Übertragungsformen
Keyword: Übertragungsformen
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Definition: Die bewussten und unbewussten Verflechtungen von Patient und Analytiker - die [Übertragung und Gegenübertragung - innerhalb der analytischen Situation können sehr vielschichtig sein und bedürfen einer je individuellen Betrachtungsweise (> Beziehungsquaternio > Beziehung, therapeutische). Zur besseren Orientierung können gewisse typische Formen dieser Prozesse unterschieden werden. (vgl. Jacoby, 1993)
Voraussetzung für die Wirksamkeit von Therapie ist ein genügendes Maß an Vertrauen des Patienten in die berufliche Kompetenz und ethische Glaubwürdigkeit (> Ethik > Ethik, therapeutische) des Analytikers (> Wirkfaktoren, psychotherapeutische). Auch der Therapeut hat eine entsprechende Selbstprüfung vorzunehmen, inwiefern sich seine > Persönlichkeit und Vorgehensweise vorwiegend günstig auf den jeweils Hilfesuchenden auswirken könnte (> Heiler, verwundeter > Schatten, therapeutischer). Es geht zunächst also um gegenseitige Prüfung, in die selbstverständlich bereits Übertragungsmomente einfließen, die aber eine reale Voraussetzung zum Aufbau einer genügend stabilen Arbeitsbeziehung ausmacht (> Set > Setting).
Die Arbeitsbeziehung (> Arbeitsbündnis) wird im Laufe des analytischen Prozesses in leichterem oder schwererem Grade gefährdet durch Inhalte des > [[Unbewussten, z. B. illusionäre Wünsche oder fantastische Erwartungen an den Analytiker, die enttäuscht werden müssen. Auch Ängste vor Abhängigkeit (> Autonomie > Symbiose) mit den entsprechenden Ambivalenzgefühlen treten öfters auf, oder Hassgefühle (> Aggression > Hass) auf die "Mächtigkeit" (> Macht > Minderwertigkeitsgefühl) des Therapeuten, usw. Hier ist die Fähigkeit zur > Realitätsprüfung gefragt: Inwiefern ist der Patient fähig, den Therapeuten zwar zu erleben, als ob er Mutter (> Mutterarchetyp), Vater (> Vaterarchetyp), idealer Geliebter, mächtiger Verfolger usw. wäre und zugleich das Wissen aufrechtzuerhalten, dass es sich in Wirklichkeit um den Therapeuten handelt, mit dem die Bedeutung solch emotionsgeladener Fantasien besprochen werden können und sollen.
Information: Es geht zentral um die Unterscheidung zwischen illusionären und wahnhaften Formen der Übertragung, wobei diese Übergänge oft fließend sind. Jegliche Übertragung birgt gewisse illusionäre Verzerrungen der Wahrnehmung des Analytikers und seines Verhaltens in sich, im Sinne projektiver (> Projektion) komplexbedingter (> Komplex) Erwartungen. Bei der illusionären Form sind letztere flexibel einer jeweiligen Deutung zugänglich, die bewusstseinsfördernde Wirkung (> Bewusstsein) haben kann. Wahnhafte Formen der Übertragung finden sich bei Psychosen und paranoiden Zuständen. Es können aber auch Episoden festgefahrener, wahnhafter Übertragung in sonst nicht psychotischen Personen auftreten, die jeglicher Deutung unzugänglich sind. Z. B. ist in einem konkreten Fall eine Patientin der festen Überzeugung, der Therapeut würde sie durch Schmeichelei von ihrem eigenen Weg abbringen. Deutung oder Besprechung dieser Idee ist nicht möglich, weil jegliche Äußerung des Therapeuten stets nur die Überzeugung der Patient bestärkt, dass er schmeichelnd alles auf seine Mühle lenken wolle.
In einer solchen Situation ist auch die Gegenübertragung zu beleuchten. Es geht hier zunächst um die Selbstbefragung des Therapeuten: Könnte diese Überzeugung der Patient einen Kern Wahrheit beinhalten? Trägt er vielleicht selber unbewusst etwas dazu bei, dass sie so erlebt? Kann es z. B. sein, dass er mit seiner jeweiligen Deutungsmethode unbedingt Recht haben muss und sie mit zugewandter Überzeugungskraft - also Schmeichelei - durchsetzen will? Dann wäre in diesem Vorgang eine illusionäre Gegenübertragung zu diagnostizieren: das unbewusste Bedürfnis des Therapeuten, stets recht zu haben und der "Mächtige" gegenüber der Patientin zu sein. Illusionäre Gegenübertragung bedeutet also Projektion unbewusster Bedürfnisse, Ängste etc. auf den Patienten. Diese Form der Gegenübertragung hat meist schädliche Auswirkung und muss in der Supervision angegangen werden.
In bestimmten Fällen kann illusionäre Gegenübertragung auch wahnhaft werden, wenn deren Inhalt beim Therapeuten zur unverrückbaren Überzeugung wird, wobei der subjektive Standpunkt des Patienten gänzlich außer Acht fällt. Jung hat auch vom gemeinsamen Unbewussten (> Participation mystique) gesprochen. Heute wird der Begriff der "Intersubjektivität" diskutiert. (vgl. Stolorow u. a., 1987) Hier ist der Ort der syntonen Gegenübertragung (vgl. Fordham, 1957): Der Analytiker nimmt aus seinem eigenen Unbewussten Inhalte wahr, die im Unbewussten des Patienten eine Rolle spielen. Auf dieser Ebene findet größte gegenseitige Beeinflussung statt, die letztlich den Wandlungsprozessen in der Analyse zugrunde liegt. (vgl. Jung, GW 16) Indem sich Patient und Analytiker - bei aller Aufrechterhaltung kritischer Ich-Funktionen - seelisch aufeinander einlassen, kann es zu tiefen, therapeutisch fruchtbaren Austauschprozessen kommen.
Literatur: Cremerius, J. (1982): Psychoanalyse - jenseits von Orthodoxie und Dissidenz; Dieckmann, H. (Hrsg.) (1980): Übertragung und Gegenübertragung in der Analytischen Psychologie; Jacoby, M. (1993): Übertragung und Beziehung in der Jungschen Praxis.
Autor: M. Jacoby