Krise: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Krise

Links: > Balint-Gruppenarbeit > Borderline > Intervision > Kreativität > Kreativität, Phasen der > Neurose > Psychose > Selbstregulation > Supervision

Definition: Unter einer Krise (griech. krisis: Scheidung, Streit, Entscheidung) versteht man allgemein eine schwierige innere oder äußere Lage, eine bedrohlich erscheinende Situation, der man nicht ohne weiteres entfliehen kann. In der Medizin stellt sie den Höhepunkt einer akuten Krankheit, aber auch den möglichen Wendepunkt im Krankheitsgeschehen dar, z. B. der schnelle Fieberabfall bei Infektionskrankheiten. Dieser doppelte Aspekt der Krise findet sich auch im Chinesischen, wo sich das Wort Krise aus zwei Zeichen zusammensetzt: Gefahr und Gelegenheit/Chance. Krisen gehören ebenso wie Konflikte (> Konflikt) zum Ablauf der Lebensdynamik (> Energie > Enantiodromie > Libido) gesetzmäßig dazu. Sie sind Ausdruck der Tatsache, dass das Leben immer in Bewegung ist, sich immer in einem Wechselspiel polarer Kräfte (> Gegensatz > Polarität) befindet und deswegen auch verletzbar und störbar ist. Krisen begleiten den Menschen von der Geburt bis zum Tod, durchziehen seinen Alltag, sein berufliches Leben, seine Beziehungen, seine > Individuation, seine Kreativität. Immer wieder gibt es im Leben des Menschen kritische Phasen, in denen er vor neue Situationen gestellt wird, die er mit seinen bisherigen Möglichkeiten nicht bewältigen kann und die ihn aus dem Gleichgewicht bringen (> Adoleszenz > Pubertät > Ehe/Partnerschaft > Lebenswende). Von diesen allgemeinen Entwicklungs- und Lebenskrisen, die jeder Mensch mehr oder weniger ausgeprägt erfährt, durch Krankheiten, Trennungen, Misserfolgserlebnisse, Enttäuschungen oder auch Herausforderungen usw. sind die traumatischen Krisen (> Trauma/Traumatisierung > Traumtherapie, imaginative) zu unterscheiden, bei denen der Einzelne durch extreme Belastungen (Tod, Krieg, Katastrophen, Folter, Vergewaltigung, Unfall, Missbrauch) in einen psychischen Ausnahmezustand gerät. Zwischen beiden Formen gibt es natürlich - wie überall - fließende Übergänge und sehr individuelle Bewältigungsressourcen und -strategien.

Information: In vielen Fällen ist eine psychotherapeutische Krisenintervention (> Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte) hilfreich und notwendig. In der Regel geht es darum, in einer kurzfristig angelegten therapeutischen Beziehung (> Beziehung, therapeutische) die aktuelle belastende Situation mit geeigneten Mitteln - Zeit haben, Anteilnahme und Mitgefühl (> Empathie) zeigen, Ermutigung zum Aussprechen von Gefühlen der > Angst, Schmerz, > Trauer, Feindseligkeit und > Aggression, soziale Betreuung, Medikation (Psychopharmakologie), Klinikangebot (> Psychotherapie, stationäre) - aufzufangen, den emotionalen Druck zu mildern und dem Betroffenen in einer unterstützenden, konstruktiven Weise "Hilfe zur Selbsthilfe" anzubieten. Angestrebtes Ziel ist, dass der Betroffene seine Entscheidungs- und Handlungskompetenz baldmöglichst wieder erlangt. Krisenintervention bedarf einer längeren Erfahrung im Umgang mit solchen Grenzsituationen des Lebens, sodass sich der Helfende von der Angst oder dem Schrecken nicht in einer Weise anstecken lässt (> Identifikation), dass er seine eigene psychische Stabilität und damit seine therapeutische Funktion verliert. Gleichzeitig darf er die eigenen Ängste und Belastungen nicht so abwehren, dass er nicht mehr empathisch reagieren kann und sich nur noch schematisch-routinemäßig verhält. Denn der Mensch in Not bedarf vor allem des anderen Menschen und nicht so sehr einer Methode oder Technik "so lange er den menschlichen Kontakt, die Atmosphäre natürlichen Vertrauens fühlt, ist keine Gefahr; und sogar wenn man dem Schrecken des Wahnsinns oder dem Schatten des Todes ins Gesicht zu blicken hat, besteht doch noch jene Sphäre menschlichen Glaubens, jene Gewissheit, zu verstehen und verstanden zu werden, wie schwarz die Nacht auch sei." (Jung, zit. nach Jacobi, 1971b, S. 109)

Menschen, die viel mit anderen Menschen in Krisensituationen arbeiten, bedürfen einer besonderen Psychohygiene (> Schatten, therapeutischer) d. h. sie müssen besonders auf ihre eigene körperliche und psychische Gesundheit achten und Möglichkeiten haben, ihre eigenen Belastungen zu verarbeiten (> Balint-Gruppenarbeit > Supervision > Intervision).

Eine spezielle Form der Krise ist die, in den letzten Jahren von der Transpersonalen Psychotherapie (> Transpersonale Psychotherapie) beschriebene, spirituelle Krise (> Spiritualität), die - trotz ihrer oft psychosenah anmutenden Symptomatik (Psychose) - als eine schöpferische Krise mit dem Ziel der Erweiterung des Bewusstseins (> Bewusstsein) und der > Persönlichkeit anzusehen ist, zumindest dann, wenn der Betreffende in der Lage ist, die auftretenden außergewöhnlichen Erfahrungen in sein Leben und seine Persönlichkeit zu integrieren (> Integration). Als eine solche spirituelle Krise kann man C. G. Jungs Zeit nach der Trennung von S. Freud verstehen (> Freud-Jung-Beziehung). Damals hat er in einem langen Prozess die bedrohlich, aber auch heilsame und schöpferische Kraft des Unbewussten erfahren: "Das kollektive Unbewusste ist gefährlicher als Dynamit, aber es gibt Wege, ohne allzu große Risiken damit umzugehen. Wenn man einen Zugang dazu hat, so hat man im Falle einer seelischen Krise eine viel bessere Chance, sie zu lösen als jeder andere. Träume und Wachträume kommen einem zu Hilfe: Es lohnt sich, sie genauer zu betrachten. Jeder Traum birgt eine besondere Botschaft in sich: Er sagt einem nicht nur, dass etwas tief Greifendes nicht in Ordnung ist, sondern zeigt auch auf, wie aus der Krise herauszukommen ist. Denn das kollektive Unbewusste, welches solche Träume schickt, kennt die Lösung schon: In Tat und Wahrheit ging nichts vom Erfahrungsschatz, der sich seit undenklichen Zeiten in der Menschheitsgeschichte angesammelt hat, verloren; alle nur vorstellbaren Situationen und alle möglichen Lösungen sind im kollektiven Unbewussten aufbewahrt. Man braucht nur die "Botschaft" sorgfältig zu beachten, die das Unbewusste übermittelt, und muss sie zu entziffern versuchen. Die Analyse hilft einem, solche Botschaften richtig zu verstehen." (Jung, 1986, S. 83)

keine

Literatur: Grof, S., Grof, C. (1990): Spirituelle Krisen; Kast, V. (1987): Der schöpferische Sprung; Kast, V. (2000): Lebenskrisen werden Lebenschancen; Neumann, E. (1961): Krise und Erneuerung.

Autor: L. Müller