Komplexdiagnose

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Keyword: Komplexdiagnose

Links: > Archetyp > Assoziationsexperiment > Diagnose > Energie > Hirnforschung > Konflikt > Libido

Definition: Komplexe sind die Brenn- und Knotenpunkte der > Persönlichkeit und bestimmen deren Eigenart. Sie machen sich vor allem bemerkbar, in dem sie Abweichungen von der Ich-Bewusstseins-Kontinuität hervorrufen. Zunächst mag es scheinen, dass die Komplexe (> Komplex) hauptsächlich pathogene Faktoren sind, weil ihre Wirksamkeit häufig in unangenehmen Zusammenhängen bzw. Fehlleistungen (> Fehlleistung), Missgeschicken, Unfällen, Trieb- und Affektdurchbrüchen, psychosomatischen Reaktionen und psychischen Symptomen erfahren wird. Bei genauerem Hinsehen aber stellen sie sich als zentrale psychische Struktur- und Steuerungselemente heraus, die das menschliche Erleben und Verhalten sowohl in normaler, als auch in störender Hinsicht in weitgehendem Maße bestimmen. Eine Übersicht über die zentralen Komplexe einer Persönlichkeit wäre einer Landkarte vergleichbar, die eine Orientierung im Hinblick auf die typischen Eigenarten und Verhaltensweisen eines Menschen ermöglicht. (vgl. Seifert, 1981, S. 285f) Kennt man die Komplexe eines Menschen, so wird sein Verhalten verständlich und in gewissen Grenzen voraussehbar. Allerdings kann jedes affektgeladene positive oder negative Ereignis zu einem Komplex werden, sodass es schwierig ist, eine allgemeine Systematik der Komplexe zu geben. Eine differenzialdiagnostische Differenzierung (> Diagnostik) nach folgenden Kriterien kann aber eine erste Orientierung vermitteln.

Information: Zuerst können Komplexebenen und Komplexgruppen unterschieden werden: 1. Komplexebenen: Individuelle Komplexe, die der individuellen Lebens- und Lerngeschichte entstammen; sozio-kulturelle Komplexe, die für die Gruppe, Gesellschaft und Kultur, in der man lebt, charakteristisch sind und durch den Sozialisationsprozess vermittelt werden; kollektive Komplexe, bzw. Komplexbereitschaften, die angeboren und allen Menschen gemeinsam sind. die > Analytische Psychologie bezeichnet die letzteren als Archetypen (> Archetyp). Entsprechend dieser Ebenen ordnen sich die einzelnen individuellen Teilkomplexe zu größeren Komplexverbänden, welche sich wiederum um einige Zentralkomplexe archetypischer Art gruppieren, und sich dann möglicherweise im Mutter-Vater-Eltern-Familien-Archetyp und schließlich im Einheits- und Selbst-Archetyp verbinden.

2. Komplexgruppen: a. Personale Komplexe, das sind Komplexe, die sich auf die eigene Person beziehen: Komplexe, die sich auf die > Identität und das Selbstwerterleben beziehen, wie der Minderwertigkeits- und Größenkomplex, Macht- und Ohnmachtskomplex, Dominanz- und Unterwerfungskomplex; Komplexe, die sich auf das eigene Aussehen und spezielle Körpermerkmale beziehen: etwa Schönheit, Hässlichkeit, Nase, Busen, Penis; Komplexe, die sich auf die eigenen Grundbedürfnisse beziehen: Essen, Sexualität, Geld; Komplexe, die sich auf existenzielle Situationen beziehen: etwa Krankheit, Älterwerden, Einsamkeit, Sinn, Tod; Komplexe, die besondere Interessen und Begabungen beinhalten: Kunst, Kleider, Computer; Komplexe, die sich auf Persönlichkeits-Aspekte der Individuation beziehen: Persona-, Schatten-, Anima/Animuskomplex.

b. Beziehungskomplexe, also Komplexdiagnosen, die sich auf Menschen und Tiere und die positiven/negativen Konstellationen mit ihnen beziehen wie z. B. der Mutterkomplex, Vaterkomplex, Elternkomplex, Bruder/Schwester/Geschwisterkomplex, Familienkomplex, Gruppenkomplex, Autoritätskomplex, Rivalitätskomplex, Trennungskomplex, Spinnenkomplex, Schlangenkomplex.

c. Objektkomplexe, d. h., die sich auf Erfahrungen mit der Umwelt beziehen: Höhenkomplex, Platzkomplex, Flugkomplex, Ertrinkenskomplex. Gelegentlich findet sich auch eine Bezeichnung eines Komplexes nach der vorherrschenden > Emotion, die das Erscheinungsbild dominiert, also z. B. sexueller Komplex, Eifersuchtskomplex, Neidkomplex, Schamkomplex, Schuldkomplex. Dies ist oft aber nicht präzis und differenzierend genug, da sich alle Komplexe definitionsgemäß durch eine spezielle emotionale Aufladung auszeichnen. Auch wenn eine Emotion dominiert und generalisiert ist, sollte man sich bemühen, den dahinter stehenden Grundkomplex herauszufinden. Je stärker ein Komplex aufgeladen, bzw. je kollektiver er ist, desto eher zeigt er sich in den Symbolbildungen Fantasien, Imaginationen, Träumen etc. (> Fantasie > Imagination > Traum) in archaisch-archetypischer Form, beispielsweise als wildes Tier, als Vulkanausbruch, als Dämon oder Gottheit.

Alle Komplexe lassen sich weiter nach positiv oder negativ, nach fest oder dynamisch, nach ursprünglich oder aktuell und nach ihrem Ausprägungsgrad (leicht, mittel, schwer) differenzieren. Auch kann man den enthaltenen > Konflikt näher kennzeichnen, denn mit dem stärkeren Komplex sind meist auch stärkere Konflikte verbunden (z. B. Annäherung - Vermeidung, Nähe - Distanz, Ausleben - Hemmung, Egoistische versus prosoziale Tendenzen). Schließlich lassen sich noch die interpersonellen Auswirkungen (Übertragung-/Gegenübertragungsreaktionen > Übertragung/Gegenübertragung), die ein Komplex hat, beschreiben, beispielsweise ob er eine lähmende oder begeisternde, infizierende Wirkung auf andere hat, ob Teile des Komplexes "kollusiv" (vgl. Heisig, 1999, Kast, 1990) von anderen Menschen übernommen werden (> Identifikation, projektive) oder welche kompensatorischen (> Kompensation) Reaktionen entstehen, um die einseitige Wirkung des Komplexes auszugleichen.

keine

Literatur: Dieckmann, H. (1991): Komplexe; Kast, V. (1980): Das Assoziationsexperiment in der therapeutischen Praxis; Kast, V. (1990): Die Dynamik der Symbole; Kast, V. (1994): Vater-Töchter Mutter-Söhne; Müller, L., Seifert, T. (1984): Urbilder der Seele; Ribi, A. (1989): Was tun mit unseren Komplexen?

Autor: L. Müller