Widerstand: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Widerstand

Links: > Abwehr > Abwehrmechanismen > Analyse > Beziehung, therapeutische > Deutung > Empathie > Fehlleistung > Konfrontation > Verstehen

Definition: Widerstand im psychotherapeutischen Sinne ist eine Form der > Abwehr, die sich spezifisch auf den therapeutischen Prozess und die gegen ihn mobilisierten unbewussten Kräfte (> Unbewusstes) bezieht, die zum Ziel haben, das psychische Gleichgewicht zu stabilisieren. Jede Art von Verhalten - auch bereitwillige Mitarbeit - kann von seiner Funktion her im Dienste des Widerstandes gegen Veränderung stehen. Häufig zu beobachten sind: > Fehlleistungen; Hemmung, sich zur erinnern; Skepsis gegenüber den Äußerungen und Deutungen des Analytikers; Dramatisierung oder Verharmlosung von Zusammenhängen und innerem Erleben; Traumsperre oder Traumflut; zu spätes oder übertrieben pünktliches Kommen; Idealisierung des Analytikers oder des Prozesses, um Aggressionen und Enttäuschungen zu vermeiden; aggressives, abwertendes Verhalten, um Nähe und Abhängigkeit zu verhindern; Hemmung, sich auf den Beziehungsprozess einzulassen. Letztere Phänomene bezeichnet die therapeutisch wichtigste Form des Widerstandes und wird auch Übertragungswiderstand genannt.

Information: Widerstand entsteht im Zusammenhang mit dem Bewusstwerden verdrängten, unbewussten Materials in der Nähe des pathogenen > Komplexes. Konstruktiv soll er das labile seelische Gleichgewicht der neurotischen Konfliktlösung erhalten und verteidigen. Er richtet sich sowohl gegen den therapeutischen Prozess als auch gegen ein Bewusstwerden der Inhalte des eigenen Unbewussten. Die Widerstandsanalyse geht - wie alle therapeutische > Konfrontation, > Deutung und jedes therapeutische > Verstehen - von der "Oberfläche" in die "Tiefe" und wird als gemeinsamer Prozess verstanden. Zunächst muss eine vertrauensvolle Kooperation mit dem Patienten eingegangen werden, die es ermöglicht, anzuerkennen, dass ein Widerstandsphänomen überhaupt vorliegt und dass dies an sich nichts Schlechtes oder Schlimmes ist. Dann wird das Phänomen des Widerstandes selbst geklärt (Art und Weise, Umstände) und auf seine begleitenden > Emotionen (> Aggression > Angst > Ärger > Minderwertigkeitsgefühl > Scham > [[Schuldgefühl usw.) und > [[Fantasie]]n hin untersucht.

Mit dem Zulassen der Emotionen und Fantasien wird meist auch der aktuelle Kontext des Widerstands sichtbar, d. h. durch welches Ereignis er ausgelöst wurde und was aktuell "dahinter" steckt. In einem weiteren Schritt können dann die mit dem Widerstand verbundenen, tiefer liegenden > Konflikte und > Komplexe, sowie deren größerer psychodynamischer und psychogenetischer (> Psychodynamik > Psychogenese) Zusammenhang umkreist und aufgehellt werden.

Die Arbeit am Widerstand ist neben der Arbeit an der Übertragung für die therapeutische Methodik zentral, weil sich in ihm sozusagen die aktuell gewordene> Neurose konstelliert (> Aktualisierung) und seine> Analyse den Zugang zum unbewussten Konflikt ermöglicht.

In der > Analytischen Psychologie wird die Widerstandanalyse immer auch unter dem Aspekt der > Selbstregulation betrachtet.

"Man spricht in der Literatur so viel vom Widerstand des Patienten, dass es beinahe aussieht, als wolle man ihm etwas aufnötigen, während das Heilende doch aus ihm natürlich wachsen sollte." (Jung, Jaffé, 1962, S. 136f)

Neben der > Abwehr unbewusster Impulse und Inhalte sieht C. G. Jung im Widerstand auch ein konstruktives, finales Zeichen (> Finalität) der Individuationsforderung (> Individuation), die sich gerade so gegenüber dem Therapeuten äußern könne, d. h., dass, was in einer bestimmten Phase der Therapie als Widerstand erscheint, kann durchaus seinen berechtigten Sinn haben, sodass der Therapeut den Patienten sogar zum Widerstand und zur Wahrung seiner "Geheimnisse" ermutigen kann. Beispielsweise könnte der Analytiker als eindringend-kontrollierend-bestrafende Mutter/Vater erlebt werden; dies nicht nur als Ausdruck einer entsprechenden frühkindlichen > Übertragung/Gegenübertragung , sondern auch als Ausdruck einer spezifischen autoritären Persönlichkeitsstruktur des Analytikers, was aber für beide zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusstseinsfähig ist. Insofern wäre dann der Widerstand berechtigt. Unter dieser Perspektive kann der Widerstand des Patienten als ein Zeichen dafür gesehen werden, dass "etwas nicht stimmt", eine Einstellung oder Deutung falsch ist oder zur Unzeit erfolgte oder auch dafür, dass der Therapeut einen Widerstand hat, weil auch er aufgrund seiner Persönlichkeits- und Komplexstruktur mit bestimmten Themen und Inhalten nicht gut umgehen kann. Insgesamt ist die Widerstandsanalyse ein wichtiges therapeutisches Instrument, das allerdings einfühlsam, behutsam und auf der Basis eines guten Vertrauensverhältnisses angewendet und niemals als > Aggression oder als Machtmittel gegen den Patienten eingesetzt werden sollte. (> Schatten, therapeutischer)

"Die Widerstände des Patienten können wertvolle Wegweiser im Zweifelsfalle sein. Ich bin geneigt, tief sitzende Widerstände zunächst ernst zu nehmen - so paradox dies auch klingen mag. Ich bin nämlich der Überzeugung, dass der Arzt es nicht notwendigerweise besser weiß als der Patient, resp. dessen seelische Beschaffenheit, die ihm selber ja ganz unbewusst sein kann. Diese Bescheidenheit des Arztes ist durchaus angebracht angesichts der Tatsache, dass es bis jetzt nicht nur keine allgemeingültige Psychologie, sondern auch dass es überdies unbekannt viele Temperamente und mehr oder weniger individuelle Psychen gibt, die in kein Schema passen wollen." (Jung, GW 16, § 76)

Literatur: Dieckmann, H. (1979): Methoden der Analytischen Psychologie; Mertens, W. (1990): Einführung in die psychoanalytische Therapie; Petzold, H. (1981a): Widerstand - Ein strittiges Konzept in der Psychotherapie.

Autor: D. Knoll