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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Deutung
Links: > A-H-System > Analyse > Beziehung, therapeutische > Durcharbeiten > Hermeneutik > Logos-Prinzip > Prozess, dialektischer > Verstehen
Definition: Unter Deutung versteht man in den analytischen Psychotherapieformen eine zum Verständnis, zur Erkenntnis und Einsicht führende Auslegung, Interpretation von Ereignissen, Verhaltens- und Erlebensweisen, Konflikten, Motiven, Symptomen und Symbolen etc., die dem Patienten bis dahin in ihrer Bedeutung und in ihren Zusammenhängen teilweise oder ganz unbewusst gewesen sind und ihm durch die Deutungsarbeit bewusst werden.
Information: “Wir müssen das in sich selbst sich erfüllende Leben und Geschehen in Bilder, in Sinne, in Begriffe auflösen, wissentlich dabei vom lebendigen Geheimnis uns entfernend. Solange wir im Schöpferischen selbst befangen sind, sehen und erkennen wir nicht, wir dürfen sogar nicht einmal erkennen, denn nichts ist dem unmittelbaren Erleben schädlicher und gefährlicher als die Erkenntnis. Zum Erkennen aber müssen wir uns außerhalb des schöpferischen Prozesses begeben und ihn von außen ansehen, und dann erst wird er zum Bilde, welches Bedeutungen ausspricht. Dann dürfen wir nicht nur, sondern müssen sogar von ‚Sinn‘ sprechen.“ (Jung, GW 15, § 121)
Durch das Bewusstmachen der unbewussten Aspekte und Inhalte und die, dadurch möglich werdende, > Integration in das Gesamt der Persönlichkeit sollen ein größerer Verhaltens- und Erlebensfreiraum gewonnen und festgefahrene Einstellungen, Konflikte (> Konflikt) und Komplexe (> Komplex) aufgelöst oder zumindest aufgelockert werden. In der analytischen Literatur wurden sehr viele Deutungsarten, Deutungsphasen, Deutungsebenen und Deutungsregeln beschrieben, z. B. > Amplifikation, Abwehr-, Widerstands und Übertragungsdeutungen (> Abwehrmechanismen > Widerstand, > Übertragung/Gegenübertrag), genetische Deutungen (> Psychogenese), finale Deutungen Objekt-, beziehungs- und subjektstufige Deutungen, etc. Während in der > Psychoanalyse lange Zeit eine gewisse Tendenz bestand, Deutungen vor allem als eine Aktivität des Analytikers und als eine Rekonstruktion von tatsächlichen psychischen Abläufen zu verstehen, teilt man heute zunehmend die Auffassung, dass Deutungen immer nur gemeinsame Konstruktionen sein können (> Konstruktivismus). Sie können nur dann nützlich sein, wenn sie dem Patienten „stimmig“ und „passend“ erscheinen und ihm helfen, sich und sein Verhalten besser zu verstehen. Der Anspruch, auf „Objektivität“, „Wahrhaftigkeit“ und „Richtigkeit“ ist zugunsten der Forderung nach „Stimmigkeit“ und „Passung“ zurückgetreten. In der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) wird Deutung dementsprechend auch als etwas verstanden, das aus dem gemeinsamen interaktionellen Bemühen von Therapeut und Patient um Sinn und Verstehen resultiert (> Prozess, dialektischer). Es ist mehr ein gemeinsamer schöpferischer Vorgang als das Aufdecken einer allem zugrunde liegenden „Wahrheit“ durch den Analytiker. C. G. Jung wandte sich schon früh gegen die freudsche Vorstellung, hinter dem unbewussten, symbolischen Material einen konkreten, meist triebhaften, sexuellen Sinn „ent-decken“ zu wollen, wodurch das Symbolische (> Symbol) auf etwas nur Zeichenhaftes und das Psychische auf etwas nur Triebhaftes reduziert würde. Er betonte dem gegenüber die > Autonomie, > Komplexität, Vieldeutigkeit, Paradoxie (> Paradoxon/Paradoxie /Paradoxität) und das Schöpferische (> Schöpferisches) der psychischen Vorgänge. Die genetische Deutung S. Freuds wurde von Jung durch die final-konstruktive (> Finalität) ergänzt, die individuell-biografische durch die amplifizierende (> Amplifikation) und die mehr objektstufige Deutungsebene (> Objektstufe, Deutung auf der) durch die subjektstufige (> Subjektstufe/Deutung auf der).
Von zentraler Bedeutung für das Verständnis eines unbewussten Ereignisses ist der individuelle (Erlebens-) Kontext, in dem es stattfindet. Dieser Kontext wird nicht nur durch aktuelle Beziehungsdynamiken (auch z. B. Übertragungskonstellationen in der Therapie), aktuelle auslösende Erfahrungen und Konflikte (Tagesereignisse, Versuchungs- und Versagenssituationen) und durch Kindheitserfahrungen und frühere Eltern-Kind-Interaktionen bestimmt, sondern auch durch genetische Dispositionen, typische Persönlichkeitsstrukturen (> Extraversion > Introversion), prägende Erfahrungen, die außerhalb des familiären Kontextes stattfinden, gesellschaftliche und kulturelle Bedingungen etc. und darüber hinaus auch sehr stark durch Sehnsüchte und Wünsche, Begabungen und kreatives Potenzial. Insofern ist Deutungsarbeit immer ein sehr komplexes, vorläufiges und hypothetisches Geschehen.
Es handelt sich bei der Deutung in der Regel um folgende vier Schritte (am Beispiel eines symbolischen Ereignisses): 1. Nach der Grundregel: „Erleben vor Deuten“ wird das symbolische Ereignis aktualisiert (> Aktualisierung) und in der einen oder anderen Weise bearbeitet (> A-H-System > Assoziation > Amplifikation, Gestaltung (> Gestaltungstherapie) > Imagination), um mit ihm in eine tiefere gefühlsmäßige und persönliche Beziehung zu kommen. 2. Das wesentlich Erscheinende wird mit einigen Begriffen abstrahierend zusammengefasst. Ihm wird eine zusammenfassende, Sinn und Emotion berücksichtigende Bedeutung gegeben.
3. Die Deutung wird auf die eigene Person, die gegenwärtige Konfliktlage und sonstige Lebenssituation übertragen. 4. Wenn eine Ähnlichkeit oder Entsprechung zur aktuellen Befindlichkeit oder zum aktuellen Leben gefunden wurde, wird noch einmal zurückgefragt, ob dieses Ereignis zu dem Ausgangssymbol befriedigend, schlüssig und stimmig passt. Wenn nicht, muss der Deutungsprozess erneut beginnen.
Ein zentraler Aspekt, den die > Analytische Psychologie zur Deutung beigetragen hat, ist der kompensatorische Gesichtspunkt (> Kompensation), hinter dem das Prinzip der > Selbstregulation der Psyche steht. Nach diesem Prinzip versucht das psychische System Einseitigkeiten der Einstellung und der Lebensgestaltung auszubalancieren. Manche Symptome und Symbole lassen sich am besten verstehen, wenn sie als Kompensation aufgefasst werden. Unter dem Gesichtspunkt der kompensatorischen Funktion lässt sich beispielsweise hinterfragen: Welche (einseitigen) Einstellungen, Haltungen, Werte, Verhaltensweisen könnten durch das Symbol kompensiert, ausgeglichen, reguliert werden? Welche bestätigenden, ergänzenden, ausgleichenden oder warnenden Impulse vermittelt das Symbol? Auf welche Weise könnte das Symbol das Bewusstsein erweitern? Inwieweit zeigen sich im Symbol schöpferische, finale, auf ein Ziel hin orientierte Tendenzen? Zu welcher weiteren Entwicklung regt das Symbol an? Welche Hinweise zu einer notwendigen Verhaltensänderung ergeben sich? (Müller, Knoll, 1998)
Literatur:
Autor: L. Müller