Libido

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Keyword: Libido

Links: > Aggression > Emotion > Enantiodromie > Eros-Prinzip > Energie > Flow > Gegensatz > Heros-Prinzip > Interesse > Kreativität > Leidenschaft > Liebe > Polarität > Schöpferisches > Sexualität

Definition: Libido (lat. libet: es beliebt; Begierde, Lust, Verlangen) ist einer der Kernbegriffe der klassischen > Psychoanalyse. Er bezeichnet damit zunächst den spezifischen sexuellen Triebimpuls (> Sexualität) und die damit verbundenen psychischen Manifestationen. Später versteht er darunter die, jeden Trieb (> Instinkt) begleitende, psychische Energie. Triebe und Triebkonflikte stellen für S. Freud die Grundlage des menschlichen Seelenlebens dar: In seiner ersten Theorie sind es die Konflikte (> Konflikt) zwischen den Ich- und Sexualtrieben, später diejenigen zwischen sexueller Libido und Aggressivität (Eros und > Thanatos). Durch den Vorgang der > Sublimierung (> Abwehrmechanismen) wird nach Freud die Libido in "höhere" kulturelle oder soziale Anliegen umgewandelt und bildet so die Grundlage des geistigen, künstlerischen und kulturellen Lebens (> Kunst).

Information: C. G. Jung (> Freud-Jung-Beziehung) setzt sich in“ Wandlungen und Symbole der Libido“ (vgl. Jung, GW 5) erstmals intensiv mit dem Libido-Begriff Freuds auseinander und grenzt sich dagegen ab. Er sieht in der Libido einen "kontinuierlichen Lebenstrieb", einen "Willen zum Dasein" ein "Intendieren", einen "Energiewert", (> Assoziationsexperiment > Emotion) der sich sowohl auf > Affekt, > Liebe, > Sexualität, Hunger, als auch auf > Religion und geistige Vorstellungen beziehen kann. (vgl. Jung, GW 5, § 195f) Diese Sicht, Libido als allgemeine psychische > Energie (Enantiodromie) zu verstehen, fließt in Jungs Theorien der Neurosenentstehung (> Komplex > Neurose) ebenso mit ein wie seine Vorstellung von der Gegensatznatur der Psyche (> Gegensatz > Polarität) ein. "Aus dem Gegensatzgemälde, als welches ich die Welt sehe, ergibt sich mir die Idee der psychischen Energie, die ebenso aus Gegensätzen hervorgehen muss, wie die Energie des physischen Geschehens, die immer ein Gefälle, d. h. die Existenz von Gegensätzen wie Warm- kalt, hoch- tief usw. voraussetzt." (Jung, GW 4 § 779) Infolge eines natürlichen Gefälles zwischen Gegensätzen kann sich Libido von dem einen Pol eines Gegensatzpaares zum anderen verlagern. Bei Energieverlust des Bewusstseins geht Energie ins Unbewusste über, (> Regression) belebt dort dessen Inhalte, Komplexe, Archetypen (> Archetyp), die dann ein energetisches Eigenleben beginnen und ins Bewusstsein drängen, (> Funktion, transzendente > Progression) sei es als schöpferischer Impuls, (> Kreativität > Schöpferisches) > Fantasie oder als psychische Störung und > Symptom. Nicht die Sexualität allein als Libido zu verstehen, und die Libido bzw. die psychische Energie nicht auf bestimmte Themen, Kräfte, Triebe festzulegen, ist ein zentrales Anliegen Jungs. Sexualität sei einer der biologischen Instinkte (> Instinkt), der sich so verhalte wie andere biologische Triebe. Wenn er unerfüllt bzw. aufgestaut sei, nehme er größeren Raum ein und kehre sofort zu normalen Proportionen zurück, wenn der Weg zur Entfaltung freigegeben sei. Was Freud beobachte, sei meist uneigentliche, aufgestaute Sexualität, gestaute Emotionalität aus anderen Lebensgebieten. Um gestaute Libido natürlich fließen zu lassen, müsse die Reduzierung der Libido auf das Biologische, den Familienroman, das Persönliche Unbewusste aufgegeben und der andere Pol des physisch-biologisch-instinkthaften Bereichs gefunden werden: der geistige, schöpferische, religiöse im weitesten Sinne. (vgl. Jung, GW 4, § 780) Die Verlagerung, Umsetzung, Wandlung oder Transformation der Libido geschieht über schöpferische Tätigkeit, über Bilder und Symbole. (> Imagination > Gestaltungstherapie/Klinische Kunsttherapie > Körper > Malen aus dem Unbewussten > Musik > Tanz > Tonfeld, Arbeit am) Durch die schöpferische Tätigkeit, die sich in archetypischen Bildern und symbolischen Gestaltungen findet, wird Libido von einem instinktiven auf ein geistiges Niveau transformiert. Diese > Wandlung der Libido ist für Jung nicht eine > Sublimation, bei der unbewusstes, verdrängtes Material in Kultur verwandelt wird, sondern ein Ergebnis der transzendenten Funktion (> Funktion, transzendente), immer Resultat eines fortwährenden Sich-Trennens und Sich-Vereinens von polaren Elementen (> Polarität > Synthese), eine Verbindung von individuellem und kollektivem, von bewusstem und unbewusstem Material.

Die > Selbstorganisation ist in der Lage, die Libido umzusetzen, neu zu verteilen und in sinnvolle Betätigung umzuleiten, da es einerseits die psychische Realisierung eines Archetyps ist, andererseits durch seinen Sinngehalt ein neues Gefälle erzielen und dadurch neue Energieballung hervorrufen kann. Es sind also innere, archetypisch angelegte Möglichkeiten, welche die Transformierung der Libido von der natürlichen und triebhaft bestimmten zu den geistigen Anwendungsformen ermöglicht. Die Libido, welche sich z. B. bei einer neurotischen Erkrankung oder im Verlauf des therapeutischen Prozesses (> Prozess, dialektischer) zu den alten Konfliktfeldern, wie z. B. der Mutterbindung, zurückbewegt, kann durch die übergreifende Bedeutung des Symbols und seine transformierende Kraft wieder in progressive Richtung gelenkt und für lebenswichtige und -fördernde Aufgaben verwendet werden. Der Prozess der Libido-Umwandlung durch Symbole ist ein wichtiger Bestandteil jeder Analyse. In früheren Kulturen und auf früheren Bewusstseinsstufen (> Bewusstseinsentwicklung > Bewusstseins-Evolution) spielte er in der > Magie eine große Rolle wie auch in den Symbolbildungen der Religionen. "Nach meiner persönlichen Auffassung ist die Lebensenergie oder die Libido des Menschen das göttliche Pneuma, und es war meine geheime Absicht, diese Überzeugung dem Verständnis meiner Kollegen nahezubringen." (Jung, Briefe 1, S. 475)

Literatur: Fetscher, R. (1979): Grundlinien der Tiefenpsychologie von S. Freud und C. G. Jung; Frey-Rohn, L. (1969): Von Freud zu Jung; Mertens, W., Waldvogel, B. (Hrsg.) (2002): Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe.

Autor: A. Kuptz-Klimpel