Spiegelübertragung

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Keyword: Spiegelübertragung

Links: > Akzeptanz > Empathie > Entwicklungspsychologie > Narzissmus > Resonanz > Säuglingsforschung > Selbstpsychologie > Selbstwertgefühl > Urbeziehung

Definition: Das Konzept der Spiegelübertragung (> Spiegeln) wird vor allem von H. Kohut (> Selbstpsychologie) verwendet. Kohut bezeichnet mit Spiegelübertragung die Beobachtung, dass manche, meist narzisstisch (> Narzissmus) gestörte Patienten den Analytiker zeitweise so erleben, als hätte er einzig und allein nur die Funktion, sie zu spiegeln.

Information: Es ist, als ob das schon im Säugling vorhandene Urbedürfnis nach Spiegelung, nach dem "Glanz im Auge der Mutter" wieder belebt wird und sich auf den Analytiker überträgt. Mancher Patient erwartet, zunächst meist unbewusst, vom Analytiker vor allem gehört, gesehen, verstanden und vielleicht bewundert zu werden. Dazu gehört oft die Erwartung, dass der Analytiker nur für ihn allein da ist und daneben für nichts und niemanden existiert.

D. Winnicott hat mit dem Terminus Holding ganz ähnliche Phänomene beschrieben und ist der Ansicht, dass in solchen Fällen die Schaffung des Milieus der Analyse (> Set > Setting) wichtiger sei als alle Deutungen. (vgl. Winnicott 1955, S. 220). Ähnlich lautet Kohuts Empfehlung zum Umgang mit solchen Patienten: verstehende Einfühlung (> Empathie) ohne moralisierenden Einschlag. Solche Übertragungsform - falls allein vorherrschend - ist meist Symptom einer Frühstörung, eines Mangels an empathischer Zuwendung und Spiegelung vonseiten der frühen Bezugsperson (> Urbeziehung). Ein solcher Mangel verhindert meist die Entwicklung des Selbstwertgefühls, des narzisstischen Gleichgewichts (> Narzissmus). Durch verstehende Einfühlung des Therapeuten kann es gelingen, eine gewisse Wandlung in der jeweiligen Selbstbewertung des Patienten herbeizuführen und dessen Anerkennung seines eigenen Wesens zu fördern. Dies festigt sein seelisches Gleichgewicht. Kohuts Beobachtungen zur Spiegelübertragung bei Menschen mit narzisstischen Frühstörungen bedeutet zugleich auch die Anerkennung der Tatsache, dass in der therapeutischen Beziehung (> Beziehung, therapeutische > Beziehungsquaternio) die Funktion des Therapeuten nicht immer die eines selber undurchsichtigen Spiegels sein kann (> Abstinenz), der dem Patienten wie eine Spiegelplatte nur ein Spiegelbild zurückwirft und ihn damit konfrontiert (> Konfrontation). 

Literatur: Jacoby, M. (1985): Individuation und Narzissmus; Kohut, H. (1979): Die Heilung des Selbst; Winnicott, D. W. (1971): Vom Spiel zur Kreativität.

Autor: M. Jacoby