Ödipuskomplex: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Ödipuskomplex

Links: > Geschlechtsidentität > Mutterkomplex > Komplex > Vaterkomplex

Definition: Anhand des > Mythos des König Ödipus (nach dem Drama von Sophokles) entwickelt S. Freud sein klassisches Modell (> Triebentwicklung, Phasen der) der Erklärung der intrapsychischen Konfliktsituation (> Konflikt) des 5 bis 6-jährigen Kindes in Auseinandersetzung mit seinen Inzestwünschen (> Inzest > Inzestmotiv, symbolisch), die der Erlangung seiner > Geschlechtsidentität dienen. Freud versteht vor dem Hintergrund der Triebtheorie "den Traum mit der Mutter sexuell zu verkehren" und, damit verbunden, sich des Vaters als Rivalen durch dessen Tötung zu entledigen (vgl. Freud, GW. 2/3, S. 270) als "Schlüssel" zur Tragödie in der männlichen Ich-Entwicklung. Die starke Konzentration von Gefühlen und die heftige Ambivalenz der Trieb- und Affektregungen (> Affekt > Emotion > Instinkt) in diesem Zusammenhang lassen Freud 1910 in Anlehnung an Jungs Studien (> Assoziationsexperiment) von einem > Komplex sprechen. Nach der Definition Freuds werden verschiedene neurotische Phänomene wie z. B. hysterische Sexualstörungen (> H. > Sexualität) zwangsneurotische Symptome und Charakterzüge, Minderwertigkeitsgefühle (> Minderwertigkeitsgefühl), phallisch-narzisstische Überheblichkeit (> Narzissmus), ständiges Konkurrieren müssen, Masochismus auf die nicht ausreichende Bewältigung des Ödipuskomplexes zurückgeführt. Der Ödipuskomplex wird von Freud nicht nur als der gewichtigste Komplex der Kindheit (> Kindheit/Kindheitsphasen), sondern auch als der Kernkomplex der > Neurose überhaupt bezeichnet.

Information: Freud unterscheidet den Ödipuskomplex des Jungen von dem des Mädchens. Der Junge gerät durch seine Inzestliebe zur Mutter in > Rivalität zum Vater und muss nun dessen reale oder auf ihn projizierte Rache fürchten. Aufgrund seiner unbewussten Angst vor der > Kastration und um seine männliche Existenz zu retten, unterdrückt der Junge schließlich seine sinnlichen Wünsche gegenüber seiner Mutter sowie seinen > Hass auf seinen Vater. Häufig kommt ihm zu Hilfe, dass er mit dem Vater auch positive Erfahrungen verbindet, er ihn ja auch liebt. Die Lösung des Konfliktes bietet sich ihm in einer > Identifikation mit dem Vater an: so zu werden wie dies bewunderte und geliebte Vorbild, das er als Grundlage seines > Ideal-Ich verinnerlicht. Aber auch die aggressive, verbietende Seite des Vaters, sein "Inzestverbot" (> Inzestmotiv, symbolisch) und die Autorität des Vaters oder der > Eltern wird internalisiert und zum Kern des kindlichen Über-Ichs (> Über-Ich). Unter dessen Einfluss werden die sexuellen Inzestwünsche verdrängt, die zärtliche Bindung an die Mutter darf bestehen bleiben. Letztlich geht der Ödipuskomplex am Kastrationskomplex zugrunde.

Der Ödipuskomplex beim Mädchen stellt sich für Freud so dar, dass sich das Mädchen aufgrund seiner als mangelhaft erlebten Penis-Ausstattung enttäuscht und gekränkt von der Mutter als der Verursacherin des Mangels zurückziehe. Es wende sich werbend dem Vater zu, in der Hoffnung, von ihm in gleicher Weise geliebt zu werden wie die Mutter und von ihm ein Kind zu bekommen. Im Unbewussten bestehe die symbolische (> Symbol) Gleichung Penis gleich Kind, sodass diese Wunschfantasie dem Mädchen helfe, den Penismangel zu verschmerzen. Die geliebte und bewunderte Mutter wird vom Mädchen in der Fantasie herabgesetzt und (zumindest vorübergehend) weggewünscht.

Den von Jung vorgeschlagenen Begriff des Elektrakomplexes, mit dem die unterschiedliche Entwicklung der Geschlechter hätte bezeichnet werden sollen, lehnt Freud ab. Das Konzept des Penisneides wird früh kritisiert. Eine Revidierung der Annahmen Freuds über die Psychologie des Mädchens und der Frau wie auch über die zentrale Bedeutung des Ödipuskomplexes setzt verstärkt ab den 60er Jahren ein. Eine zentrale Rolle spielt in den neueren Auffassungen nun die Triangulierung (> Triade/Triangulierung).

Freud, so schreibt Jung (Jung, Briefe 2, S. 151), gebühre die Ehre, den ersten > Archetyp entdeckt zu haben, den Ödipuskomplex.

Allerdings sieht Jung im Ödipuskomplex nur eine wichtige archetypische Konstellation von vielen anderen und er lehnt die Vorstellung ab, dass beim Kind der Wunsch nach tatsächlicher sexueller Vereinigung im Spiel sei. Vielmehr sei der Ödipuskomplex als ein Gesamtkomplex von gefühlsbetonten Abhängigkeiten des Kindes anzusehen, bei dem das Schwergewicht weit eher auf den Regungen von Besitzenwollen, Anklammerung, Eifersucht und Neid, als auf einer sexuell relevanten Fixierung liege.

Die Mutter habe in der frühen Mutter- Kind -Beziehung vor allem "die Bedeutung eines schützenden, umgebenden, ernährenden Wesens, das aus diesen Gründen lustvoll ist" (Jung, GW 4, § 345). Die auftretende Eifersucht stamme nicht primär aus dem Sexualgebiet, sondern stehe überwiegend mit einem "Futterneid" in Verbindung, auch wenn es eine keimende Erotik durchaus gebe. Was Freud als inzestuöse Bindung bezeichnet, erkennt auch Jung als wichtigen Tatbestand der Kindheit. Jedoch sind die Schlüsse, die er aus der Verhaftung des Kindes an die Persönlichkeiten der Eltern zieht, wesentlich andere (> Inzest > Inzestfantasie > Inzestsymbol).

Vonseiten der Analytischen Psychologie werden - zusammengefasst - drei Einwände gegen die Überbetonung des Ödipuskomplex in der klassischen > Psychoanalyse erhoben:

1. Weder der Mensch noch der Mythos können allein aufgrund der sexuell-inzestuösen > Libido verstanden werden. Der Mythos selber ist u. a. im Eigentlichen auch Geschichte eines Machtkomplexes (> Macht). Seine historischen Wurzeln führen zurück in die Zeit der Auseinandersetzung zwischen > Matriarchat und > Patriarchat und in die männlich-weibliche Konfliktdynamik (> Feminismus > Männliches und Weibliches Prinzip > Bewusstsein, matriarchales > Bewusstsein, patriarchales) 2. Zum Ödipuskomplex-Motiv gehören eine Vielzahl anderer Helden-Motive (> Heldeninzest > Heldenmythos > Heros-Prinzip) und die ödipale Dynamik ist nur eine von vielen. Dieckmann (1984) beschreibt, dass im Vordergrund des psychodynamischen Geschehens heutiger Analysen weniger die Angst vor dem strafenden Vater stehe, sondern die viel tiefere und beunruhigendere Angst vor dem Verschlungenwerden durch die negativen Seite des mütterlichen Archetyps (> Mutterarchetyp > Mutterkomplex). Das steht in Zusammenhang mit der > Regression der Libido, so wie C. G. Jung sie versteht (> Inzest, matriarchaler > Inzest, uroborischer). Je stärker die Isolation des Menschen in unserer > Gesellschaft ist, desto intensiver kann kompensatorisch im Unbewussten die regressive Sehnsucht entstehen, in den Schoß der großen Mutter Natur zurückzufinden (> Individualität > Kollektivpsyche). 3. Da der Ödipuskomplex auf dem Modell der europäischen Kleinfamilie und dem strengen Inzesttabu zwischen Eltern und Kindern der abendländischen Kultur basiert, ist er nicht allgemeingültig für alle Kulturen, sondern spezifisch für unsere patriarchale Kultur. Die typische Dreieckskonstellation zwischen Mutter, Vater und Kind kommt in anderen Kulturen nicht in der Form zum Tragen, dennoch hat Freud seine Überlegungen verallgemeinert.

Literatur: Bischof, N. (1985): Das Rätsel Ödipus; Dieckmann, H. (1984): Der Ödipuskomplex in der Analytische Psychologie C. G. Jungs; Mertens, W. (1996): Entwicklung der Psychosexualität und Geschlechtsidentität.

Autor: A. Kuptz-Klimpel