Macht
Keyword: Macht
Links: > Aggression > Drachenkampf > Heldenmythos > Heros-Prinzip > Ich/Ich-Bewusstsein > Individualpsychologie > Magie > Management > Rivalität > Wille
Definition: Mit Macht (idg. magh: können, vermögen; Fähigkeit und Kraft, auch Zeugungskraft haben, über Mittel, Geld und Gut verfügen) und mit Machtstreben beschäftigen sich neben der Psychologie und >Tiefenpsychologie vor allem > Ethnologie, Philosophie, Pädagogik, Politikwissenschaft und Soziologie, Theologie, ebenso wie mit den verwandten und teilweise übergreifenden Themen > Aggression, Autorität, Dominanz Gewalt, Herrschaft > Trieb, > Wille, sozialer Status und Prestige und mit der Gegensatzthematik von Abhängigkeit > Angst, Ohnmacht, Machtlosigkeit, Widerstand, Befreiung und Emanzipation. Sobald ein Individuum sich ein Ziel setzt, sei es sich selber oder anderen gegenüber und versucht, dieses zu verwirklichen, übt es psychische und soziale Macht aus. Es muss mittels psychischer > Energie seine eigenen inneren Widerstände und die ihm, durch Objekte und Kräfte der Außenwelt, entgegentretenden Reaktionen seinen Vorstellungen unterwerfen. Es übt Kontrolle aus, benutzt Strukturen und Systeme mit dem Ziel, sich seiner selbst, der anderen, der Natur und Umwelt habhaft zu werden, sich zu bemächtigen. Es versucht, sich und die Welt gegen Bedenken unterschiedlichster Art, innere und äußere Hemmungen und Hindernisse (> Kastration) umzugestalten (> Anpassung). Die Motive können mehr egoistisch oder mehr altruistisch erscheinen, die Vorgehensweisen offen kämpferisch oder verdeckt, sublimiert, verführend, manipulierend. Der zentrale Mythos der Macht ist der > Heldenmythos (> Heros-Prinzip), sowohl ontogentisch auf die Ich-Entwicklung des Einzelnen, wie auch phylogenetsich auf die geistige, kulturelle, technische, wissenschaftliche, soziale und politische Entwicklung des Menschen im weitesten Sinn bezogen. In der Entwicklung des einzelnen Ichs (> Bewusstseinsentwicklung, Phasen > Bewusstseinsentwicklung, mythologische Stadien) geht es innerpsychisch um die Einschränkung der Macht der persönlichen und archetypischen Komplexe (> Komplex > Kollektivpsyche > Unbewusstes, kollektives) oder auch der "Geister" (> Geister) und die Herausbildung des Ichs als zentralem Machtzentrum der bewussten Psyche (> Bewusstsein). Herr im eigenen Hause zu werden ist das einerseits unerlässliche, andererseits utopische Ziel der Ich-Werdung und Autonomie-Entwicklung. (> Autonomie) Die Mittel: Phylogentisch: Werkzeuggebrauch, Sprach- und Bewusstseinsentwicklung und ontogenetisch deren Entsprechungen: Entwicklung der Motorik, der Sprache und des Denkens. Rationalität und Fähigkeit zur Abstraktion sind zentrale Fähigkeiten zur Bemächtigung der Welt, denen als mächtige Gegenspieler magisches Denken und > Konkretismus, Ohnmachts- und Allmachts-, Größen- und Minderwertigkeitsfantasien ( >Größenfantasien > Minderwertigkeitsgefühl), Triebe (> Instinkt) und Affekte > Affekt) gegenüberstehen. Parallel entwickelt sich in den Objektbeziehungen (> Objektbeziehungstheorie > Urbeziehung) das Bestreben, Macht über die äußeren Objekte (> Objekt) zu erreichen.
Information: S. Freud skizziert in seinen sozialpsychologischen Überlegungen die Annahme einer "Urbedrohung", sowohl bzgl. der übermächtigen Umwelt wie der übermächtigen Eltern. Dem Ausgeliefertsein an die Umwelt gelingt es dem Menschen in seiner phylogentischen Entwicklung durch schrittweise Beherrschung seiner Natur und durch die Schaffung von Göttern (> Gottesbild > Religion) und den Glauben an deren Macht ihnen entgegenzutreten. Ontogenetisch werden Allmachtsfantasien ausgebildet, um der Macht der Eltern zu begegnen. Die Abwehr von Ohnmachtsgefühlen, Machtkampf und > Rivalität bzw. deren Abwehr z. B. durch zwangsneurotische Reaktionsbildungen sind sowohl in der Neurosenpsychologie, als auch in der Psychologie der Masse und des Führertums zentrale Erklärungsansätze.
Den Machttrieb und das Geltungsstreben ordnet Freud dem Todestrieb (> Thanatos) zu. Für A. Adler (> Individualpsychologie) hat das Macht- und Geltungsstreben zentrale Bedeutung als Kompensationsversuch gegenüber dem Erleben von Minderwertigkeitsgefühlen. C. G. Jung gesteht zu, dass > Sexualität (> Libido) und Macht zentrale psychische Themen sind, lehnt aber Freud und Adlers reduktives Denken (> Reduktion) ab, weil dadurch nicht nur die Neurose, sondern der ganze Mensch auf den Sexual- und den Machttrieb reduziert und aus dem > Schatten, (> Böses) also "aus der moralischen Minderwertigkeit" (vgl. Jung, GW 16, § 234) erklärt sei. Jung geht nicht nur von einer möglichen Machttendenz des Ich aus, sondern auch von der Macht des Unbewussten, der archetypischen Bilder und deren > Energie. Für Jung ist es der übergeordnete Standpunkt der > Ganzheit, der zwingenden Charakter habe und sich des Ichs bemächtigen könne. Zum Prozess der Ganzwerdung werde der Mensch von seiner Natur getrieben und unterstützt zugleich. Es sei ein Drang, ein Trieb, ein Instinkt, der den Menschen zwinge, nach höherem Bewusstseinsniveau zu streben, der Kultur und Zivilisation erzwinge (vgl. Jung, GW 16, § 471) Andererseits sei dieser Prozess nicht nur triebhaft und erzwingend, sondern er fordere auch die Freiwilligkeit des Menschen und sein ganzes Können, seine psychische Energie, seinen Willen (> Wille). Als Machtkomplex bezeichnet Jung "den gesamten Komplex aller jener Vorstellungen und Strebungen, welche die Tendenz haben, das Ich über andere Einflüsse zu stellen und diese dem Ich unterzuordnen, mögen diese Einflüsse von Menschen und Verhältnissen stammen, oder mögen sie von eigenen, subjektiven Trieben, Gefühlen und Gedanken herkommen." (Jung, GW, § 851) Wille des Ich sei ein Versuch des Ich, Macht über das Schicksal zu erlangen, allerdings lasse die im Willen scheinbar verfügbare, disponible psychische Energie, nicht immer über sich disponieren (vgl. Jung, GW 7, § 74).
Literatur: Adler, A., Ansbacher, H. (1995): Alfred Adlers Individualpsychologie. Egner, H. (Hrsg.) (1996): Macht - Ohnmacht - Vollmacht; Guggenbühl-Craig, A. (1978): Macht als Gefahr beim Helfer.
Autor: A. Müller