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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Lehranalyse
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Definition: Die Lehranalyse (germ. laisti - Fußspur: nachgespürt haben, erfahren haben, wissend gemacht worden; griech. analysis: Auflösung, Zerlegung, Zergliederung eines Ganzen in seine Teile; Untersuchung eines Sachverhaltes auf seine Bestandteile) ist eine der zentralen Säulen jeder Ausbildung zum Psychoanalytiker und analytischen Psychotherapeuten, gleich ob er oder sie der analytischen Tradition von S. Freud, C. G. Jung, A. Adler oder einer anderen angehört.
Information: Jung weist als erster auf die Notwendigkeit einer Lehranalyse für Psychotherapeuten hin und ist sich darin mit Freud (> Freud-Jung-Beziehung) einig. Freud äußert sich mit Hochachtung: "Ich rechne es zu den vielen Verdiensten der Zürcher analytischen Schule, dass sie die.. Forderung (gestellt) hat, es solle sich jeder, der Analysen an anderen ausführen will, vorher selbst einer Analyse bei einem Sachkundigen unterziehen." (Freud, GW 8, S. 382) Jungs Forderung ist konsequent angesichts seiner Betonung der Bedeutung der Persönlichkeit des Analytikers für jede analytische Psychotherapie und angesichts der von ihm beschriebenen Beziehungsdynamik in der Therapie (> Beziehung, therapeutische > Beziehungsquaternio > Heiler, verwundeter > Prozess, dialektischer > Übertragung/Gegenübertragung): "Schwere Fälle bedeuten für den Patienten sowohl wie für den Arzt nichts Geringeres als eine menschliche Bewährungsprobe. Dafür soll letzterer so gut wie möglich durch eine ernsthafte Lehranalyse ausgerüstet werden. Sie ist gewiss kein ideales und absolut sicheres Mittel, um Illusionen und Projektionen zu verhindern. Sie kann aber dem angehenden Psychotherapeuten wenigstens die Notwendigkeit der Selbstkritik demonstrieren und eine gewisse Bereitschaft dazu unterstützen." (Jung, GW 16, § 239)
Die institutionelle Lehranalyse wird 1918 (vgl. Sandler, 1982) eingeführt. Mit Gründung des Jung-Institutes in Zürich am 24. April 1948 beginnt die institutionelle Ausbildung in Analytischer Psychologie (> Analytische Psychologie), die neben der Theorievermittlung und Kontrollanalysen auch die Lehranalyse beinhaltet. In der Regel bedeutet Lehranalyse, berufsbegleitend während einer mindestens fünfjährigen analytischen Ausbildung in einer analytischen Beziehung (> Beziehung, therapeutische) zu einem Lehranalytiker zu sein. Üblich ist eine Stundenfrequenz von 2 bis 4 (maximal 5) Stunden pro Woche. Eigentliches Lehren im Sinne des Unterrichtens, Unterweisens, Kenntnisse Vermittelns gehört eher in den Bereich der Theorieausbildung und der technisch-kasuistischen Seminare. Die Lehranalyse ist im Wesen nichts anderes als eine therapeutische analytische Psychotherapie bzw. > Psychoanalyse, aber sie unterscheidet sich von dieser erheblich durch das Ziel, als Psychoanalytiker/Psychotherapeut qualifiziert zu werden bzw. erfolgreich solche auszubilden. Sie unterscheidet sich weiter von der therapeutischen Analyse darin, dass der Lehranalytiker meist am selben Ausbildungsinstitut lehrend tätig ist, in dem der Auszubildende seine theoretische Ausbildung absolviert. Darüber hinaus ist die Lehranalyse durch den Umstand charakterisiert, dass der Ausbildungskandidat denselben Beruf anstrebt, wie sein Analytiker. Aus diesen Gründen wird nach größtmöglichem Abstand zur Wahrung der > Abstinenz gesucht und ist das "non-reporting-system" eingeführt worden, wonach der Lehranalytiker das Ausbildungsinstitut nicht über den Verlauf der Lehranalyse unterrichten darf. Im Allgemeinen wird zudem verlangt, dass Lehranalytiker und Kontrollanalytiker/Supervisor für denselben Ausbildungskandidaten nicht identisch sein dürfen. Zentraler Gedanke in der Schaffung des institutionellen Rahmens der Ausbildung ist, dass das "Lernen durch Erfahrung und die Erfahrung des Lernens" (vgl. Wellendorf, 1995) nicht auf die Lehranalyse fokussiert wird und diese möglicherweise überfordert, sondern als Herausforderung an das gesamte psychoanalytische Ausbildungssystem verstanden werden kann: "Die Wege und (insbesondere) Irrwege der Praxis der Lehranalyse (..) erlauben meines Erachtens jetzt schon eine eindeutige weitere Festlegung: Selbsterfahrung kann nicht innerhalb der Ausbildungsorganisation einer Ausbildungs-Institution, eines Institutes oder einer Klinik stattfinden. Ihr Vollzug muss ein persönlicher, privater sein. Ansonsten liegen Ausbeutung, Indoktrination, Sektenbildung und Abhängigkeitsfixierungen allzu nahe. Da es sich hier um soziodynamische Folgen des "Allzu-Menschlichen" handelt, gilt dies ganz gewiss nicht nur für die psychoanalytische Ausbildung, sondern für alle denkbaren Ausbildungsformierungen. " (Enke, 1996, S. 1194)
Trotz aller Diskussionen um die Unvollkommenheiten und Unvollständigkeiten in der Lehranalyse ist zu betonen, dass die Lehranalyse einen "konkurrenzlosen Erfahrungshorizont" für die Erreichung therapeutischer Kompetenz darstellt. (vgl. Enke, 1996, S. 1195) Eine Lehranalyse fördert die Fähigkeit zur Selbstanalyse, um "eben jene 'eigenen Komplexe und inneren Widerstände' zu erkennen und zu überwinden, wie sie.. in der Behandlung auftreten" (Streeck, 1993, S. 422). Die Lehranalyse fördert die Entwicklung eines seelischen Binnenraumes für den Behandler und neben der symbolischen Einstellung (> Einstellung, symbolische), der aktiven Imagination (> Imagination, aktive) und der Selbstreflexion wird zudem die Fähigkeit zur > Supervision, zur (kollegialen) > Intervision und zu anderen Möglichkeiten der Psychohygiene (wie > Balint-Gruppenarbeit) gefördert. (vgl. Thomä, H., 1991, S. 482)
Lehranalyse kann zudem auch als eine Form der > Initiation verstanden werden - etwa wenn die analytischen Schulen mit den Philosophenschulen der griechisch-römischen Antike verglichen werden. (vgl. Ellenberger, 1996, S. 765)
Literatur: Streeck, U., Werthmann, V. (Hrsg.) (1992): Lehranalyse und psychoanalytische Ausbildung; Thomä, H. (1991): Idee und Wirklichkeit der Lehranalyse.
Autor: S. Alder