Psychotherapie, analytische
Keyword: Psychotherapie, analytische
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Definition: Mit dem Begriff der Analytischen Psychotherapie wird im deutschsprachigen Raum nicht primär die Psychotherapie der Analytischen Psychologie nach C. G. Jung bezeichnet, sondern er ist ein Oberbegriff für alle analytisch (> Psychoanalyse > Analytische Psychologie > Individualpsychologie) orientierten Langzeit-Psychotherapieformen, insbesondere in Abgrenzung zur > Verhaltenstherapie. Von den Krankenkassen werden in der Regel 160 bis max. 300 Stunden bazahlt. Eine analytische Psychotherapie kann aber auch über diese Stundenzahl hinausgehen. Kennzeichnend für sie ist die Arbeit mit dem Unbewussten, wie es z. B. in > Assoziationen > Fantasien > Symptomen > Träumen, > Übertragungs/Gegenübertragungsreaktionen erscheint, die Auseinandersetzung mit pathogenen Konflikten und Komplexen in ihren aktuellen wie biografischen Erscheinungsformen, die Förderung regressiver Zustände (> Regression), durch die eine bewusste emotionale Auf- und Durcharbeitung belastender Erfahrungen und konflikthafter Einstellungen ermöglicht werden soll, die Unterstützung des kreativen Potenzials und der Entwicklungsmöglichkeiten des Patienten und die relativ freie Form der therapeutischen Beziehung, in der sich der Analytiker eher als Katalysator des Prozesses versteht, der Patient nicht aktiv beeinflusst wird und ihm keine Entscheidungen abgenommen werden. Zusammen mit der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie gehört sie zu den psychoanalytisch begründeten Verfahren.
Information: Die Analytische Psychotherapie nach Jung entspricht diesen Aspekten weitgehend, geht aber doch auch in einigen wichtigen Aspekten darüber hinaus, z. B. in ihrer besonderen Betonung des > Selbst und der > Selbstregulation, der archetypischen, kollektiven Dimension des Unbewussten, der Förderung des kreativen Potenzials (> Kreativität > Schöpferisches) und der Bedeutsamkeit des transpersonalen, religiösen Bezuges des Menschen.
Jung war integrativ (> Psychotherapie, integrative) orientiert. Für ihn stand nicht eine vorgefasste Theorie oder Methode im Mittelpunkt der Therapie, sondern vor allem das, was als Impuls vom Selbst her intendiert wird. Da aber jeder Patient an einer anderen Stelle seines Prozesses steht, andere Erfahrungen gemacht, über andere Fähigkeiten und Begabungen verfügt, wird der Weg, den das Selbst dieses Menschen zu seiner Verwirklichung einschlagen wird, unvorhersehbar, nicht planbar oder organisierbar und vertraglich nicht abzusichern sein.
Häufig geht man in einer idealtypischen Beschreibung von Therapie-Prozessen von einer regelhaften Abfolge einzelner Schritte aus: Auf der Basis einer tragfähigen, vertrauensvollen Beziehung nähert sich der Patient in einem regressiven Prozess einem unbewussten Komplex, Konflikt oder Defizit an, erlebt und durchlebt diesen emotional, kann ihn dann benennen, einordnen und verstehen und nach einer ausreichenden Zeit des Durcharbeitens und > Integrierens wird er die Konsequenzen, die sich aus seiner neu gewonnenen Einsicht ergeben, in seinem Leben umsetzen (vgl. > Kreativität, Phasen der). Jung selbst beschrieb vier "Stufen" der analytischen Behandlung. (1929]. Er nannte sie:
1. "Bekenntnis", in dem der Patient das ihn Belastende, seine Geheimnisse, Ängste, Komplexe, Schattenseiten etc. dem Therapeuten mitteilt und sich dadurch aus seiner seelischen Isolierung befreit.
2. "Aufklärung", in der es um die emotionale Bewusstmachung tieferer unbewusster Zusammenhänge, Bindungen, Schattenseiten usw. mithilfe von Traumarbeit und der Übertragungsprozesse geht;
3. "Erziehung", in der der Patient sich auch um eine moralische Verantwortung aus seinen Einsichten bemüht und sie im sozialen Verhalten umsetzt;
4. "Verwandlung". Die soziale Anpassung reicht in manchen Fällen nicht aus, die psychische Entwicklung muss in vielen Fällen darüber hinausgehen (> Individuation > Individuationsprozess). Das erfordert sowohl für den Patienten, als auch für den Therapeuten ein höheres Maß an Mut und Veränderungsbereitschaft. Dass, was der Therapeut von seinem Patienten erwartet, was er mit ihm erreichen möchte, muß er auch bei sich selbst verwirklicht haben, damit er ihn authentisch (> Authentizität) auf seinem weiteren Weg begleiten kann. "Du mußt der sein, als der du wirken willst." (Jung, 16, § 167).
Aber so plausibel und hilfreich solche Phasen-Modelle erscheinen und im Einzelfall auch sein mögen, so sehr können sie doch in einem anderen Fall den Prozess eher hemmen, weil sie den Klienten wie auch den Therapeuten in ein "Prokrustesbett" von Normen und Erwartungen zwingen. So ist es durchaus denkbar, dass es für einige Patienten eine ganze Zeit lang notwendig sein kann, konkrete Lebens- und Lernschritte zu vollziehen, ehe sie regredieren können, oder bevor sie verstehen können, was unbewusst in ihnen vorgeht. Für andere Patienten hingegen ist es notwendig, dass sie für eine längere Zeit Verstehens-Zusammenhänge erarbeiten müssen, bevor sie sich in die Unmittelbarkeit der therapeutischen Beziehung oder des Lebens hineinwagen können usw. "Es gibt keine Theorie im weiten Felde der praktischen Psychologie, die nicht gegebenenfalls grundfalsch sein kann." (Jung, GW 16, § 237]]).
Das wichtigste, was der Therapeut im therapeutischen Prozess tun kann, ist, dem Patienten Halt, Unterstützung, Ermutigung zu geben, seinen eigenen unbewussten Selbst-Impulsen vertrauen zu lernen und Wege zu ihrem bestmöglichen Ausdruck und Verstehen zu finden. "Über seine letzten Entscheidungen kann ich mir darum kein Urteil anmaßen, weil ich aus Erfahrung weiß, dass jeder Zwang, sei es leise Suggestion oder Zureden oder sonstige Alterierungsmethoden, letzten Endes nichts bewirken als eine Verhinderung des höchsten und entscheidenden Erlebnisses, nämlich des Alleinseins mit seinem Selbst, oder was für einen Namen man immer der Objektivität der Seele beilegen mag. Er muss schon allein sein, um zu erfahren, was ihn trägt, wenn er sich nicht mehr tragen kann. Einzig diese Erfahrung gibt ihm unzerstörbare Grundlage." (GW 12, §32)
Methoden und Techniken spielen dabei eine sekundäre Rolle, wenn auch ein gewisses Angebot - gerade in Richtung kreativ gestalterischer Methoden, wie Imagination, Malen, Sandspiel, Tonen - manchmal sehr hilfreich sein kann, um von einer zu starken Bewusstseinsbetonung und -Kontrolle zu einer offeneren Haltung dem Unbewussten gegenüber zu finden.
Literatur: Dieckmann, H. (1979): Methoden der Analytischen Psychologie; Kast, V. (1990): Die Dynamik der Symbole; Müller, L. (1995): Überlegungen zu einer analytisch-integrativen Psychotherapie.
Autor: L. Müller