethischen Fragen, seine eigene Überzeugung in der Auseinandersetzung mit einem individuellen und konkreten Menschen dem alchemistischen Geschehen der Zersetzung auszusetzen, dann kann er weder therapeutisch beim Patienten etwas bewirken, noch sich selber lebendig halten.

Die Bedeutung der Synthese wird bei Jung nicht nur in Bezug auf das therapeutische Gespräch und die therapeutische Beziehung ausgearbeitet, sondern auch in anderen Zusammenhängen erkennbar. Die transzendente Funktion (> Funktion, transzendente) als Prozess und Fähigkeit, Bewusstes (> Bewusstsein) und > Unbewusstes zu verbinden, um zu einer neuen Einstellung zu kommen wie auch das Verständnis von Wesen und Funktion des > Symbols und die Vorstellung von der Gegensatzvereinigung im Mysterium coniunctionis, der unio mystica, der mystischen Hochzeit, der Todeshochzeit oder der Überwindung des Todes (> Thanatos) spiegeln beispielsweise dieses synthetische Konzept.

Etwas später als Jung, seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts hat der Italiener R. Assagioli, Arzt, Psychiater, Psychoanalytiker, auch in Abgrenzung gegen die > [[Psychoanalyse S. Freuds, die Psychosynthese entwickelt. Er geht von einem personalen und einem transpersonalen > Selbst und der Notwendigkeit der Selbst-Werdung im Sinne einer Synthese der unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile aus. Die Psychosynthese ist im deutschen Sprachraum nicht sehr bekannt geworden, wird aber aufgrund ihres ganzheitlichen, holistischen Ansatzes in Amerika von der Transpersonalen bzw. Humanistischen Psychologie aufgegriffen und weiterentwickelt. Außerdem verwendet ein Schüler und Mitarbeiter Jungs, H. Trüb, den Begriff der Psychosynthese. Im Laufe seiner Entwicklung setzt sich Trüb mit dem Selbstbegriff Jungs kritisch auseinander. Trüb ist von M. Bubers dialogischem Prinzip beeinflusst. M. Buber kritisiert den Selbstbegriff Jungs, weil er die Auseinandersetzung mit dem Du und die Bedeutung des Dialogs mit dem Mitmenschen anders auffasst als Jung. Trüb schließt sich dieser Buberschen Kritik an und stellt deswegen das dialogische Prinzip Bubers dem dialektischen Prinzip Jungs gegenüber. Die Kritik: Jungs Vorstellung von der dialektischen Beziehung sei eigentlich monologisch, es gehe vor allem um die Beziehung zum Selbst und beinhalte eine ungenügende Beziehung auf das Gegenüber als Realität und Welt. (Bishop, 1996) 

Literatur: Assagioli, R. (1978): Handbuch der Psychosynthesis; Bishop, P. (1996): C. G. Jung, Hans Trüb und die <<Psychosynthese; Schlegel, L. (1977): Die Psychodynamik der Polarität in der Psychologie von Jung.

Autor: A. Müller