Feminismus: Kritik an C. G. Jung: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Feminismus: Kritik an C. G. Jung
Links: > Anima/Animus: Klassische Auffassung > Bewusstsein, matriarchales > Bewusstsein, patriarchales > Bewusstsein, schöpferisches > Bewusstseinsentwicklung: Weibliche Stadien > Feminismus > Männliches und weibliches Bewusstsein > Matriarchat > Patriarchat
Definition: „Alles Verstehen [..] fällt unter die Kategorie des Zeitbedingten.“ (Jung, GW 14/I, § 207) – dieser Satz von C. G. Jung hat auch Gültigkeit für das, von ihm beschriebene, Frauenbild und seine Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Die feministische Kritik an Jung zielt vor allem auf sein zeitbedingtes Frauenbild und seine Beziehungen zu Frauen (z. B. Sabina Spielrein, Toni Wolff) ; auf ein asymmetrisches und von der historischen Geschlechterhierarchie bestimmtes Konzept von Anima/Animus (> Anima/Animus: Klassische Auffassung); auf die Vernachlässigung der Psychologie der Frau als autonomes Wesen und die Bedeutung der Beziehungen von Frauen zur Anima sowie zwischen Frauen (Mutter-Tochter-Beziehungen, Freundinnen und die Rollen von Frauen als Lehrerinnen, Heilerinnen usw.); auf Verzerrungen und Missdeutungen matriarchaler Symbolik durch androzentrische Sichtweisen.
Information: Auf den ersten Blick enthält Jungs Konzept eine Wertschätzung des Weiblichen (> Männliches und Weibliches Prinzip), die für seine Zeit ungewöhnlich ist. Die Beschreibungen archetypischer Bilder und Kräfte der Anima – von Jung als unbewusster weiblicher Seelenanteil im Mann verstanden – weisen allerdings eine Polarisierungstendenz [„Tendenz“ ist zu schwach] (> Gegensatz > Polarität) des Weiblichen auf: als Seelenführerin und Verführerin, nährende und fressende Mutter, Engel und Dämonin. Im Feminismus werden diese Beschreibungen heute als Bilder patriarchal geprägter Weiblichkeit verstanden, die bestimmt sind sowohl von Abwertung und Furcht, als auch von Idealisierung und Bewunderung des Weiblichen durch das Männliche.
Noch deutlicher wird für die feministische Perspektive die Voreingenommenheit einer patriarchalen Sicht, wenn man Jungs Beschreibungen des Animus – des innerseelisch Männlichen in der Frau – analysiert. Der Animus ist nach Jung „etwas wie eine Versammlung von Vätern und sonstigen Autoritäten [..] „ (Jung, GW 7, § 332), ein undifferenziertes > Logos-Prinzip, starr, uneinsichtig, streitsüchtig, weltverbesserisch, voller ungeprüfter Behauptungen und Meinungen. Jung bleibt in weiten Teilen in den Beschreibungen von Anima und Animus patriarchaler Denkschemata befangen.
Solche Einseitigkeiten und Verzerrungen im Anima-Animus-Konzept sind von verschiedenen Forscherinnen und Analytischen Psychologinnen und Psychologen aufgezeigt worden. Am radikalsten fordert U. Baumgardt die Abschaffung des Animus-Konzepts, da es sich nach ihrer Auffassung um einen gesellschaftlich bestimmten Komplex handelt (vgl. Baumgardt, 1987). V. Kast plädiert für eine Erweiterung und Korrektur im Verständnis von Anima und Animus als Archetypen (> Archetyp), die per definitionem seelisches Gemeingut beider Geschlechter, somit in der Psyche von Frauen und Männer vorhanden und in einer Vielzahl männlicher und weiblicher Seelenbilder und Paarkonstellationen nachweisbar seien (vgl. Kast, 1984).
Auch der weibliche > Individuationsprozess ist erst von Jungianerinnen der folgenden Generationen, aus Sicht der Frau, untersucht und verstanden worden. Von Bedeutung sind dabei weibliche Lebenserfahrungen und Lebensphasen: > Pubertät, Schwangerschaft, Mutterschaft (> Mutterarchetyp > Mutterbild), Wechseljahre, Altern als Frau, ebenso Partnerschaften, Berufsarbeit, weibliche Spiritualität (> Spiritualität, weibliche) [hier Verweis sinnvoll], d. h. das gesamte Spektrum von Lebenserfahrungen von Frauen. V. Kast verweist auf die Bedeutung der Mutter und des positiven Mutterkomplexes (> Mutterkomplex) für die Entwicklung von Mädchen (vgl. Kast, 1994) und in ihrem Buch über Freundinnen (vgl. Kast, 1992) auf die Bedeutung der Frau für die Frau (vgl. ebenso Dorst, 1998). In den Überblicksarbeiten von J. Christoffel (vgl. Christoffel, 1992), D. Heisig (vgl. Heisig, 1996) und I. Riedel (vgl. Riedel, 1998) sind neuere Perspektiven zur Psychologie der Frau zusammengestellt zu finden, die insgesamt die kreative Weiterentwicklung von Theorien im Bereich der Tiefenpsychologien und Analytischen Psychologie [Vorschlag: „Tiefenpsychologien“ (Pl.)] belegen.
Feministische Kritik hebt des Weiteren die Bedeutung des matriarchalen (> Bewusstsein, matriarchales > Matriarchat) Symbolsystems (> Symbol) neben der patriarchalen (> Bewusstsein, patriarchales > Patriarchat) Symboldeutung hervor und weist korrigiert [um unten sprachliche Doppelung zu vermeiden] auf Einseitigkeiten und Verzerrungen in Mythologie (> Mythos) und Religionsgeschichte (> Religion) hin. Hier sind vor allem auf die Arbeiten von G. Weiler (vgl. Weiler, 1985) und N. Goldenberg (vgl. Goldenberg, 1979) zu nennen. Märchen und Mythen ( > Märchen > Mythos), die nach Auffassung der Analytischen Psychologie Strukturmuster und Entwicklungsprozesse der > Psyche widerspiegeln, können aus männlicher und weiblicher Perspektive sehr unterschiedlich interpretiert werden. Während etwa E. Neumann die Eleusinischen Mysterien bestimmt sieht von den Themen Raub, Vergewaltigung und Todeshochzeit, geht es in der Interpretation von I. Riedel um das Mysterium göttlicher Mutterschaft und das Thema weibliche Fruchtbarkeit (vgl. Riedel, 1986). Mythen und Urbilder (> Urbild) des matriarchalen Symbolsystems verweisen auf ein ganzheitliches Verständnis des weiblichen Menschseins. Dies zeigt sich z. B. am Urbild der dreigestaltigen Göttin (> Mutter, Große), die die drei Aspekte der Schöpferin, Bewahrerin und Zerstörerin in sich vereint. Leben und Tod werden als ein Ganzes verstanden, und auch die patriarchale > Spaltung von > Körper und > Geist ist im Symbol der dreigestaltigen Göttin überwunden.
Ihr Bild misst jeder weiblichen Lebensphase ihren eigenen Wert zu. Weiblichkeit wird in diesen Bildern als Schöpfungskraft, Seins-Mächtigkeit, Selbstbewusstsein und Willensstärke verstanden. Matriarchale Bilder und Symbole ermöglichen damit ein neues umfassenderes Verständnis der persönlichen und kollektiven Identität von Frauen. [alte Version, da in der korrigierten Fassung Sinn verloren geht] nicht meine Anmerkg.
Die Erkenntnisse und Ergebnisse der Frauenforschung der letzten Jahrzehnte im Bereich der Archäologie, > Kunst, feministischen Theologie, Religionsgeschichte, Soziologie und Psychologie haben insgesamt zu einem vertieften Verständnis der matriarchalen Symbolik, weiblicher Urbilder und Gottheiten sowie der Bedeutung der Frau als Kulturschöpferin geführt. Auf dieser Basis geht es auch für die Analytische Psychologie um Dekonstruktion und Neukonstruktion (> Konstruktivismus) grundlegender Konzepte im Verständnis der Geschlechter, der Geschlechterverhältnisse (> Feminismus > Patriarchat) [hier Verweis sinnvoll] sowie der Unterschiede und Gemeinsamkeiten weiblicher und männlicher Wege der Individuation.
Literatur: Christoffel, J. (1989): Neue Strömungen in der Psychologie von Freud und Jung; Dorst, B. (1988): Weibliche Ganzheit und matriarchale Symbole; Dorst, B. (1995): C. G. Jung und die feministische Kritik; Heisig, D. (1996): Die Anima; Riedel, I. (1998): Neue Konzepte des Weiblichen in der Jungschen Psychologie.
Autor: B. Dorst