Unbewusstes, kollektives

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Keyword: Unbewusstes, kollektives

Links: > Archetyp > Bewusstsein, kollektives > Einheitswirklichkeit > Kreativität > Schatten, kollektiver > Schöpferisches > Selbst > Synchronizität > Traum, kollektiver > Unbewusstes, persönliches > Unbewusstes, psychoides > Unus mundus

Definition: Mit kollektivem Unbewussten wird in der Analytischen Psychologie die allen Menschen zugrunde liegende psychische Struktur, das allen Menschen gemeinsame, von Anfang an in der phylogenetischen, ontogenetischen, evolutionären Entwicklung wirkende Psychische bezeichnet Es ist dem Bewusstsein nur teilweise fassbar und bildet sich ab in archetypischen Bildern (> Archetyp) und > Symbolen und deren numinoser Energie (> Numinosität), teilweise bleibt es unanschaulich.

Information: C. G. Jung beschreibt die Einflüsse und Wirkungsweisen unbewusster psychischer Kräfte, die in der gesamten Menschheit - und in der Gesamtheit des Lebendigen - die Entwicklung und > Individuation (> Principium individuationis) der Einzelwesen steuern und verbindet seine Beobachtungen und Erfahrungen mit den Vorstellungen und dem Wissen in älteren Philosophien und Religionen. Er stößt damit über die Einsicht S. Freuds in das persönliche Unbewusste hinaus vor in kollektive unbewusste Systeme. Als wissenschaftlich formulierbare Hypothese postuliert Jung diese kollektive Schicht des Unbewussten zuerst anhand seiner Arbeit mit schizophrenen Patienten und deren bildhaften unbewussten Äußerungen. In den Forschungen der Analytischen Psychologie wurden im Verlauf der Jahre eine Fülle von Bildern aus Träumen, Märchen, Mythen, Dichtung, Kunst, religiösem und philosophischem Denken beschrieben, durch die die steuernden Zentren menschlicher Verhaltens- und Erlebensweisen sichtbar werden. Die Arbeit an den typologischen Einstellungsfunktionen (> Einstellung > Extraversion > Introversion) und an den die Wahrnehmung und Reaktionsweisen steuernden Funktionen (> Orientierungsfunktionen) von Denken, Intuieren, Empfinden und Fühlen führt ebenso zur Verifikation der Hypothese wie biologische, physiologische, ethologische, ethnologische und mythologische Untersuchungen und die Untersuchungen zur Entwicklung des Bewusstseins und des Individuationsprozesses.

Die Auseinandersetzung mit der modernen Physik und Biologie verdichten Jungs Einsichten zu einem umfassenden Bild, bei dem Psyche und Körper verschiedene Seiten der gleichen Wirklichkeit darstellen (> Unus mundus). W. Pauli nimmt von der physikalischen, R. Sheldrake von der biologischen Seite die Impulse der Analytischen Psychologie auf. In jüngerer Zeit stößt die Neurobiologie (> Hirnforschung) auf Erkenntnisse, die bestätigen, dass hinter der bewussten Seite des Menschen unbewusste, selbsteuernde (> Finalität > Selbstregulation), kreative (> Kreativität) Prozesse am Werk sind. W. Obrist, A. Stevens, O. Vedfelt u. a. arbeiten von der Seite der Analytischen Psychologie diese Ergebnisse auf. Die Gesellschaftswissenschaften stoßen bei der Erforschung unbewusster Prozesse in Unternehmen und Institutionen auf Abläufe, die als kollektive Gesetzmäßigkeiten dieser Systeme (> Systemtheorie) beschrieben werden.

Jung nennt diese Kraft- und Bildungszentren des Lebendigen zunächst]] > [[Urbilder, dann Archetypen. An ihren Bildern und Wirkungen erkennbar, stellen sie vorbewusste Zentren der Lebensbildung dar und sind durch ihre bildhafte Kontaktaufnahme mit dem Bewusstsein phänomenologisch beschreibbar. Offensichtlich sind sie treibende Kräfte der Evolution (> Bewusstseinsevolution > Evolutionäre Psychologie). Ihr Gestaltungsfluss stellt sich natürlich einstellende Bildungen des Lebens dar wie Geburt und Tod (> Thanatos), ]] > [[Pubertät und andere Übergänge (> Krise > Lebenswende), Gruppen- und EinzeIindividuation etc.

Der Energiefluss der Psyche organsiert sich dabei in archetypischen Systemen, innerhalb derer die Gegensatzspannung (> Enantiodromie > Gegensatz > Polarität) eine erhebliche Rolle spielt. Dabei stellt jedes Auf- und Abblühen eines archetypischen Musters wie z. B. Vater - oder Mutterwerden (> Mutterarchetyp > Vaterarchetyp) einen Individuationsschritt (> Individuationsprozess) im Speziellen dar, wie Michael Fordham ergänzend zur ersten Lebenshälfte des Menschen nachweist.

Wird die Entfaltung der Individuation im Einzelnen oder im Ganzen eines menschlichen Lebens gestört, entstehen typische Stauungen der seelischen Energie, die sich in neurotischen (> Neurose) oder psychotischen Symptomen äußern. Deren regelmäßige Erscheinungsformen sind unterdessen großenteils erforscht und beruhen offensichtlich ebenfalls auf archetypischen Grundlagen. Die archetypischen Bilder des Narziss (> Narzissmus), des Ödipus (> Ödipuskomplex) oder der Elektra sind eindrucksvolle Beispiele dafür und werden zuerst von Sigmund Freud in der > [[Psychoanalyse präzise beschrieben.

Die Dynamik des kollektiven Unbewussten wird gelegentlich in kreativen Gestaltungen der Kunst sichtbar, innerhalb der sich zukünftige Entwicklungen zeigen. Die Forschung belegt, dass Kinder und Künstler über ein Bewusstsein verfügen, das dem kollektiven Unbewussten gegenüber offener ist als das normale Tagesbewusstsein des Erwachsenen. Letzteres braucht häufig erst Absenkung des Bewusstseins im Schlaf, um die Botschaften und Beiträge des kollektiven Unbewussten in Träumen und vorbewussten Fantasien wahrzunehmen.

In der Konsequenz dieser Forschungsergebnisse ist es zum wesentlichen Bestandteil der Therapien geworden, zwischen bewussten und unbewussten, kollektiven und individuellen Gedanken, Gefühlen, Fantasien, Gestaltungen zu unterscheiden. Dabei gehört die Mahnung Jungs, das Geschenk eines differenzierten Bewusstseins zu pflegen, zum festen Bestandteil, der besonders in, der von Jung für die Einzelarbeit erprobten und geschaffenen Meditationsform, der Aktiven Imagination (> Imagination, aktive) geübt wird. Je näher zum Einzelbewusstsein hin umso mehr verengt sich das archetypische Feld (> Feld, psychisches) und erscheint dann als kollektiver oder individueller [[> Komplex]]. Immer sind dabei aber die Elemente der kollektiven psychischen Energie, der lebendigen Gestaltung, der emotionalen Beteiligung und der Formgebung des Lebens enthalten. die Analytische Psychologie nimmt an, dass der Gesamtprozess ein, seine Entwicklung steuerndes, Zentrum hat. Dieses Zentrum und das Feld zusammen nennt Jung das > Selbst. 

Literatur: Obrist, W. (1990): Archetypen; Jacobi, J. (1957): Komplex - Archetypus - Symbol; Stevens, A. (2002): Archetype Revisited.

Autor: G. Sauer