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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Hexe
Links: > Anima/Animus: Klassische Auffassung > Bewusstsein, matriarchales > Hermes-Mercurius > Magie > Magier > Mana > Männliches und Weibliches Prinzip > Mutter, Große > Narr > Psychopompos > Schamanismus > Spiritualität, weibliche > Trickster > Weise, Alte >Weise, Alter
Definition: Die Hexe (ahd. hagzissa: ein sich auf Zäunen oder Hecken aufhaltendes dämonisches Wesen, auch Zaun-Weib oder Zaunreiterin) ist eine schillernde archetypische Figur, die in Verbindung mit dem > Magier (> Hermetik > Magie), dem > Mutterarchetyp und den Muttergottheiten (> Bios-Prinzip), auch dem > Narr und > Trickster (> Parapsychologie) gesehen werden kann. Der Glaube an Frauen mit besonderen magischen Fähigkeiten ist in allen Kulturen und Mythologien zu finden.
Information: Eine eindrückliche Beschreibung der Isis als der "mächtigen Allmutter Natur, Herrscherin der Elemente, erstgeborenes Kind der Zeit, Höchste der Gottheiten, Königin der Geister, Erste der Himmlischen, Gebieterin über Himmel, Meer und Unterwelt" findet sich in Apuleius Roman „Der goldene Esel“. Hekate, eine ausgesprochene Herrin der Hexen, vom offiziellen Kult kaum beachtet, umso mehr aber in privaten Kulten verehrt, zeigt die Ambivalenz der Hexen-Mutter-Göttin: Sie wird zunächst als Allgöttin und seit dem 5. Jh. v. Chr. als Spuk- und Zaubergöttin und als Göttin der Hexen betrachtet. Nachts zieht sie fackel- und geißelschwenkend mit ihrem wilden Heer umher und erschreckt die Menschen. Zu ihrem Gefolge gehören die Erinnyen und die Empusen. Außerdem ist Hekate mit Artemis gleichgesetzt und so als Frauengöttin und Geburtshelferin verehrt worden. Als Hekate ist sie die dunkle Mondgöttin und damit der dunkle und alte Aspekt der Demeter und ihrer Tochter Kore. Hekate wird auch als schlüsseltragend dargestellt, und sie kann mit ihrem Schlüssel den Menschen den Zugang zur Unterwelt, zu den elysischen Gefilden und zu einem glücklichen Erdendasein verschaffen. Sie gilt als Herrin der Wege und Schützerin der Weggabelungen. Dort, in der Unterwelt, treffen sich die > Geister, die zu ihr in ihrer Funktion als "Herrin der Gräber" und Fürstin der Totenseelen gehören. Wie die meisten der großen Muttergöttinnen selber, so sind auch ihre Priesterinnen, Seherinnen und Zauberinnen ambivalent, etwa Circe, Medea.
In der germanisch-nordischen Mythologie und Kultur überwiegt der dunkle Teil des Archetyps. Etymologisch steht der Begriff hier in enger Beziehung zu 1. Menschenfresser 2. liederliche Weibsperson und 3. Komödiant, Possenreißer, Spaßmacher, Lotterbub (> Narr). Die Hexe ist eine, meist ambivalent erlebte, magische Gestalt, die Zugang zu geheimen Wissen, vor allem auch zur weiblichen Weisheit, zu Bewusstseins-verändernden Substanzen (Hexensalbe), auch tödlichen Giften (> Alchemie) und zu magischen Techniken hat. Durch die Entwicklung der patriarchalen Gesellschaftsform (> Patriarchat) und Bewusstseinsebene werden die Muttergottheiten und die, ihnen zugeordneten, weisen Frauen und ihr anderes Wissen um die Dinge in den Untergrund, ins gesellschaftliche und religiöse Abseits, in den Wald, ins Dunkel gedrängt. Dort leben vor allem die Angst machenden und bedrohlichen Seiten weiter. Eine beeindruckende literarische Zusammenfassung der dunklen Hexenvorstellungen findet sich z. B. in Goethes Faust.
Es kann vermutet werden, dass die Hexen im Mittelalter so unerbittlich und grausam verfolgt worden sind, weil sie ein Symbol für die eigenständige und mächtige Frau sind, die sich nicht so leicht beherrschen lässt. Sie weiß über Fruchtbarkeit, Schwangerschaft, Abtreibung und Geburt Bescheid und beherrscht weitgehend die damalige Medizin. Sie ist dem Mond, der Nacht und der Natur, der > Intuition und dem Gefühl (> Fühlen/Fühlfunktion) nahe (> Bewusstsein, matriarchales) und damit dem, von der Natur, sich lösenden und zum Intellekt (> Denken/Denkfunktion > Logos-Prinzip) hinwendenden Bewusstsein (> Bewusstsein, patriarchales) unheimlich. Sie macht Angst, weil sie anziehend und unwiderstehlich ist und den Mann ständig an seine > Sexualität (> Inzest > Kastration/Kastrationskomplex), an seine Instinkthaftigkeit (> Bios-Prinzip > Instinkt) und an seine Schwäche und Abhängigkeit von Frau und Materie, an seine Herkunft und Endlichkeit erinnert.
Die Hexe als die Große Göttin und weise Frau (> Weise, Alte) ist im > Feminismus und in der weiblichen Spiritualität (> Spiritualität, weibliche) wiederentdeckt worden. Nicht nur in den Mythen, Märchen und Sagen, auch in moderner Kinderliteratur und - filmen wie auch in > Literatur und Filmen (> Film, populärer) taucht die Hexe bis heute in ihrer ganzen Ambivalenz auf: als helfende, heilende und weise, als tricksterhafte, magisch starke, als lockende, verführerische, gefangensetzende, bedrohliche und vernichtende weibliche Gestalt.
Im therapeutischen Prozess bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen können Hexenaspekte, in kompensatorischer Funktion, beispielsweise in Angst- und Rivalitätssituationen, in Macht- und Selbstwertkonflikten erscheinen. Als heilende Hexe kann sie ins Unbewusste und in die > Regression, damit zum > Körper, zu weiblicher > Identität oder zum matriarchalen Bewusstsein (> Bewusstsein, matriarchales) und zum Selbst führen. Als Machthexe und Todesmutter kann sie auf eine menschenfressende, verschlingende, vergiftende und gefangensetzende Dynamik verweisen und als verführerische Hexe, verwandt mit der Umherschweifenden und liederlichen Weibsperson, die Sexualität (> Eros-Prinzip) in ihren unterschiedlichen Aspekten thematisieren, usw.
Literatur: Biedermann, H. (1974): Hexen; Dürr, H. -P. (1982): Traumzeit.
Autor: A. Müller