Energie: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Energie
Links: > Affekt > Emotion > Enantiodromie > Flow > Funktion, transzendente > Gegensatz > Interesse > Leidenschaft > Libido > Mana > Polarität > Symbol
Definition: Energie (griech. en érgeia: wirkende Kraft) meint als physikalische Kraft die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten, im allgemeinen Sprachgebrauch auch Tatkraft.
C. G. Jung geht von der energetischen Struktur der physischen wie der psychischen Natur aus und fasst die > Ganzheit des Organismus als etwas auf, das sich in dauernder energetischer Bewegung befindet. In Abgrenzung zum enger gefassten Begriff der > Libido bei S. Freud kommt er zu der Auffassung, Libido sei psychische Energie, die sich in verschiedenen Lebensäußerungen manifestieren könne, z. B. als Streben, Wünschen, Wollen und Begehren, in der > Sexualität, der > Aggression, der > Macht, bei Affekten (> Affekt) und Interessen, in geistigen und kreativen Impulsen, im Trieb zur > Individuation oder auch allgemein in der Intensität psychischer Vorgänge.
Information: Innerhalb des psychischen Systems ist – bis zu einem gewissen Grade – die Menge der Energie konstant und nur ihre Verteilung variabel (Äquivalenzprinzip). Bei einem Energieverlust des Bewusstseins (z. B. durch starke > Abwehrmechanismen) geht beispielsweise Energie ins Unbewusste über, belebt und verstärkt dort dessen Inhalte, (> Komplex, > Archetyp), die dann – falls sie nicht bewusst gemacht, differenziert (> Differenzierung) und integriert (> Integration) werden, psychische Störungen und Symptome hervorrufen können.
Die energetische Belebung kann aber auch absichtlich gefördert werden, z. B. mit Hilfe von Verfahren zur Erzielung veränderter Bewusstseinszustände (> Bewusstseinszustände, veränderte) oder im Rahmen einer > Analyse, bei der auf dem Wege der > Regression und mit Hilfe z. B. von > Assoziation, > Introspektion, Traum- und Symbolarbeit (> Imagination > Traum > Symbol) Zugang zu unbewussten Inhalten und deren energetischem Potenzial gefunden werden kann.
Das zweite von Jung auf die Psyche angewendete physikalische Energiegesetz, das der Entropie (griech.: Wärmetod), besagt, dass Energie nur so lange fließen kann, wie eine Gegensatzspannung vorhanden ist. “Das Leben als ein energetischer Prozess bedarf der Gegensätze, ohne welche Energie bekanntlich unmöglich ist [...] Die Gegensatzspannung, welche Energie ermöglicht, ist ein Weltgesetz, passend ausgedrückt durch das Yang und Ying der chinesischen Philosophie.“ (Jung, GW 11, § 214) Je höher die Spannung ist, umso stärker ist auch die Energieumsetzung. Kann die Spannung oder der Konflikt konstruktiv verarbeitet werden, bzw. kann die Polarität ausgehalten und integriert werden, bleibt das System lebendig und schöpferisch. Wird die natürliche Polarität und damit verbundene > Enantiodromie und > Kompensation gestört, z. B. indem ein Pol einer Polarität abgewehrt wird (> Abwehrmechanismen), kann es zur > Dissoziation, > Spaltung und entsprechenden psychischen Erkrankungen kommen. Insofern ist der energetische Gesichtspunkt ein wichtiger Teil der > Diagnostik und Therapie in der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie).
Die Auseinandersetzung Jungs mit der psychischen Energie beginnt mit den Assoziationsstudien (> Assoziation > Assoziationsexperiment), in denen der freie Fluss der psychischen Energie und seine komplexbedingten Störungen gemessen werden können. Der > Komplex hat einen Gefühlston, eine affektive Intensität, also einen energetischen Wert und kann dadurch auch als energetische Kraft psychische Inhalte konstellieren (> Konstellation) oder hemmen. Der konstellierenden Kraft eines Komplexes entspricht die, im Komplex gebundene, psychische Energie.
Auch > Archetyp und > Symbol werden energetisch betrachtet. Der Archetyp ist nicht nur Bild an sich, sondern auch Dynamis. Die Dynamik oder Energie des Archetypus zeigt sich in seiner Numinosität (> Numinoses) und seiner faszinierenden und motivierenden Wirkung. Wie vom Komplex geht deswegen auch vom archetypischen > Bild eine konstellierende Kraft aus.
Das Symbol ist für Jung, unter physikalisch-energetischem Blick betrachtet, eine „psychologische Maschine, welche Energie umwandelt“ (Jung, GW 8, § 88). Die Symbolbildung und die mit ihr eng verbundene transzendente Funktion (> Funktion, transzendente) ermöglichen es, unbewusste Inhalte (z. B. > Affekt > Emotion > Instinkt) bewusst zu machen und anderen psychischen Tätigkeiten zuzuführen (> Kreativität > Schöpferisches > Sublimierung). Der energetische Gesichtspunkt spiegelt sich darüber hinaus in vielen weiteren Konzepten der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie), beispielsweise in der > Selbstregulation, in der dialektischen Beziehung zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten (> Unbewusstes), Ich (> Ich/Ich-Bewusstsein) und dem > Selbst, in der > Progression und der > Regression, der > Extraversion und der > Introversion wider.
In der energetischen Betrachtungsweise Jungs finden sich viele Ansätze, die von W. Reich und später von A. Lowen in der Bioenergetik ebenfalls entwickelt wurden, wobei in der heutigen populären Diskussion um „Energie“ die vielseitigen Beiträge, die die > Analytische Psychologie dazu liefert, kaum Erwähnung finden.
Literatur: Jacobi, J. (1972): Die Psychologie von C. G. Jung; Seifert, T. (1981): Lebensperspektiven der Psychologie.
Autor: T. Seifert