Eros-Prinzip in der Psychotherapie

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Keyword: Eros-Prinzip in der Psychotherapie

Links: > Akzeptanz > Beziehung > Empathie > Eifersucht > Eros-Prinzip > Ekstase > Freude > Glück > Inzest > Liebe > Pentaolon-System > Schönes > Sexualität

Definition: Die psychotherapeutische Forschung ist sich heute weitgehend darüber einig, dass eine therapeutische Beziehung, die von > Akzeptanz > Authentizität > Empathie > Wertschätzung und > Liebe geprägt ist, der machtvollste Faktor für Heilung, Wachstum und Reifung ist (> Wirkfaktoren, psychotherapeutische). Gleichzeitig ist Eros das Prinzip, das in der Psychotherapie oft Schwierigkeiten bereitet, vermutlich, weil man sich der Macht, dem Zauber und der Verführungskraft des Eros nur schwer entziehen kann. Hinzukommt, dass es in der Moderne keine Kultur des Eros gibt und dass darüber nur wenig offen gesprochen wird. Die vielen unterschiedlichen Formen menschlicher Begegnung sind wenig vertraut, und Menschen haben oft Angst, sich ihrer Liebessehnsucht und Liebe in der therapeutischen Beziehung bewusst zu werden.

Information: Das Eros-Prinzip kann sich innerhalb des therapeutischen Prozesses in verschiedener Weise konstellieren: 1. durch positive Emotionen (> Emotion) und Stimmungen, Lachen und > Humor > Freude, Spielerisches, kreative Atmosphäre; 2. durch > Interesse und Begeisterung für > Kunst, Philosophie, Wissenschaft; 3. durch Sympathie, die Voraussetzung für das Zustandekommen einer Analytischen Therapie; 4. durch eine gewisse erotische Spannung, in der dem Wesen der Erotik entsprechend das Spielerische und Unreale erhalten bleibt: Die erotische Beziehungsqualität erfüllt die Bedingung des sowohl Existierenden als auch Nicht-Wirklichen, in der Schwebe Gehaltenen; 5. durch erotische und sexuelle Fantasien und Wünsche, Verliebtheit und Gefühlen der Zuneigung und Liebe bei Patient und Therapeut. die Analytische Zweier-Situation ist in hohem Maße dazu prädestiniert, ein Ort der Entfaltung dieser Fantasien und Gefühle zu sein: gefördert durch die Ermutigung zur Offenheit, entsteht persönliche Nähe, Vertrautheit und Intimität.

Die klassische > Psychoanalyse hat zwar den Eros als Liebes- und Genussfähigkeit zu einem ihrer zentralen therapeutischen Anliegen gemacht, ihn aber zugleich abgewehrt, indem sie ihn auf die eine oder andere neurotische oder unentwickelte Form ödipaler oder präödipaler Art reduziert hat. Erotische Gefühle des Therapeuten sind als Hinweis auf eine neurotische Blockade beim Patienten betrachtet worden. Auch die > Analytische Psychologie ist der Komplexität des Eros ausgewichen. Erotische und sexuelle Fantasien (> Sexualität > Sexualität als Symbol) werden als Symbol für Sehnsucht nach Vereinigung mit dem inneren Gegengeschlecht (> Anima/Animus: Klassische Auffassung > Coniunctio/Mysterium Coniunctionis > Hierosgamos > Inzestmotiv) oder mit dem > Selbst verstanden. Hinter der Ausschließlichkeit, mit der diese Vorstellungen oft vertreten werden, scheint eine starke Angst vor der faszinierenden Kraft des Eros zu stecken. Inzwischen besteht innerhalb der > Psychoanalyse und der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) die Auffassung, dass nicht die Existenz von Liebe und sexuellen Wünschen zwischen Patient und Therapeut gefährlich ist, sondern der nicht professionelle Umgang damit.

Neben der Gefahr des konkreten sexuellen Missbrauchs von Patienten durch Therapeuten besteht auch die nicht ganz so offensichtliche, dass ein Therapeut die Beziehung insofern erotisiert und sexualisiert, als er unbewusstes Material und Themen menschlicher Beziehung, übermäßig akzentuiert, sexuell deutet oder dass er eigene Beziehungswünsche auf den Patienten überträgt. Der Gefahr des sexuellen Missbrauchs wird entgegen gewirkt durch die Verpflichtung zur > Abstinenz (> Ethikleitlinien) und durch ausreichend befriedigende private, erotische Beziehungen (Guggenbühl-Craig, 1978).

Aber nicht nur mit der Sexualität, sondern auch mit anderen positiven Gefühlen und Stimmungen, z. B. dem > Humor, dem Lachen, der > Freude, der Schönheit (> Schönes), der > Ekstase, die eigentlich nicht ganz so „gefährliche“ Eros-Aspekte sind, gibt es Schwierigkeiten in den Analytischen Therapierichtungen. Zwar liegt das in der Natur der Sache, denn die Patienten kommen ja gerade wegen ihres Leides und ihrer fehlenden > Kreativität und Lebendigkeit zur Therapie. Gleichzeitig aber liegen im ungelebten Eros-Prinzip gerade jene Potenziale, die der Patient zur Heilung braucht. Dennoch aber werden diese Themen in der Analytischen Literatur nur selten behandelt. Therapeuten übersehen diese Aspekte oft auch aus ihrer professionellen Orientierung an Leid, Konflikt und Not oder aus eigener Depression oder einem „Burn-out-Syndrom“ heraus (Müller, L., 1991)

Ein positiver Bezug zum Eros-Prinzip findet sich in der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) dort, wo nach den schöpferischen (> Kreativität > Schöpferisches), auf einen latenten Entwicklungssinn hin strebenden Impulsen (> Finalität) gefragt wird und zu entsprechenden Gestaltungen angeregt wird. Kast schlägt vor, neben der Krankheitsanamnese eine Freuden-Anamnese zu erheben, und das Schicksal positiver Erfahrungen wieder genauso zu beleben, vergleichbar der Vorgehensweise bei traumatischen Erfahrungen (Kast, 1991).

Literatur: Johnson, R. A. (1991): Ekstase; Mann, D. (1999): Psychotherapie: Eine erotische Beziehung; Kast, V. (1991): Freude, Inspiration, Hoffnung; Müller, L. (2001): Lebe dein Bestes; Stein, R. (1981): Inzest und Liebe.

Autor: L. Müller