Heros-Prinzip in der Psychotherapie
Keyword: Heros-Prinzip in der Psychotherapie
Links: > Autonomie > Finalität > Heldenmythos > Heros-Prinzip > Individuation > Pentaolon-System > Progression > Schatten, therapeutischer > Verhaltenstherapie
Definition: Die hauptsächlichen Ziele von Formen der Selbsterfahrung und Therapie, die sich an dem > Heros-Prinzip orientieren, bestehen im Anregen zu aktivem Tun, im Einüben neuer Verhaltensweisen (Selbstbehauptung, > Aggression z. B., in der Übung des Willens, der Stützung der Ich-Kräfte, der Verbesserung der Frustrationstoleranz und der Ermutigung zur Angstüberwindung (> Angst). Selbstmanagement, Selbstregulation und Selbstkontrolle sind moderne Schlagworte einer solchen Ausrichtung. Die Helfer, Coaches (> Coaching), Trainer und Therapeuten verhalten sich dabei oft aktiv anregend, fordernd, direktiv, manchmal sogar stark konfrontativ und manipulativ (ein extremes Beispiel hierfür ist der "Drill" in der militärischen Ausbildung). Es werden Verhaltensanalysen und Zielpläne erstellt, praktische Übungen, Hausaufgaben, technische Hilfsmittel und auch vertragliche Vereinbarungen eingesetzt.
Information: Von den Selbsterfahrungs- und Therapierichtungen sind als Heros-orientiert besonders die > Verhaltenstherapie, die > Kognitive Psychologie, Formen der > Gestalttherapie (in denen die Selbstverantwortung stark betont wird), das NLP (Neurolinguistisches Programmieren) oder die Provokationstherapie zu erwähnen. "Ichstützende", die Aktivität, > Autonomie und Selbstverantwortung fördernde Aspekte gibt es aber natürlich auch in allen anderen Therapieformen, denn fast überall geht es um die Frage, wie ein Mensch Abschied von der Opferrolle (> Kast, 1998) nimmt und zu einer selbstbestimmten Lebensgestaltung findet.
Obwohl in der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) der Helden-Archetyp und seine finale Orientierung (> Finalität) auf ein Ziel hin die zentrale Bedeutung einnimmt - der Heldenweg ist ja in Mythen, Märchen und Fantasien eines der wesentlichen Symbole des Individuationsprozesses (> Individuationsprozess) - wird seine Bedeutung für die praktische Psychotherapie von ihr doch erstaunlicherweise wenig diskutiert. Dabei bieten gerade die Heldengeschichten und die vielen heroischen Motive aus den Träumen der Patienten eine Vielzahl von hilfreichen Anregungen für die therapeutische Praxis. Diese Vernachlässigung des Heros in der therapeutischen Methodik hängt vermutlich mit einer Überbetonung der eher introvertierten und religiösen Einstellung in der Analytischen Psychologie zusammen.
Inzwischen gibt es aber eine Reihe von analytisch-integrativen Psychotherapieansätzen (> Psychotherapie, integrative), die die introspektive analytische Einstellung mit dem eher extravertierten verhaltensorientieren Vorgehen zu verbinden suchen. Im Gegenzug haben sich auch moderne Verhaltens- und Kognitionstherapeuten weitgehend von ihrem allzu vereinfachenden, mechanistischen Reiz-Reaktions-Modell entfernt. Sie beginnen die Verleugnung der Bedeutsamkeit unbewusster psychischer Prozesse, die sie über ein halbes Jahrhundert lang erbittert durchzuhalten versucht haben, zugunsten einer ganzheitlicheren Konzeption zu überwinden.
Eine spezifische Gefahr der, mit dem heroischen Faktor verbundenen, Techniken und Vorgehensweisen liegt darin, dass die therapeutische Begegnung technisiert wird, dass sich, durch das Dazwischenschieben von Methodik und Technik, menschliche Nähe, > Akzeptanz, Bezogenheit (> Beziehung > Beziehung, therapeutische) und Liebe nicht genügend entfalten können. Das ständige Hinarbeiten auf Selbstverantwortung, auf aktive Entscheidungen, auf Autonomie und Unabhängigkeit kann dahin führen, dass im Patienten so etwas wie ein Bewusstseins- und Willenskrampf entsteht, der verhindert, innerlich loszulassen, regressivere Gefühle (> Regression) und Bedürfnisse (z. B. Nähe, Hingabe, Empfänglichkeit, Ruhe, Geborgenheit) wahrzunehmen und eine vertrauensvolle, schöpferische Beziehung zu den unbewusst gesteuerten Regulationsvorgängen des > Selbst herzustellen. Dann kann es tatsächlich zu jenem gehetzten Aktionismus, zum "blinden", d. h. unbewussten > Agieren und zu jener Symptomverschiebung kommen, vor denen die analytischen Therapierichtungen immer warnen.
Eine weitere immanente Problematik des Heros ist die progressionsbetonte (> Progression) Machbarkeits-Hybris: "Alles ist möglich" und "Du kannst, wenn du willst", wenn du nur die richtige Technik oder die neueste "Super-Mega-Power-Methode" hast. Überaus komplexe Zusammenhänge der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Entwicklung werden hierbei auf wenige, dafür plan- und organisierbare Aspekte reduziert, die aber den dahinter stehenden eigentlichen Bedürfnissen meist nicht gerecht werden. Menschen haben zwar immer wieder Hoffnung auf solche einfachen Rezepte und Lösungen, sind aber nach einer Zeit vielleicht anfänglicher Euphorie doch - glücklicherweise - unzufrieden, wenn sie die Oberflächlichkeit und oft simple Mechanik solcher Vorgehensweisen bemerken, wenn sie spüren, dass sich das, was sie sind und was sie eigentlich wollen - nämlich authentisch sie selbst sein zu können -, nicht auf schnelle, einfache Weise erreichen lässt.
"Ein alter Adept sagte: <<Wenn aber ein verkehrter Mann die rechten Mittel gebraucht, so wirkt das rechte Mittel verkehrt.>> Dieser leider nur zu wahre chinesische Weisheitsspruch steht in schroffstem Gegensatz zu unserem Glauben an die "richtige" Methode in Absehung vom Menschen, der sie anwendet. In Wirklichkeit hängt in diesen Dingen alles am Menschen und wenig oder nichts an der Methode. Die Methode ist ja nur der Weg und die Richtung, die einer einschlägt, wobei das Wie seines Handelns der getreue Ausdruck seines Wesens ist. Ist es das aber nicht, so ist die Methode nicht mehr als eine Affektation, künstlich hinzugelernt, wurzel- und saftlos, dem illegalen Zweck der Selbstverschleierung dienend, ein Mittel, sich über sich selbst zu täuschen und dem vielleicht unbarmherzigen Gesetz des eigenen Wesens zu entgehen. " (Jung, GW 13, § 4)
Literatur: Campbell, J. (1978): Der Heros in tausend Gestalten; Kanfer, F. H. Reinecker, H. Schmelzer, D. (1991): Selbstmanagement-Therapie. Müller, L. (1987): Der Held; Müller, L. (2001): Lebe dein Bestes.
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