Pentaolon-System: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Pentaolon-System

Links: > Anima/Animus > Anima/Animus: Kritik und Weiterentwicklung des Konzepts > Bios-Prinzip > Eros-Prinzip > Heros-Prinzip > Logos-Prinzip > Männliches und Weibliches Prinzip > Mystos-Prinzip

Definition: Das Pentaolon-System (griech. pent: fünf; griech. holo: ganz) fasst die wesentlichen archetypischen Dimensionen (> Archetyp) der Persönlichkeitstheorie der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) in einem Mandala-Modell zusammen. Um sich in der Fülle und Vielschichtigkeit der universalen Motive, Gestalten und deren Beziehung zueinander zu orientieren, wird in der Analytischen Psychologie häufig eine Vierer-Systematik, ein Quaternitätsmodell, (> Beziehungsquaternio > Quaternität) verwendet. In seinem Aufsatz: "Die Struktur und Dynamik des Selbst" hat C. G. Jung (GW 9/2, § 347) verschiedene Aspekte des Selbst in einer solchen Struktur dargestellt und mit der alchemistischen Lehre von den vier Elementen und dem Stein der Weisen in Beziehung gesetzt. T. Wolff (1959) hat eine Beschreibung von vier Strukturformen der weiblichen Psyche gegeben: die Mutter, die Mediale, die Hetäre, die Amazone. E. Jung (1967) unterschied vier Formen des Animus unter den Stichpunkten: Kraft, Tat, Wort, Geist. E. Whitmont (1969) teilte die Yin und Yang -Prinzipien - ähnlich wie E. Neumann (1956) mit seinem Elementar- und Wandlungscharakter (> Elementarcharakter/Wandlungscharakter) den Archetyp der Großen Mutter (> Mutter, Große) - in jeweils zwei Pole, einen statischen und einen dynamischen. Daraus ergaben sich vier Aspekte, die er mit Logos und Großer Mutter (statisch) und Mars und Aphrodite (Eros) charakterisierte. R. Moore und D. Gillette (1992) haben vier ganz ähnliche archetypische Bereiche unter der Bezeichnung König, Krieger, Magier und Liebhaber in ihrer Bedeutung für die männliche Psyche ausführlich beschrieben.

Information: Die großen, archetypischen Themen der Menschheit lassen sich anscheinend immer wieder auf vier oder fünf Faktoren zurückführen, die sich beispielsweise auch im natürlichen Familiensystem Mutter (> Mutterarchetyp), Vater (> Vaterarchetyp), Sohn und Tochter abbilden, das wiederum auf der Urpolarität Männlich-Weiblich (> Männliches und Weibliches Prinzip) beruht. Mutter und Vater repräsentieren hierbei eher die älteren, stabilen und konservativen Aspekte, Sohn und Tochter mehr die jüngeren, dynamischen und progressiven Tendenzen der weiblich-männlichen Urpolarität. Die Familie als Keimzelle und Ganzes wäre dann das verbindende fünfte Prinzip.

Das Zentrum des Pentaolon-System bezeichnet die letztlich unerkennbare und unfassbare Mitte, den Ursprungszustand der Einheit, das unerkennbare Mysterium, die Quelle, aus dem das Leben hervorkommt und sich in einem Prozess dauernder Polarisierung und Wandlung ausdifferenziert (> Mystos-Prinzip). Das Yin/Yang-Symbol weist auf den grundsätzlichen Polaritätscharakter aller seelischen Vorgänge und dessen schöpferischer Dynamik hin. Der umfassende äußere Kreis symbolisiert die bewusst gewordene Einheit und > Ganzheit des Menschen als Ziel des Prozesses. das > Bios-Prinzip umfasst die materiell-biologischen Grundlagen der Existenz. In den traditionellen Symbolsystemen wird das BIOS-Prinzip häufig mit dem weiblichen Urprinzip, der Großen Göttin oder Großen Mutter (> Mutter, Große) verbunden. Diesem Prinzip gegenüber polar angeordnet - aber niemals als ausschließender Gegensatz gemeint - steht das > Logos-Prinzip), das die geistige Dimension bezeichnet. Die traditionellen Symbolsysteme sehen in ihm das oft männliche Urprinzip, den männlichen > Geist, Schöpfer-Gott oder den Großen Vater (> Vater, Großer). Der nächste universale Faktor ist das > Heros-Prinzip, das die vorwärtsdrängende > Energie, den Drang und die Kraft zur autonomen Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung (> Individuation > Principium individuationis) verleiht. Das polare Gegen- und Ergänzungsprinzip hierzu ist das > Eros-Prinzip der Beziehung, > Liebe, > Schönheit, der > Freude und der Harmonie. Die vier Prinzipien sind verschiedene Aspekte eines umfassenden Ganzen. Dieses Ganze wird als fünftes Prinzip, als das schöpferische Mysterium oder > Mystos-Prinzip bezeichnet, denn dieses Ganze ist aus verschiedenen Gründen niemals vollständig erkennbar. Innerhalb der menschlichen Psyche ist Mystos deckungsgleich mit dem Selbstbegriff der Analytischen Psychologie (> Selbst). Er ist das Mysterium der sich selbst organisierenden, schöpferischen Einheit und Ganzheit des Seins, aus der sich die beschriebenen anderen Faktoren in einem andauernden Wachstums- und Veränderungsprozess heraus differenzieren (> Differenzierung) und hinein integrieren (> Integration). Die Orientierung auf diese > Ganzheit hin ist das Ziel aller religiösen Systeme (> Religion) und des Individuationsprozesses (> Individuationsprozess).

Die fünf Prinzipien gelten für Frauen wie für Männer. Sie haben in verschiedenen Entwicklungsphasen und zu verschiedenen Lebensaltern unterschiedliche Gewichtung und Bedeutung. Die beiden "männlichen" Prinzipien - Heros und Logos - lassen sich auch dem Animus-Prinzip zuordnen, die beiden "weiblichen" - Eros und Bios - dem Anima-Prinzip. Die Prinzipien können zwar modellhaft einzeln betrachtet, aber nicht tatsächlich voneinander getrennt werden. Sie stehen in einem polaren Ergänzungsverhältnis zueinander, d. h. sie entfalten sich zwar teilweise in entgegengesetzte Richtungen, doch sind sie als Entfaltung eines Ganzen zugleich miteinander verbunden, wirken aufeinander ein, bedingen und ergänzen sich. Daneben sind noch weitere Elemente in das Pentaolon-System eingearbeitet, beispielsweise die vier kleineren leeren Kreise an den Eckpunkten zwischen den vier Hauptprinzipien. Diese sind zunächst einmal als Freistellen und Platzhalter für andere mögliche Typologien gedacht, die bei Bedarf in das Pentaolon-System einbezogen werden können, z. B. die vier Elemente der Antike oder die > Orientierungsfunktionen der Analytischen Psychologie. Darüber hinaus lässt sich das Pentaolon-System auch dreidimensional betrachten und beschreibt den > Individuationsprozess in seinen verschiedenen Bewusstseinsentwicklungsstadien vom prä- zum transpersonalen Bewusstsein.

Viele gesellschaftliche Missstände (> Kollektiv) wie auch viele individuelle seelische Störungen (> Individuation > Neurose) sind dadurch bedingt, dass einige der beschriebenen Faktoren überwertig gelebt werden, man sich mit Ihnen einseitig identifiziert und die anderem abwehrt oder vernachlässigt. Je mehr aber ein Faktor dominiert und die ausbalancierende Beziehung zu den anderen verliert, desto schärfer und konflikthafter treten dessen Schattenseiten hervor. Insofern lässt sich das Pentaolon-System auch als ein Diagnosesystem sehen. In der zeitgenössischen Gesellschaft herrschen offensichtlich kollektiv die Heros- und Logos-Prinzipien, es besteht also eine Überbetonung der Rationalität, des Handelns, des Leistungs- und Erfolgsstrebens. Die Psyche des Einzelnen ist mehr oder weniger stark davon infiziert oder damit identifiziert. Die globale Selbstzerstörung und die Selbstentfremdung der Gesellschaft und des Einzelnen scheinen nur heilbar zu sein, wenn auch die anderen Faktoren - Bios und Eros - wieder gebührende Berücksichtigung finden.

Literatur: Müller, L. (1995): Überlegungen zu einer analytisch-integrativen Psychotherapie; Müller, L., Knoll, D. (1998): Ins Innere der Dinge schauen; Müller, L. (2001): Lebe dein Bestes; Whitmont, E. C. (1969): The Symbolic Quest.

Autor: L. Müller