Diagnostik: Unterschied zwischen den Versionen

Aus aip-lexikon.com
Zur Navigation springenZur Suche springen
de>Anlumue
K (Textersetzung - „“ durch „“)
 
K (1 Version importiert)
 
(kein Unterschied)

Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Diagnostik

Links: Komplex > Neurose > Psychotherapie, analytische > OPD: Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik

Definition: Diagnostik (griech.: genau erkennen, beurteilen, unterscheiden) im psychotherapeutischen Sinn ist die Lehre vom Erkennen und vom unterscheidenden Abgrenzen (Differenzialdiagnose) von seelischen Störungen und Erkrankungen. Der diagnostische Prozess stützt sich auf Problem- bzw. Beschwerdeschilderung, Vorgeschichte und Untersuchung, wobei psychologische, psychosoziale, lebensgeschichtliche, soziale und biologisch-medizinische Befunde einbezogen werden. Im diagnostischen Interview werden durch Beobachtung und Berücksichtigung von Übertragungs-/Gegenübertragungsaspekten (> Übertragung/Gegenübertragung) Erkenntnisse gewonnen, die Hypothesen zur Persönlichkeitsstruktur und > Psychodynamik ermöglichen. Die Zusammenschau der psychopathologischen Einzelsymptome ergibt die Syndrom-Diagnose, das Einbeziehen der übrigen Befunde und des Verlaufs führt zur Erkrankungsdiagnose. Davon kann die Persönlichkeitsdiagnose, die Beschreibung der, vor Ausbruch der Erkrankung bestehenden, Primärpersönlichkeit abgegrenzt werden. Die Zuordnung zu Erkrankungsbildern setzt deren Klassifikation voraus.

Information: Die aktuellen Klassifikationsprinzipien ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation und DSM IV der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung haben die bislang übliche, jedoch wissenschaftlich nicht belegte Unterscheidung nach ätiologischen Gesichtspunkten in „endogen“ (griech.: von innen kommend, innen entstehend; Ursache meist unbekannt, jedoch organische Verursachung angenommen) und „psychogen“ (griech.: seelisch bedingt) und die Unterscheidung in Neurose und Psychose verlassen und stützen sich in der Diagnostik im Wesentlichen, unabhängig von Konzepten zur Pathogenese, auf phänomenologische Kriterien und deren Verlauf. Die meisten dieser diagnostischen Kategorien lassen jedoch keine hinreichenden Schlussfolgerungen zur > Psychodynamik und Entstehungsgeschichte (> Psychogenese) und für therapeutische Interventionen zu. Dies wird durch die, sich an psychodynamischen Variablen orientierende, Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (> OPD: Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik) angestrebt. Diagnosen sollen der Verständigung dienen und Aussagen zu Therapie und Prognose ermöglichen. Es gilt als anerkannter Grundsatz der Medizin, dass die Diagnose vor der Therapie steht.

C. G. Jung äußert sich zur Diagnosestellung in der Psychotherapie kritisch, warnt insbesondere vor voreiliger Festlegung (Jung, GW 3, § 539; GW 16, § 194-210). Wichtig sind für ihn die Anamnese und das Erkennen einer möglichen organischen Krankheit, wohingegen er die diagnostische Zuordnung zu einzelnen neurotischen Zustandsbildern, in Hinblick auf Prognose und Therapie, für wenig aussagefähig hält. Die Diagnostik ist für Jung immer nur vorläufig, der diagnostische Prozess solle die ganze Therapie begleiten. Jungs Anliegen ist der ganze seelische Mensch und dessen Behandlung. Das Wesentliche ist nicht das medizinische Krankheitsbild, sondern die Ganzheit eines Menschen, die hinter dem Schleier pathologischer Symptome verborgen ist.

Die Diagnostik der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) umfasst im Wesentlichen die folgenden Bereiche (vgl. Müller/Seifert, 2002): 1. die Symptomatik des Patienten, ihr psychogenetischer Ursprung und finaler Sinn (> Finalität) ; 2. den allgemeinen Entwicklungsstand der Persönlichkeit hinsichtlich z. B. ihrer Intelligenz, Differenziertheit, ihrer Lebensbewältigung und Beziehungsfähigkeit, ihrer > Abwehrmechanismen, der > Orientierungsfunktionen, der > Einstellung (introvertiert oder extravertiert) und der Beziehung zum > Selbst (> Ich-Selbst-Achse) ; 3. die Art und Ausprägung der pathologischen wie entwicklungsförderlichen Konflikte (> Konflikt) und Komplexe (> Komplex > Komplexdiagnose) ; 4. die archetypische Hintergrundsituation, die hinsichtlich der Persönlichkeit und Symptomatik des Patienten wirksam ist (Diagnose des archetypischen Wirkfeldes) ; 5. die Beschaffenheit jener Persönlichkeitsanteile, die als > Persona, > Schatten und Anima/Animus (> Anima/Animus: Klassische Auffassung) bezeichnet werden (Persönlichkeits-Struktur-Diagnose) ; 6. der Zustand der psychoenergetischen Aspekte (Lebendigkeit, Aktivität, Passivität, Flexibilität, Stabilität, > Progression > Regression; 7. systemische Aspekte (> Beziehung). Grundlage dieser Diagnostik sind neben den üblichen psychodiagnostischen Mitteln wie Symptomatik, Anamneseerhebung, Erscheinungsbild, aktuelles Verhalten des Patienten und gelegentliche Tests (z. B. Rorschach, TAT, SZENO, Jungsches Assoziationsverfahren) vor allem Ausdrucksformen des Unbewussten, wie sie in den Träumen (> Traum), Fantasien (> Fantasie), Imaginationen, im unbewussten Gestalten (z. B. Malen oder Modellieren) und auch im Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen (Übertragung/Gegenübertragung) zu finden sind.

Literatur: Dieckmann, H. (1991): Komplexe; Dieckmann, H. (1979): Methoden der Analytischen Psychologie; Stieglitz, R. -D., Freyberger, H. -J. (1999): Psychiatrische Diagnostik und Klassifikation.

Autor: T. v. Cube