Säuglingsforschung: Ergebnisse

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Keyword: Säuglingsforschung: Ergebnisse

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Definition: Die Säuglingsforschung (> Säuglingsforschung: Entwicklung) arbeitet mit technischen Hilfsmitteln wie z. B. Videoaufnahmen und hat differenzierte Experimente erarbeitet, mit deren Hilfe sie Säuglinge "befragen" kann. Die beobachteten Reaktionen der Kinder werden als "Antwort" auf die, im Experiment gestellte, Frage verstanden. (vgl. Dornes, 1993, S. 34). In die Ergebnisse werden auch psychologische Kognitions- und Affekttheorien, sowie neurophysiologische und neuropsychologische Forschungsergebnisse einbezogen. Ziel der Säuglingsforschung ist es, auf diese Weise über das beobachtbare Verhalten hinaus auch Hypothesen zum Erleben des Säuglings zu formulieren. Die Fragestellung lautet: Was bringt der Mensch von Geburt an mit, das sein Überleben, seine psychosomatische Reifung und Entwicklung organisiert und reguliert?

Information: Aus den bisherigen Ergebnissen wird auf angeborene Fähigkeiten und Auslösemechanismen, instinktive Grundbedürfnisse (> Instinkt > Bedürfnishierarchie) und > Motivationen geschlossen, denen diese Aufgabe zukommt und die sich sinnreich im Entwicklungsplan einordnen. Lebensnotwendig sind dabei die Austauschprozesse mit der entscheidenden Bezugsperson, meistens der Mutter. Man spricht vom "Grundplan des Säugling-Umwelt-Sytems." (> Urbeziehung > Uroboros)

Die Säuglingsforschung zeigt, dass ein Säugling sich sofort nach der Geburt von anderen Menschen unterscheiden kann. 1 bis 2 Monate nach der Geburt nimmt der Säugling bereits "instinktiv" sein eigenes > Selbst wahr, längst bevor er kognitiv "wissen" kann: das bin ich. Die Kleinkindforscher sprechen vom Selbst rein empirisch als vom "sense of self", dem Empfinden, selbst zu sein. Dabei sind sie davon überzeugt, dass die Selbstempfindung und deren Reifung das zentrale Anliegen des kindlichen Lebens ausmacht, während die Triebe und Triebschicksale Begleiterscheinungen der Selbstentwicklung sind.

Damit weichen sie von den klassischen psychoanalytischen Annahmen zur Bedeutung der Triebentwicklung ab. Das ganze Trieb-Konzept wird ersetzt durch die Vorstellung angeborener Motivationssysteme, die von den ebenfalls angeborenen Grundaffekten (> Affekt > Emotion) begleitet und verstärkt sind. (vgl. Lichtenberg et al. 2000). Während der Reifung des Selbst in den ersten 20 Monaten werden verschiedene Organisationsstufen beobachtet, die entsprechende Austauschprozesse zwischen Mutter und Kind bedingen.

Das Kernselbst (3. bis 7. Monat) benötigt die Bezugsperson als "den das Selbst regulierenden Anderen". Das intersubjektive Selbstgefühl (7. bis 15. Monat) gedeiht nur bei entsprechender "Affektabstimmung" zwischen Mutter und Kind. Das verbale Selbst (ab 15. Monat) bringt, zusammen mit dem beginnenden Spracherwerb, die erste Krise des Selbstverständnisses mit sich: „Indem Erleben an Worte gebunden wird, entsteht zunächst Isolierung vom spontanen Fluss der Erfahrung, wie sie im vorsprachlichen Zustand stattfand. Das Kind erlebt sich zum ersten Mal als entzweit und hat ganz zu Recht das Gefühl, dass niemand diese Teilung aufheben kann. "(Stern, 1992, S. 378).

Im Sinne der Analytischen Psychologie kann hier der Beginn der Herauslösung des eigenständigen Ichbewussteins aus der ursprünglichen Ganzheit im Unbewussten geortet werden, die z. B. im Symbol des Paradiesverlustes (Jaboby, 1980) bildlich dargestellt wird. (> Filialisierung des Ich > Ich-Selbst-Achse > Bewusstseinsentwicklung: Allgemeine Stadien) Jedenfalls benötigt das Kind zur Bewältigung dieser Krise ein beträchtliches Maß an Einfühlung vonseiten der Umwelt.

Es muss betont werden, dass die vier Organisationsformen des Selbstgefühls: auftauchendes Selbst, Kernselbst, subjektives und verbales Selbst (> Ich-Psychologie > Selbstpsychologie) zwar ihre Reifungsphasen haben, dass aber ihre jeweilige Qualität während des ganzen Lebens bestehen bleibt. Somit handelt es sich letztlich um archetypische Grundmuster (> Archetyp) des In-der-Welt-Seins. Diese Grundmuster können sich im Zusammenspiel mit der Umwelt entwickeln und differenzieren. Sie können aber auch verkümmern, undifferenziert und zum Teil abgespalten (> Spaltung) bleiben. Indem diese Organisationsformen als archetypische Grundmuster aufgefasst werden können, ist auch ihr Bezug zu Vorstellungen der Analytischen Psychologie und deren Praxis hergestellt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Säuglings-und Kleinkindforschung Hypothesen zur angeborenen seelischen Ausstattung aufstellt. Sie untersucht, auf welche Weise Beeinflussung durch Bezugspersonen wirksam wird und welche Art von Austauschprozessen den Grundbedürfnissen kindlicher Reifung förderlich oder aber hinderlich ist. Es sind also sehr detaillierte Untersuchungen, die sowohl für Kindertherapeuten als auch für Therapeuten Erwachsener wichtig sind. Sie bestätigen und differenzieren theoretische Konzepte der > [[Analytischen Psychologie und ihrer Entwicklungspsychologie und auch deren therapeutische Vorgehensweisen innerhalb des therapeutischen Dialogs.

Literatur: Dornes, M. (1993): Der kompetente Säugling; Jacoby, M. (1980): Sehnsucht nach dem Paradies; Jacoby, M. (1998): Grundformen seelischer Austauschprozesse; Stern, D. N. (1992): Die Lebenserfahrung des Säuglings.

Autor: M. Jacoby