Hermes-Mercurius

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Keyword: Hermes-Mercurius

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Definition: Hermes-Mercurius ist in der griechisch-römischen Mythologie der Götterbote, der Botschaften zwischen den Göttern des Olymp, den Menschen und den Göttern der Unterwelt vermittelt. Als solcher ist er der Gott der vermittelnden Kommunikation, des freien Informationsflusses und ihm unterstehen die unterschiedlichsten Kommunikationsmedien -heute nicht zuletzt auch das > Internet.

Information: Er gilt in der griechischen Mythologie auch als der Herr der Wege und Kreuzungen, und damit als Gott der Menschen, die wie er aus den verschiedensten Gründen und mit den verschiedensten Zielen unterwegs sind: Wanderer und Reisende, Händler, Kaufleute, Boten, Diplomaten, aber auch Abenteurer, Agenten und Landstreicher unterstehen seinem besonderen Schutz sowie alle diejenigen, die auf dem Weg, auf der Reise zu sich selbst sind (> Psychopompos). Hermes-Mercurius gilt als schlau, listig, trickreich, fingerfertig und in vielerlei Täuschungskünsten bewandert (> Trickster). Er ist damit auch der Schutzpatron der Diebe und Betrüger, der Taschenspieler, der Propagandisten und Werbefachleute. Er deutet die Fakten so, wie er es braucht (> Hermeneutik) und arbeitet dabei mit den Techniken der Rationalisierung, Intellektualisierung, der Umdeutung und der Doppel- und Vieldeutigkeit seiner Aussagen. K. Kerenyi bezeichnet diesen tricksterhaften Hermes als den Geist der Unordnung, den Feind von Begrenzungen und eingrenzenden Ordnungen. Er taucht überall dort auf, wo es um Auflösung alter, festgewordener Strukturen und Veränderung geht. Sein Lebenselement ist die Dunkelheit der Nacht, aber auch das Zwielichtige, Nebelhafte, Ungewisse und sein Hauptcharakteristikum ist seine polare, paradoxe Natur, die ihn befähigt, sich nicht mit einem Gegensatz zu identifizieren, sondern zu Menschen und Dingen in einer eigentümlichen Distanz und emotionalen Beziehungslosigkeit zu bleiben. Dadurch überschreitet er jedes festgelegte, eindeutige und damit einseitige System, sei es nun ein Bewusstseinssystem, ein Normensystem oder ein Gesellschaftssystem. Überall, wo er auftaucht, da erzeugt Hermes-Mercurius Irritation, Erschrecken, Angst und Wut, aber auch Überraschung, Erstaunen, Freude und Lachen.

Die > Analytische Psychologie ließe sich in vieler Hinsicht als eine hermetisch-mercuriale Psychologie bezeichnen: Zentrale theoretische Grundpositionen, wie z. B. die > Polarität des Psychischen, die Bedeutsamkeit des Symbols (> Symbol) und der transzendenten Funktion (> Funktion, transzendente), die Wandlungsstrebefähigkeit der Seele, die Gegensatzvereinigung (> Coniunctio/Mysterium Coniunctionis) und die hermaphroditische (> Hermaphrodit) > Ganzheit des > Selbst sind der Psychologie des Hermes-Mercurius zugehörig. Am eindrücklichsten begegnet Hermes-Mercurius dem Leser von C. G. Jungs Alterswerk, der Auseinandersetzung mit der > Alchemie, wo Jung sich unablässig bemüht, die Parallelen des alchemistischen Vorganges zum kreativen Wandlungs- und Bewusstwerdungsprozess im Menschen aufzuzeigen. (> Kreativität > Kreativität, Phasen der) Dem Leser, der sich diesen späten "hermetischen" Werken Jungs nähert, kommen sie oft so dunkel, unverständlich, widersprüchlich und "hermetisch" (> Hermetik) vor, wie die alchemistischen Werke selbst. Das ist nicht verwunderlich, denn im Zentrum der alchemistischen Betrachtungen steht die Figur des ungreifbaren Hermes-Mercurius. Hermes-Mercurius ist nur in seinen vielen widersprüchlichen und paradoxen Gestaltungen erfahrbar, er steht für eine Sache, die unserem Bewusstsein letztlich unbekannt und unverständlich bleiben wird, nämlich für die > Ganzheit des Selbst, welche wiederum nach einer anderen Definition die Summe aller Paradoxien (> Paradoxie) der Psyche ist. Das > Selbst ist seinem Wesen nach paradox und widersprüchlich, insofern es, unserem Bewusstsein unvereinbar erscheinende, Gegensatzpaare in sich vereint. Das Mercuriale wird immer an der dünnsten, schwächsten, "unbewusstesten" Stelle des Bewusstseinssystems wirksam - an der Schwelle zur umfassenderen Dimension unseres Wesens. Dadurch vermag es das Bewusstseinssystem aus Einseitigkeiten zu befreien, es zu entspannen und zu erweitern, aber auch, es mit der Gefahr der Auflösung zu bedrohen, wenn es zu labil ist. Umgekehrt wird überall da, wo es um Schwellensituationen und um Systeme geht, die an ihre Grenzen gekommen sind, der Archetyp des Hermes-Mercurius konstelliert.

Literatur: Kerenyi, K. (1943): Hermes der Seelenführer; Lopez-Pedraza, R. (1983): Hermes oder die Schule des Schwindelns; Müller, L. (1989): Magie.

Autor: L. Müller