Alchemie
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Definition: Der lateinische Begriff Alchemie kommt aus dem Arabischen „al-kimiya“, was meistens auf das griechische Wort „chymeía“ oder „cheméia“, der Handwerkskunst, flüssiges Metall zu gießen, zurückgeführt wird.
Information: Die Anfänge der abendländischen Alchemie, etwa im 2. / 3. Jh. v. Chr., sind mit der mythischen Figur des Hermes Trismegistos verbunden, einer synkretistischen Verbindung des ägyptischen Thot mit dem griechischen Hermes. Man unterscheidet die antike Alchemie im griechisch-ägyptischen Kulturkreis etwa bis zum 7. Jh., die mittelalterlich-arabische Alchemie zunächst im arabischen Kulturkreis und ab dem 12. Jh. wieder in Europa, und die neuzeitliche Alchemie. Grundidee der Alchemie ist die Verwandlung (Transmutation) der Materie, die auf ihren Urzustand (prima materia, lat.: erste Materie) zurückgeführt und in eine neue Form gebracht werden soll. Ziel der verschiedenen alchemistischen Operationen ist die Herstellung von Silber oder Gold bzw. des Steins der Weisen, der auf die Materie übertragen, „projiziert“ wird und diese zu Gold transmutiert. Die alchemistische Sicht der prima materia beruht auf der aristotelischen Entelechie (griech.: Verwirklichung der in einem Seienden angelegten Gestaltmöglichkeiten) der Dinge, die nach immer vollkommeneren Formen streben, und auf vorsokratischen Vorstellungen eines unbestimmbaren Urstoffs (Anaximander) und der vier Elemente. Weitere Einflüsse in der Alchemie sind ägyptische Mythen (Isis/Osiris mit ihrem Zyklus von Tod und Wiedergeburt]]), die babylonische Astrologie (Planetensymbole) und die > Gnosis (Erlösung der Materie).
In Europa wurde im 13. Jh. die Alchemie durch A. Magnus und R. Bacon in die Scholastik integriert und umfasste als ganzheitliche Wissenschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit Religion, Wissenschaft und Kunst gleichermaßen. In der Renaissance setzte sich die Integration christlicher Symbole in die Alchemie weiter fort, neuplatonische und gnostische Denktraditionen unterstrichen ihre geistige Dimension.
Mit den Erfolgen der Naturwissenschaft verlor die Alchemie im 18. Jh. an Bedeutung, um im 20. Jh. aufgrund ihrer tiefenpsychologischen Dimension neu entdeckt zu werden. In ihrer Bemühung um die Verwandlung der Metalle und Herstellung von Heilmitteln (Elixier des ewigen Lebens) ist die Alchemie der Vorläufer der heutigen Chemie und Pharmazie, als hermetische Philosophie (> Hermetik) hat sie die Vervollkommnung des Adepten zum Ziel (das „philosophische Gold“, der > Stein der Weisen). Oft sind aber Transmutation der Metalle, Erlösung der Natur und spirituelle Läuterung des Adepten untrennbar miteinander verbunden. Der Alchemist versucht sich in Leiden, Tod und Auferstehung der für ihn beseelten Materie imaginativ einzufühlen (Parallelen zur mystischen bzw. schamanistischen Initiation vgl. Eliade, 1961, 1975, 1980). Seine Vorstellungskraft, die „imaginatio vera et non fantastica“ (> Imagination), welche die Materie in eine neue Form (informatio) überführen soll, nimmt sich die Wachstums- und Wandlungsprozesse in der Natur zum Vorbild und ahmt sie im alchemistischen hermetischen Gefäß nach. Die Laborarbeit bedarf einer spirituellen Disziplin durch Meditation, Lektüre und Gebet (ora et labora) und göttlicher Inspiration und Zustimmung ("deo concedente").
C. G. Jung sieht in der Alchemie ein „wahres Schatzhaus der Symbolik“ (Jung, GW 14/1, S. XVII) und eine historische Entsprechung für innere, unbewusste Erfahrungen. Anhand umfangreichen Traummaterials weist Jung die Analogie der Symbolik (> Symbol) des > Individuationsprozesses zur alchemistischen Bilderwelt nach (Jung, GW 12). Er geht von einer unbewussten Identität des Alchemisten mit dem Stoff aus, in den dieser sein Unbewusstes projiziert. Der > Stein der Weisen ist deshalb ein Symbol des > Selbst und weist zudem einige Parallelen zur Gestalt Christi auf. Dieser habe aber nur den Menschen, nicht die Natur erlöst. Die Alchemie will in der Nachfolge Christi dieses Erlösungswerk vollenden und die in der Materie gefangene Weltseele (anima mundi) bzw. den Geist Mercurius (> Hermes-Mercurius) befreien. Für Jung ist die Alchemie eine hermetische Unterströmung des Christentums, die dessen dunkle Seite, die abgespaltene Physis verkörpert. Das Opus ist so „eine untere Entsprechung der oberen Mysterien (Auferstehung Christi), ein sacramentum nicht des väterlichen Geistes, sondern des mütterlichen Stoffes.“ (Jung, GW 16, § 533).
C. G. Jungs jahrzehntelange intensive Beschäftigung mit der Alchemie ist um die Gegensatzproblematik (> Gegensatz > Polarität) zentriert. Die Psychologie der > Übertragung (Jung, GW 16) veranschaulicht er mit zehn alchemistischen Emblemen, welche die Heilige Hochzeit (> Hierosgamos) mit anschließendem Tod und Auferstehung (> Wiedergeburt) des Hermaphroditen als gemeinsamen Dritten darstellen. Die Beziehung zwischen dem Alchemisten und der „soror mystica“ (lat.: mystische Schwester; > Heiratsquaternio soll die bewussten wie unbewussten Beziehungsvorgänge, vor allem die Vereinigung und Trennung der im analytischen Prozess projizierten, gegengeschlechtlichen Persönlichkeitsanteile (> Anima/Animus) > Syzygie veranschaulichen (> Übertragung/Gegenübertragung). Das „Mysterium Coniunctionis“ (lat.: Geheimnis der Vereinigung der Gegensätze; > Coniunctio/Mysterium Coniunctionis) gipfelt in der Erfahrung der einen Wirklichkeit (> Anthropos > Einheitswirklichkeit > Unus mundus) jenseits des Gegensatzes von Materie und Geist (Jung, GW 14).
Literatur: Edinger, E. (1990): Der Weg der Seele; Franz, M. -L., v. (1978): Aurora Consurgens; Jung, C. G.: GW 10, 11, 14; Franz, M. -L., v. (1979): Alchemy; Mc Lean, A. (2000): Alchemy Website; Odajnyk, W. (1993): Gathering the Light; Raff, J. (2000): Jung and the alchemical imagination.
Autor: M. Krapp