Wirkfaktoren, psychotherapeutische

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Keyword: Wirkfaktoren, psychotherapeutische

Links: > Analyse > Analytische Psychologie > Allgemeine Psychotherapie > Beziehung, therapeutische > Psychotherapie

Definition: Die empirische Psychotherapieforschung untersucht seit etwa 40 Jahren die Frage nach dem, was in einer Psychotherapie wirkt. J. Frank (1971) und F. Shapiro (1971) fanden dabei beispielweise in allen erfolgreichen Therapieverfahren gleichermaßen: 1. ein gemeinsames Erklärungssystem für die Ursachen und Probleme des Patienten; 2. eine von Therapeuten ausgestrahlte Überzeugung, helfen zu können; 3. die Erwartung des Patienten, wirksame Hilfe zu erhalten; 4. die Verwendung bestimmter Prozeduren, Rituale oder Techniken; 5. das Angebot einer Beziehung, in der der Patient Interesse an seiner Person und seinen Problemen erfährt; 6. dass es wichtig sei, dass alles in einer für den Patienten plausiblen und überzeugenden Art geschieht. Frank (1971) hob die Parallelen zum Verhalten von Medizinmännern und Schamanen (> Schamanismus) hervor. Es könnte ja sein, "dass die unterschiedlichen Therapieformen einfach unterschiedliche Arten darstellen, diese allen Psychotherapieformen gemeinsamen Faktoren zur Wirkung zu bringen." (Grawe et al., 1994)

D. Orlinsky und K. Howard haben 1986 versucht, die Frage nach dem Verhältnis von Therapieprozess und Therapieergebnis auf dem Fundament einer breiten Datenbasis nachzuweisen und ein Generic Model of Psychotherapy erstellt (Orlinsky, Howard, 1986). Auf der Basis einer systematisierten Durchsicht von mehr als 2000 empirischen Arbeiten zu diesem Thema fassen sie als wichtigste Ergebnisse folgende Wirkfaktoren zusammen:

1. Der therapeutische Vertrag (> Set > Setting)

Aspekte des therapeutischen Vertrags beziehen sich auf das Können des Therapeuten und die "Passung" zwischen Therapeut und Patient. Relevant ist die Übereinstimmung mit dem Patienten hinsichtlich der Therapieziele; Klarheit, was den Patienten in der Therapie erwartet; Vorbereitung auf seine Rolle und die verbale Aktivität des Patienten. Ein gut vorbereiteter Patient, der zur Art der Therapie "passt", der aktiv und engagiert mit seinem Therapeuten spricht, den er als fähig ansieht - wird mit großer Wahrscheinlichkeit von der Therapie profitieren.

2. Die therapeutischen Maßnahmen (> Intervention)

Die nächste Gruppe von Wirkfaktoren betrifft die Aktivitäten in der Therapie. Guter Erfolg ist dann wahrscheinlich, wenn Patienten in ihrer Symptompräsentation auf die eigenen Lebensprobleme und die Beziehung zu den nahen Angehörigen fokussieren. Weniger eindeutig wirkend - aber dennoch hilfreich - ist, wenn der Therapeut mit seinen Interventionen mit Takt und Vorsicht auf die Probleme des Patienten eingeht. > Konfrontation und Interpretation (> Deutung > Verstehen) sind aus dem Blickwinkel mehrerer Beurteilungsebenen potente Interventionsformen. Evident ist der Therapieerfolg dann, wenn durch die Interventionen des Therapeuten positive > Affekte (> Emotion) wachgerufen werden und diese mit einer guten Kooperation des Patienten verbunden sind. Darüber hinaus gewinnen therapeutische Interventionen - Strukturieren, Explorieren, Interpretieren, Konfrontieren usw. - an Bedeutung, wenn sie geschickt und mit geeigneten Patienten durchgeführt werden. Spezifischer formulierten dies H. Enke und D. Czogalik: "Interventionen stehen dann in einer konstruktiven Beziehung zum psychotherapeutischen Prozess, wenn sie in der Lage sind, auf dem Fundament einer tragfähigen Therapeut-Patient-Beziehung (> Beziehung, therapeutische) integrierbare Neuerfahrung und Neubewertung beim Patienten anzustoßen oder zu vertiefen." (Crits-Christoph et. al., 1988, S. 15]]) Die Neuerfahrung und Neubewertung sollten nach neueren Untersuchungen zentrale > [[Konflikte und Problemfelder betreffen.

3. Die therapeutische Beziehung (> Beziehung, therapeutische > Beziehungsquaternio)

Die Therapeut-Patient-Beziehung wird in dem "Generic Model of Psychotherapy" anhand von 18 unterschiedlichen Merkmalen beschrieben. 16 davon sind signifikant mit dem Therapieerfolg assoziiert. Therapien, in denen die Beziehung getragen wird von gegenseitiger Achtung, Sympathie (> Eros-Prinzip in der Therapie), Verpflichtung (> Abstinenz), gegenseitigem Respekt, empathischer Resonanz (> Empathie > Resonanz), gegenseitiger affektiver Bestätigung, bei einer offenen Grundeinstellung, haben im Durchschnitt eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit. Die Qualität der Patiententeilnahme ist die wichtigste Determinante, die Erfolg vorhersagt. Die therapeutische Beziehung dient dabei als Vermittlerin zwischen Prozess (> Prozess, dialektischer) und Erfolg. Seitens des Therapeuten kommt es auf > Empathie, Bestätigung, Zusammenarbeit, Engagement und Echtheit (> Authentizität) an. Ob die Therapeuten in ihrem Tun glaubwürdig sind, beeinflusst den Patienten genauso wie das Ausmaß ihrer emotionalen Verwicklung in den Prozess. Hier finden sich Parallelen zu C. G. Jungs Verständnis der therapeutischen Beziehung als dialektischem Prozess (> Prozess, dialektischer).

4. Die Therapeutenmerkmale

Idealerweise sollen die ausgewählten Methoden zur Persönlichkeit des Therapeuten passen. Der Therapeut sollte von der Wirksamkeit seiner Methode überzeugt sein. Nach Orlinsky ist für eine effektive Therapie eine gute Abstimmung zwischen dem philosophischen Menschenbild und dem vom Therapeuten gewählten Behandlungsmodell mit der Persönlichkeit des Therapeuten erforderlich. Zusammenfassend: Kliniker und Gesundheitspolitiker, die diese Fakten ignorieren, riskieren ihre professionelle Kompetenz. (vgl. Bergin, Garfield, 1994, S. 352]])

Bei den hier vorgestellten Konzepten und empirischen Forschungsergebnissen (> Psychotherapieforschung) bleibt die spezifische Persönlichkeit des einzelnen Patienten unberücksichtigt: Bei dem einen Patienten zeigt mehr Behutsamkeit Wirkung, bei einem anderen ist eher eine fordernde Haltung angebracht. Bei dem einen Patienten ebnet ein spezifisches Vorgehen therapeutische Wege, während es bei einem anderen solche versperrt. Diese spezifischen Wirkmomente sind jedoch in den herkömmlichen Forschungsstrategien, in denen gruppenstatistische Messmethoden vorherrschen, nicht nachweisbar. Daraus lässt sich die Forderung nach sensibleren und spezifischeren Forschungsansätzen ableiten, die differenziertere Wirkzusammenhänge in der Psychotherapie zu erfassen vermögen. Ein Weg aus diesem Dilemma könnte eine Kombination aus Prozess- und Einzelfallforschung sein.

Viele der beschriebenen Wirkfaktoren finden sich in den therapeutischen Ansätzen der > Analytischen Psychologie umgesetzt: die Vorstellungen zur Persönlichkeit des Therapeuten; seine therapeutische Haltung dem Patienten gegenüber; der dialektische Prozess der Therapeut-Patient-Interaktion; die Vorstellung über den Erfahrungstransfer aus der Therapie in den Alltag; das Settingkonzept; das differenzierte Vorgehen bei den Patienten und die Offenheit für Fehler; die Anwendung des Individuations- und Sinnfindungsgedankens auf die Therapie.

Diskussion: In seinen Konzeptualisierungen des Therapieprozesses ist Jung seiner Zeit weit voraus gewesen. Die genannten Aspekte werden in der aktuellen empirischen Forschung im Sinne allgemeiner Wirkfaktoren im Wesentlichen bekräftigt. Das Konzept des dialektischen, interaktiven Prozesses entspricht weitgehend dem zentralen Wirkfaktor der therapeutischen Beziehung mit seinen vielen Facetten. Jungs dialektischer Prozess hat eine große Ähnlichkeit mit dem Konzept der projektiven Identifikation (> Identifikation, projektive). Das Postulat Sinnfindung (> Sinn) gilt als spezifisch für die Analytische Psychologie. In neueren Untersuchungen oder Konzepten wird Sinnfindung zunehmend zu einem allgemeinen Therapieziel und als Therapiemotiv auch in anderen Richtungen genannt. Damit ergibt sich: Zentrale Ansätze und Vorgehensweisen der Analytischen Psychologie decken sich mit dem, was in den Befunden der empirischen Psychotherapieforschung als wesentliche, therapieschulenunabhängigen Wirkfaktoren nachgewiesen worden ist. Die Aufhebung der bisherigen Forschungsabstinenz der Jungianer würde an die Tradition von Jung als Empiriker anknüpfen und die innovativen Ideen Jungs zu wirksamen Faktoren in der Psychotherapie - beispielsweise Psychotherapie als dialektisches Verfahren - in der empirischen Psychotherapieforschung zur Geltung bringen können. Eine Eingliederung von Forschern aus der Analytischen Psychotherapie in die Tradition der Psychotherapieforschung könnte zur Klärung des Selbstverständnisses Analytischer Psychologie als Verfahren zur Heilung oder Sinnfindung beitragen und auch berufspolitisch von großer Bedeutung sein.

Literatur: Keller, W., et al. (1995): Wirkfaktoren in der Analytischen Psychologie aus der Sicht C. G. Jung und der empirischen Psychotherapieforschung; Tschuschke, V., Czogalik, D. (1990): Psychotherapie - welche Effekte verändern?

Autor: W. Keller et. al.