Durcharbeiten
Keyword: Durcharbeiten
Links: > Erinnern > Erleben > Deutung > Differenzierung > Integration > Katharsis > Prozess, dialektischer > Psychotherapie > Psychotherapie, analytische > Wiederholen > Widerstand
Definition: Der Begriff Durcharbeiten erscheint bereits während der Anfangszeit der > Psychoanalyse. S. Freud und J. Breuer praktizieren die „kathartische Methode“ (> Katharsis) mit der Vorstellung, dass das Wiedererinnern von „pathogenem Material“ eine „reinigende“ und heilende Wirkung hat (Freud, S., Breuer, J., 1895). Bald wird ihnen klar, dass es nicht genügt, das Verdrängte beim > Erinnern nur intellektuell anzunehmen. Der eigentlich heilende Aspekt liege im affektiven Bereich, denn affektloses Erinnern sei fast immer völlig wirkungslos. Die beteiligten Affekte (> Affekt) müssten deshalb wie ursprünglich ablaufen, so lebhaft als möglich wiederholt und damit abreagiert werden, weil diese Affektabfuhr bei neurotischer Entwicklung bisher nicht geglückt ist. Stattdessen sei es zu einer > Verdrängung des Affektes gekommen. Wird die > Verdrängung „durch Befreiung des irregeleiteten Affekts und die Abfuhr desselben auf normalem Weg“ aufgehoben (Freud, GW 14, S. 300), führt die nun ermöglichte bewusste Verarbeitung zur Heilung.
Information: Im Laufe der Zeit verändert sich die kathartische Behandlungstechnik, das Schwergewicht der analytischen Arbeit wird auf die Bearbeitung der Widerstände (> Widerstand) verlagert, die sich dem > Erinnern entgegenstellen. Freud bezeichnet die therapeutische Arbeit zur Aufhebung der Widerstände als „schwere Arbeitsleistung“ für den Arzt und den Kranken (vgl. Freud, Vorlesungen GW 11, S. 469). In Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten (Freud, GW 10) wird das Durcharbeiten dann spezifischer beschrieben. Neu ist in dieser Trias das > Wiederholen, das auf die Aufhebung des Wiederholungszwangs abzielt, einem speziellen Widerstand (Es-Widerstand), der neben dem Ich-Widerstand besteht und sich dem Erinnern entgegenstellt. Die „pathogene Erinnerung“, als Spezialfall mit traumatischem Hintergrund, steht nur anfangs im Mittelpunkt der analytischen Arbeit. An ihre Stelle treten bald andere Elemente, wie z. B. die freie > Fantasie, Assoziationen (> Assoziation), Träume (> Traum) und besonders eine starke Betonung der verbalen Seite des Therapiegeschehens.
Die zunächst an traumatischen Hysterien (> Hysterie) entwickelten Prinzipien analytischer Arbeit, auch das Durcharbeiten, lassen sich generell auf die tiefenpsychologische bzw. analytische Arbeit (> Psychotherapie, analytische > Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte) übertragen. Auch wenn C. G. Jung in wichtigen theoretischen Fragen andere Positionen vertritt als Freud, so wird die Übertragbarkeit des Prinzips der Durcharbeitung auf die > Analytische Psychologie nicht infrage gestellt. Das die Standpunkte zusammenführende Element ist die beidseits vorhandene Vorstellung eines schwer zu bewältigenden Prozesses, der sich unter Beteiligung von bewussten und unbewussten Vorgängen vollzieht. Jung ist wie Freud der Auffassung, dass die für die Heilung notwendigen Integrations-, Erlebens- und Verstehensvorgänge (> Integration >Erleben > Verstehen) dem Patienten so gut wie nie „gebrauchsfertig“ in den Schoss fallen, etwa mit einer einmaligen „stimmigen“ > Deutung, die ein alles verändernden Aha-Erlebnis auslösen. Wenn Jung > Deutung und Auseinandersetzung voneinander trennt und letzterer die größere Bedeutung für den therapeutischen Prozess zuerkennt (vgl. Jung, GW 7, § 342), dann ist dies auch ein Votum für die Notwendigkeit einer langwierigen Durcharbeitung. Ein Gleiches ist daraus zu entnehmen, dass Jung die > Integration unbewusster Inhalte als einen Erkenntnisprozess beschreibt, der in der Therapie „die Frucht gemeinsamer Überlegungen“ ist, wobei der Patient „nicht von einer Wahrheit belehrt werden“, sondern „sich vielmehr zu dieser entwickeln“ muss (Jung, GW 16, §314).
Der zentrale therapeutische Ansatz der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie), der die > Neurose als einen Zustand der > Dissoziation zwischen Bewussstem (> Bewusstsein und Unbewusstem (> Unbewusstes) betrachtet, ist unabdingbar mit dem Prinzip intensiven Durcharbeitens verbunden. Das Ziel der Therapie besteht darin zu ermöglichen, dass an die Stelle der Dissoziation der Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Unbewusstem im Sinne einer funktionalen > Ganzheit tritt, die das Dasein adäquat im Sinne des Individuums (> Individualität), der Mitwelt und der Umwelt gestalten kann. Geschieht schon die Integration eines einzelnen unbewussten Inhalts „wahrscheinlich nur in seltenen Fällen spontan“ und „bedarf in der Regel besonderer Bemühungen“ (Jung, GW 16, § 477), so ist dies bei der Heilung innerhalb einer „Individuationsanalyse“ erst recht der Fall. Diese schließt von der Technik her ein differenziertes Instrumentarium ein, das beim Patienten und dem Therapeuten „den ganzen Menschen in die Schranken fordert“ (Jung, GW 16, § 367). Bei der > Amplifikation oder beim Symbolverstehen (> Symbol) wird z. B. nicht nur intellektuelles Verstehen, sondern emotionales > Erleben („Totalität des Erlebens“, „menschliches Erleben“) sowie Auseinandersetzung mit und Verstehen der geistigen Dimension verlangt (Jung, GW 7, § 342)
Autor: H. Schulz-Klein