Kunst
Keyword: Kunst
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Definition: Der Begriff Kunst (ahd. kunst: Wissen, Weisheit, Kenntnis, Wissenschaft) bezieht sich seit dem 18. Jh. speziell auf die schöpferische Tätigkeit (> Kreativität > Schöpferisches) des menschlichen Geistes und dessen Gestaltungen in Bildhauerei, Literatur (> Dichtung), Malerei, Musik. Genau wie die Religion ist auch die Kunst schon frühzeitig Betrachtung der Philosophie und später der Psychologie und Tiefenpsychologie. Als Quelle und Antrieb des künstlerischen Schaffens werden in unterschiedlichen Epochen und Sichtweisen des Menschen u. a. die Nachahmung (Naturalismus, Mimesis), das > Spiel und der spielerische Gestaltungstrieb und -drang, die schöpferische Fantasie und ein Drang zu symbolisierender Darstellung oder auch zum Ausdruck und Gestaltung von Gefühl gesehen.
Information: Immer hat es Bestrebungen gegeben, Kunst zu instrumentalisieren, zu pädagogisieren, zu zensieren, etwa im antiken Drama, im Drama der Aufklärung, in der Kunst der totalitaristischen Staaten. Während Platon die Kunst seiner Zeit nur als Nachahmung der Ideen (> Idee > Archetyp) und damit für einen Abglanz derselben hält, ist für Aristoteles Kunst ein Ausdruck des in der Natur waltenden Formungsdrangs: sie kann das vollenden, was in der Natur unvollendet ist. Aus dieser Sicht entwickelt sich, u. a. im deutschen Klassizismus und Idealismus mit Goethe, Schiller, Kant und Hegel die Diskussion nach dem Schönen und Wahren in Kunst und Philosophie. Kunst spiegelt Welt- und Sinnerfahrung (Sinn) des Menschen und seine > Bewusstseinsentwicklung und ermöglicht einen Einblick in die bewusste und unbewusste > Kollektivpsyche (> Bewusstsein, kollektives > Unbewusstes, kollektives). In dem Maße, in dem seit dem 18. Jh. die Welt als ganzheitliches und verbundenes Sinnganzes von einem rationalen Bewusstsein infrage gestellt wird, wird auch Kunst zunehmend fragmentarisch und experimentell erlebt. Kunst kann die kollektiven Anschauungen und Auffassungen ästhetisch und vollendet gestalten, und sie kann die unbewusste kollektive Situation und die Gegenströmungen zum kollektiven Bewusstsein spiegeln. Dann kann sie kompensatorisch (> Kompensation) wirken, im schöpferischen Impuls aus dem Unbewussten das Neue heraufheben und es bewusst und in Auseinandersetzung mit den individuellen und kollektiven Umständen gestalten. (> Funktion, transzendente) Solche Kunst provoziert, ist dem zeitgenössischen Bewusstsein teilweise unverständlich, drückt sich metaphorisch (> Metapher) und symbolisch (> Symbol) aus.
Psychoanalytischer und tiefenpsychologischer Analyse von Kunst wird häufig vorgeworfen, sie reduziere das Kunstwerk auf > Sublimierung und individuelle oder kollektive > Neurose. In grundsätzlicher Abgrenzung von einer solchen reduktiven Sichtweise (> Reduktion) bestimmt C. G. Jung dezidiert den Standort einer adäquaten psychologischen Beschäftigung mit der Kunst: Statt das Kunstwerk wie eine Neurose zu analysieren und damit auf die persönliche Biografie, persönliche Konflikte, deren Verdrängung und Kompromissbildungen zurückzuführen, gilt es, die Autonomie des schöpferischen Prozesses anzuerkennen. Im schöpferischen Prozess wird immer Archetypisches belebt, entwickelt und gestaltet, in der schöpferischen Kunst bis zum vollendeten Kunstwerk. In diesem schöpferischen, großen Kunstwerk unterwirft nicht der Künstler den Stoff seinem Gestaltungswillen und damit seiner Persönlichkeit, sondern er ist den Kräften des Stoffes, des Archetypischen unterworfen. Der Künstler ist "nicht identisch mit dem Prozess der schöpferischen Gestaltung; er ist sich dessen bewusst, dass er unterhalb seines Werkes steht oder zum mindestens daneben, gleichsam wie eine zweite Person, die in den Bannkreis eines fremden Willens geraten ist." (Jung, GW 15, § 110). Er gehorcht nicht seinem individuellen Impuls, sondern den Impulsen des kollektiven Unbewussten. Diese Zusammenhänge in der Tiefenschicht der Psyche sind der Grund, weshalb das Kunstwerk nicht aus der persönlichen Psychologie des Künstlers zu erklären ist und jeder derartige Versuch als reduktiv-verfälschend zurückgewiesen werden muss. "Die große Dichtung, die aus der Seele der Menschheit schöpft, wäre nach meiner Ansicht vollkommen daneben erklärt, wenn man sie auf Persönliches zurückführen versuchte. Wo immer nämlich das kollektive Unbewusste sich ins Erlebnis drängt und sich dem Zeitbewusstsein vermählt, da ist ein Schöpferakt geschehen, der die ganze Epoche angeht, denn das Werk ist dann in tiefstem Sinne eine Botschaft an die Zeitgenossen." (Jung, GW 15, § 153) Aus dieser tiefenpsychologischen Einsicht in das Wesen des Schöpferischen ergibt sich für Jung eine eingegrenzte Aufgabenstellung für eine psychologische Analyse des künstlerischen Schaffens und des Kunstwerks - wenn sie diesen adäquat sein will: Da der kreative Prozess eine psychische Tätigkeit ist, aus der Seele schöpft, kann und soll er der psychologischen Betrachtungsweise unterworfen werden. Die Psychologie kann dazu Terminologie und Vergleichsmaterial, vorrangig aus dem Bereich des Archetypischen, beitragen. Sie geht der Frage nach: Wie werden die archetypischen Bilder gestaltet, d. h. gewissermaßen in die Sprache der Gegenwart übersetzt und in umgekehrter Richtung entschlüsselt sie die mythologischen Motive, die sich in der modernen Bildersprache verbergen. Ebenso eruiert sie, wie sich der Künstler selbst zu dem "aus dem Unbewussten quellende(n) Trieb künstlerischen Schaffens" stellt (vgl. Jung, GW 15, § 115): Identifiziert er sich von vornherein mit dem schöpferischen Prozess, kann er ihn bejahen - oder erlebt er das Schöpferische als eine fremde Gewalt, von deren Zwang er überrascht wird, dem er sich entgegensetzt. Von ausschlaggebender Bedeutung für das psychologische Verständnis des Kunstwerkes ist also für Jung, dass "große Kunst " als Ausdruck eines aus dem kollektiven Unbewussten entspringenden Gestaltungsdranges verstanden werden muss, der dem Ich-Bewusstsein des Künstlers wie ein autonomer Komplex gegenübertritt. Der Künstler fungiert kompensatorisch als Vermittler zwischen Zeitgeist, der in seiner Einseitigkeit abgeschnitten ist von unbewussten Wahrheiten, und diesen tiefsten Quellen des Lebens. (> Bewusstsein, matriarchales > Bewusstsein, schöpferisches) "Aus der Unbefriedigung der Gegenwart zieht sich die Sehnsucht des Künstlers zurück, bis sie jenes Urbild im Unbewussten erreicht hat, welches geeignet ist, die Mangelhaftigkeit und Einseitigkeit des Zeitgeistes am wirkungsvollsten zu kompensieren. Dieses Bild ergreift sie, und indem sie es aus tiefster Unbewusstheit emporzieht und dem Bewusstsein annähert, verändert es auch seine Gestalt, bis es vom Menschen der Gegenwart nach seinem Fassungsvermögen aufgenommen werden kann." (Jung, GW 15, § 130) Mit der Bestimmung der Beziehung zwischen Kunst und Psychologie ist es auch Jungs Anliegen, auf die Beschränkung der Anwendung des psychologischen Gesichtspunktes hinzuweisen. Die Kunst ist und bleibt "Geheimnis des Schöpferischen" und ein transzendentes Problem, die Psychologie kann nur den künstlerischen Prozess beschreiben und sie urteilt auch nicht über die ästhetischen Qualitäten oder die Sinnhaftigkeit von Kunst.
Literatur: Dieckmann, H. (1981): Archetypische Symbolik in der modernen Kunst; Lurker, M. (1984): Symbol, Mythos und Legende in der Kunst; Neumann, E. (1954): Kunst und schöpferisches Unbewusstes; Neumann, E. (1959 b): Der schöpferische Mensch.
Autor: M. Rafalski