Kollektivpsyche: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Kollektivpsyche
Links: > Bewusstsein, kollektives > Gesellschaft > Individualität > Individuation > Kollektivpsyche > Partizipation mystique > Persona > Unbewusstes, kollektives
Definition: Mit kollektiv (> Kollektiv > Psyche) bezeichnet C. G. Jung die bewussten und unbewussten Inhalte der Psyche, die nicht persönlich erworben, also Nicht-Ich oder aber unpersönlich sind. Gelegentlich spricht er in diesem Zusammenhang auch von der Objektimago, weil das kollektiv Psychische am Objekt projiziert erscheint. (vgl. GW 7) Aufgabe des Einzelnen ist, sich gegen das Kollektiv abgrenzen, um zu Ich-Bewusstsein zu gelangen. Der Einzelne entwickelt sich Jungs Vorstellung nach aus dem Kollektiv, also aus dem kollektiven Unbewussten (> Unbewusstes, kollektives) - in dem alle Möglichkeiten des Menschseins und des menschlichen Miteinanders angelegt und verankert sind (> Archetyp) -und auch in der Unterscheidung und Abgrenzung aus dem kollektiven Bewusstsein (> Bewusstsein, kollektives) den Normen und Regeln, Sitten und Gebräuchen der ihn umgebenden Bezugsgruppen von der Familie bis zum Volk und Staat.
Information: > Idenitfizierung und > Identität des Einzelnen mit der Kollektivpsyche führt zu > Regression oder zu Überforderung und > Inflation; eine > Differenzierung von ihr erscheint daher unbedingt erforderlich. Differenzierung, also Unterscheidung des Individuums von der Kollektivpsyche, ist aber nicht damit zu verwechseln, dass ein Individuum glaubt, sich aus dieser herauslösen zu können. C. G. Jung und später E. Neumann sehen nicht nur in der Vermassung und Nichtunterscheidung oder Inflation eine psychische Gefahr, sondern auch in einer übermäßig rational ausgerichteten, patriarchalen Bewusstseinseinstellung (> Bewusstsein, patriarchales). Dabei erlebt sich das Ich-Bewusstsein gegenüber der Kollektivpsyche als selbstständig und unabhängig und verliert die notwendige Verbindung zwischen Bewusstsein und Unbewusstem, zwischen Individuum und Kollektiv, zwischen Ich und Selbst. "Für die Entwicklung der Persönlichkeit ist also strenge Unterscheidung von der Kollektivpsyche unbedingtes Erfordernis, denn jede mangelhafte Unterscheidung bewirkt ein sofortiges Zerfließen des Individuellen im Kollektiven [...].. denn die Identität mit der Kollektivpsyche bringt ein Gefühl der Allgemeingültigkeit (..) mit sich, welche sich über die andersartige, persönliche Psyche des Mitmenschen einfach hinwegsetzt. (..) Dieses Hinwegsehen über das Individuelle bedeutet natürlich eine Erstickung des Einzelwesens, wodurch das Element der Differenzierung in einer Gemeinschaft ausgerottet wird.. Je größer eine Gemeinschaft ist, und je mehr die jeder großen Gemeinschaft eigentümliche Summierung der Kollektivfaktoren zuungunsten des Individuellen durch konservative Vorurteile unterstützt wird, desto mehr wird das Individuum moralisch und geistig vernichtet, und damit wird auch die einzige Quelle für den sittlichen und geistigen Fortschritt der Sozietät verstopft." (Jung, GW 7, § 240) Für Jung ist deswegen zentrales Ziel der > Individuation (> Individuationsprozess), dass der Mensch er selbst werden soll und Gegenpol zum Kollektiv, aber auch, dass er auf dieses zurückwirkt und Neues bewirkt. Der Held (> Heldenmythos > Heros-Prinzip) als archetypisches Bild dieses Prozesses spielt deshalb für ihn und dann bei Neumann als Großer Einzelner und Helden-Ich eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Bewusstsein und Kultur.
Jungs Positionen und Äußerungen zur individuellen und kollektiven Psyche sind in vielem eine Kritik gesellschaftlicher, kultureller, zivilisatorischer Phänomene seiner Zeit, die teilweise auch heute noch aktuell sind. Ihre Modernität erhalten sie zu einem großen Teil daraus, dass Jung erkennt, dass die individuelle und persönliche Psyche weder ihre Verbindung zur Kollektivpsyche kappen kann und soll, noch sich mit dieser identifizieren darf. Er beschreibt z. B. die Gefährdung des Individuums, die in der Faszination durch Archetypen liegt ebenso wie die Depression, Einsamkeit und Kälte einer nicht mehr mit den Archetypen in ausreichender Verbindung stehenden Ich-Haltung. Er beschreibt die Gefahr der Regressionsneigung, die in jedem Einzelnen, z. B. als Paradiessehnsucht oder Sehnsucht nach der Großen Mutter, wie auch als Sehnsucht nach dem Großen Vater, etwa in Ideologien und –ismen, oder als Wunsch nach Auflösung in einem größeren oder höheren Ganzen oder Kollektiv vorhanden ist. Jung und vor allem dann E. Neumann haben immer wieder betont, dass nicht eine > Regression auf die Ebene der Kollektivpsyche oder ich-losen archaischen Ursprungseinheit das Ziel der Individuation und des Mysterium coniunctionis (> Coniunctio/Mysterium Coniunctionis) ist, sondern dass es um eine ständige schöpferische Weiterentwicklung von Individuum und Gesellschaft im dialektischen und progressiven Sinne geht (> Bewusstseinsentwickung > Prä-Trans-Verwechslung).
Literatur: Evers, T. (1987): Mythos und Emanzipation; Neumann, E. (1949 a): Ursprungsgeschichte des Bewusstseins; Neumann, E. (1961): Krise und Erneuerung.
Autor: A. Müller