Psychose
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Definition: Psychose (> Neurose) ist ein, seit dem Ende des 19. Jh. geläufiger, Sammelbegriff für seelische Erkrankungen verschiedenster Art mit erheblicher Beeinträchtigung der psychischen Funktionen und gestörtem Realitätsbezug. Er umfasst ebenso seelische Störungen als Folge von organischen Erkrankungen - die so genannten symptomatischen oder organischen Psychosen, wie psychische Störungen unerkannter und insbesondere psychischer Genese (> Psychogenese). Letztere werden als endogene Psychose bezeichnet. Zu den endogenen Psychosen rechnet man affektive Psychosen (> Depressionen, Manien) und schizophrene sowie schizoaffektive Psychosen. Die schizophrenen Psychosen sind eingehend von E. Kraepelin (München) und E. Bleuler (Zürich) dargestellt worden. Sowohl S. Freud (> Psychoanalyse), als auch C. G. Jung (> Analytische Psychologie) befassten sich ebenfalls intensiv mit der Schizophrenie. Beide gingen davon aus, dass der Übergang von "normal" über neurotische Implikationen, bis hin zu den Psychosen fließend oder graduell verläuft.
Information: Freud war der Auffassung, dass man an der Aufklärung der Psychose arbeite, wenn man sich bemühe, das Geheimnis eines Traumes zu erhellen. Er übertrug die Abwehrmechanismen der Neurosen auf die Schizophrenie und fand, dass der kranke Mensch, die für sein Ich inkompatiblen Inhalte zum Teil verdränge oder nach außen projiziere, d. h. auf die Außenwelt verschiebe (> Projektion). Charakteristisch für die schizophrene Psychose sei ferner der Rückzug der libidinösen Besetzung (> Libido) von den Objekten. Dies führe zu einer libidinösen Überbesetzung des > Ich und erkläre die Störung, bzw. den Verlust der Realitätskontrolle. Mit dem Rückzug ins > Unbewusste, der so ablaufenden > Regression, würden sodann Restitutionsversuche eingeleitet mit dem Ziel, durch Fantasien aus dem Unbewussten, Halluzinationen und Wahnvorstellungen die Außenwelt neu zu besetzen.
Auch für Jung ist die Analogie zwischen Schizophrenie und Traum evident. Er knüpft damit wie Freud an eine lange Tradition an. Schon für I. Kant war Geisteskrankheit ein Traum im Wachen. Als zentrale Störung der Psychose sieht Jung die Fragmentierung der Persönlichkeit in Verbindung mit archaischen Assoziationsformen (> Assoziation) an. Das für Traumabläufe charakteristische Erlöschen und die Desintegration des Bewusstseins seien bei Psychosen nicht dem Willen unterstellt. Sie scheinen, wie Jung sagt, das Bewusststsein psychotisch Kranker auf die Ebene der Träume zu reduzieren bzw. die Träume so zu intensivieren, dass sie dem Bewusstsein gleich kommen. Dabei schöpfen sogenannte große Träume (> Träume, archetypische > Träume, kollektive) aus Quellen, die für das Ich unerreichbar sind. Typisch für psychotische Vorgänge sei der Rückgriff auf archaisches Material, der zur Überschwemmung des Bewusstseins führe. In solchem Falle reiße die Verbindung zwischen dem Ich-Komplex und anderen Komplexen mehr oder weniger ab. Die Komplexe würden so einerseits zu losgelösten, autonomen Komplexen oder gerieten unter die Vorherrschaft eines übermächtigen (pathogenen) Komplexes, der seinerseits das Bewusstsein obsediere (> Besessenheit).
Die Wurzel der, für die Psychose charakteristischen, psychischen Unordnung sieht Jung im Absinken der Bewusstseinsschwelle (> Abaissement du niveau mental). Den Zustand einer schizophrenen Psychose beschreibt Jung u. a. so: Ausfall weiter vom Ich kontrollierter Bewusstseinsbereiche; Störung des folgerichtigen Ablaufs von Gedankengängen; Bildung abgespaltener Persönlichkeitsanteile; Verzerrung bzw. Ausfall der Realitätswahrnehmung; mangelnde, bzw. inadäquate emotionale Reaktionen; Überflutung des Bewusstseins durch kollektiv-archaische Inhalte. Die langjährige Beschäftigung mit der Schizophrenie führt Jung zu der Idee eines Unbewussten, das nicht nur aus verloren gegangenen ursprünglichen Bewusstseinsinhalten bestehe, sondern aus einer tieferen Schicht von universalem Charakter. So wird er zum Entdecker des kollektiven-Unbewussten (> Unbewusstes, kollektives) und der von hier gesteuerten instinktiven Verhaltensmuster (> Instinkt), für die er den Terminus > Archetypus wählt.
Jung ist weiter der Auffassung, dass die psychotischen Vorgänge, die einer archetypischen Steuerung unterlägen, als Restitutionsversuche zu verstehen seien. Allerdings seien die, die Psychose kompensierenden, Bestrebungen im Unterschied zu neurotischen Kompensationsvorgängen (> Kompensation) unsystematisch und durch chaotische Zufälligkeiten (> Chaos) entstellt. Sie verschließen sich dem Verständnis und der > [[Integration. Jung weist zudem darauf hin, das die, in der Schizophrenie auftretende, Desorientierung und Störung der Apperzeption eine Analogie zu Intoxikationsvorgängen zeige, wie sie z. B. für Meskalinintoxikationen typisch sei (> Psycholyse). Die Analogie zu den Intoxikationen bringt ihn dazu, an eine "schizophrene Noxe" zu denken. Intuitiv stellt sich so für ihn die Frage nach einer nicht nur psychogenen, sondern möglicherweise organisch mitbedingten Genese der Psychosen. Er greift damit der heute allgemeingültigen Vorstellung von der Psychose als einer multifaktoriellen Störung voraus.
Der wohl bedeutendste Schizophrenieforscher der Gegenwart, G. Benedetti, stellt das fehlende Symbolverständnis (> Symbol) von schizophrenen Menschen ins Zentrum. Er beschreibt das klassische pathologische Symptom der Schizophrenie als "Verzerrung der Symbole in der Spaltung und in der Fusion mit der Welt." (Benedetti, 1992) Äußerlich gesehen erfolge bei den psychotischen Menschen eine Überbesetzung der Außenwelt durch Symbole. (Hypertrophie der Symbole). In bizarren, zum Teil surrealistischen Bildern drücke sich die große innere Not und Verformung der Existenz des Kranken aus. Zugleich erzeugen die Koinzidenz von Symbol und Weltrealität eine furchtbare > Angst. Dem Kranken fehle der Zugang zu den, von ihm produzierten, symbolischen Bildern, d. h. ihm ist der Zugang zur semantischen Natur des Symbols - die Unterscheidung von Sinn und Bild - verloren gegangen. Dabei handele es sich psychodynamisch (> Psychodynamik) um die > Projektion (Besetzung) der Außenwelt durch das Unbewusste und zwar nachdem das Ich sich vom Unbewussten abgespalten habe. Hierdurch gehe dem Ich der letzte Rest von Ich-Kohärenz verloren. Es könne nun nicht mehr zwischen bewusst und unbewusst unterscheiden. Auch höre, hebt Benedetti hervor, die nach Jung wichtige Funktion des Ich, Unbewusstes ins Symbol zu transformieren, auf. Die Spaltungsvorgänge (> Spaltung) haben zwei Gesichter. Mit der Abspaltung von der realen Welt, der eine autistische Isolation entspreche, gehe zugleich eine Auslieferung an die, für das Ich nicht mehr reflektierbare, unbewusste psychische Wirklichkeit einher, die als Fusion mit der Welt wahrgenommen wird. Und insofern als das Unbewusste für das Private stehe, werde die Welt des psychotischen Menschen privat. Die hiermit verbundene Selbstentfremdung sei zugleich die psychotische Grabsstätte des Symbols.
Literatur: Benedetti, G. (1992): Psychosenpsychotherapie als existenzielle Herausforderung; Benedetti, G. (1998): Botschaft der Träume; Zielen, V. (1987]]): Psychose und Individuationsweg.
Autor: V. Zielen