Bewusstseinsentwicklung: Mythologische Stadien: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr

Keyword: Bewusstseinsentwicklung: Mythologische Stadien

Links: > Bewusstseinsentwicklung: Allgemeine Stadien > Bewusstseinsentwicklung: Kindliche Stadien > Bewusstseinsentwicklung: Weibliche Stadien > Bewusstsein, matriarchales > Bewusstsein, patriarchales > Bewusstsein, schöpferisches > Individuation > Individuationsprozess: Erste Lebenshälfte > Individuationsprozess: Zweite Lebenshälfte

Definition: Auf der Grundlage der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) und anhand einer vergleichenden Betrachtung der Symbolik (> Symbol) der Religionen und Mythologien (> Religion > Mythos) unterschiedlicher Kulturkreise unternimmt E. Neumann den Versuch, archetypische Stadien (> Archetyp) der Bewusstseinsentwicklung (> Bewusstsein) zu beschreiben. (vgl. Neumann, 1949 a). Er geht dabei davon aus, dass in der ontogenetischen Entwicklung des Ich-Bewusstseins (> Ich) des Einzelnen die gleichen archetypischen Stadien zu finden sind, welche auch innerhalb der Menschheit die Entwicklung des Bewusstseins bestimmt haben. Die Bewusstseinsentwicklung des Menschen spiegelt sich in seinen Mythen. Erst in einer Zusammenschau der kollektiven Entwicklung der Menschheit mit der individuellen Entwicklung des Ich-Bewusstseins wird für Neumann ein Verständnis der seelischen Entwicklung im Ganzen und der Individualentwicklung (> Individualität > Individuation) im Einzelnen möglich.

Information: Die mythologischen Stadien der Bewusstseinsentwicklung beginnen mit dem Schöpfungsmythos. Die vorherrschende Symbolik ist die der unbewussten Ursprungseinheit, des vollkommen Runden, des Gegensatzenthaltenden, des > Uroboros (Kreisschlange). Welt und > Psyche sind hier noch eins, es ist noch kein reflektierendes Ich-Bewusstsein vorhanden, aber durchaus schon ein Ich-Keim. Das allmähliche Herauslösen aus der unbewussten > Identität mit der uroborischen > Einheitswirklichkeit symbolisiert sich in der mythischen Gestalt des Sohn- und Jünglings-Geliebten, der sich zunehmend dem noch übermächtigen Einfluss der Welt des Unbewussten (> Unbewusstes) und des Großen Weiblichen (> Mutter, Große) widersetzt (vgl. > Inzest). Durch die Unterscheidung zwischen > Subjekt und > Objekt, Bewusstem und Unbewusstem – mythologisch gesprochen der Trennung der Ureltern (> Weltelterntrennung/Trennung der Ureltern) – werden Gegensätze erfahrbar, die sich im Mythos, beispielsweise in der Trennung zwischen Himmel (> Logos-Prinzip) und Erde (> Bios-Prinzip), Tag und Nacht, Licht und Dunkel, Außen und Innen, Weiblich und Männlich, Gut und Böse, darstellen.

Am Ende dieser Phase tritt eine Schwerpunktverschiebung ein. Der Mensch steht nun in der Mitte der Welt. Damit beginnt das Stadium des > Heldenmythos. Die Geburt des Ich-Komplexes (> Ich-Komplex) und des Ich-Bewusstseins (> Ich-Bewusstsein) in der Persönlichkeit spiegelt sich im Mythos, in der Geburt des Helden, wider. Die weiteren Etappen der Heldenreise – Mutter- und die Vatertötung, der > Drachenkampf mit dem Ziel, die Gefangene zu befreien und die schwer erreichbare Kostbarkeit, den Schatz, zu finden – symbolisieren die zunehmende Ich-Bewusstseins- und Persönlichkeits-Differenzierung (> Differenzierung), die – nach einer Phase der > Verdrängung und Abwertung der unbewussten Dimension – in einer jetzt bewussten und schöpferischen Beziehung zum > Selbst und zum Unbewussten hin gipfelt.

Der Heldenmythos entwickelt sich zum Wandlungsmythos. In diesem stellt sich der ganzheitliche, schöpferische Mensch (> Ganzheit > Schöpferisches) dar, der in Übereinstimmung mit den transpersonalen Aspekten (> Transpersonale Psychologie) seines Wesens lebt.

Die mythologischen Bilder interpretiert Neumann dann im zweiten Teil seines Werkes psychologisch im Hinblick auf die archetypisch angelegte Entwicklung des Ich-Bewusstseins aus dem Unbewussten, die Differenzierung der weiteren Persönlichkeitsinstanzen (> Orientierungsfunktionen > Schatten, > Anima/Animus: Klassische Auffassung), sowie in Hinblick auf die gesunden und pathogenen Krisen (> Krise) von Individuum, Kultur und > Gesellschaft. Das individuelle Ich und Bewusstsein entstehen aus der unbewussten > Kollektivpsyche und können somit ohne sie nicht existieren. In wechselseitiger Beziehung mit und zur Welt und sozialen Gruppe, zum > Körper und zum Unbewussten differenziert sich das Ich-Bewusstsein aus den, im Ganzheitsselbst, angelegten Ich-Keimen, welches final (Finalität) durch die archetypisch, in allem Lebendigen, angelegten Prozesse des > Automorphismus und der > Zentroversion gesteuert wird. Je früher die psychische Entwicklungsstufe berührt ist, umso mehr ist es noch mit dem Körperverbunden. das > Selbst (> Selbst, primäres/Körperselbst) der frühen Entwicklung ist ein Körperselbst, in dem Körper und Psyche als untrennbare Einheit erlebt werden. Der Körper ist zunächst unbewusst ‚psychifiziert‘ (> Psychifikation), weshalb alle Körpervorgänge auch symbolische Bedeutung haben. Mit zunehmender Entwicklung entsteht ein Ich-Bewusstsein, das einen Körper besitzt (und nicht ein Körper ist).

Damit geht eine Differenzierung der > Ich-Selbst-Achse einher. Das Selbst errichtet sich im Ich eine „Filiale“ (> Filialisierung des Ich). Neumann sieht darin eine Tendenz des Selbst, sich zu gestalten, sich als Gegenüber zu erleben, sich gleichsam zu spiegeln (> Anthropozentrismus). Zentroversion, Automorphismus, Differenzierungsprozesse und Sozialisation bringen über die Reifung und Übung von psychischen und körperlichen, durch die Entwicklung und Übung verstärkter aggressiver Energien, über Rationalisierungsprozesse (> Rationalisierung) und andere psychische Abwehrvorgänge (> Ent-Emotionalisierung > Personalisierung, sekundäre) einen > Ich-Komplex hervor, der sich als eigenständiges psychisches Zentrum erlebt.

Unter dem Einfluss des jeweils vorherrschenden Kulturkanons bilden sich jetzt im Laufe der weiteren Entwicklung die Persönlichkeitsinstanzen von > Persona > Schatten Animus und Anima (Anima/Animus: Klassische Auffassung) > Individuationsprozess: Erste Lebenshälfte) Das kollektive Unbewusste (> Unbewusstes, kollektives) wird in der > Adoleszenz erneut belebt, der psychische und körperliche Organismus strukturieren sich um, die Beziehung zur > Familie und zur > Gesellschaft und die Anforderungen verändern sich, und im dialektischen Prozess (> Synthese) von inneren und äußeren Faktoren, verändert sich dann auch das Ich-Bewusstsein. Der junge Mensch entwickelt sich zum Erwachsenen, die undifferenzierten Persönlichkeitsinstanzen werden zunehmend integriert (> Integration). Es erfolgt, bedingt auch durch die typischen biologischen und sozialen Aufgaben (> Geschlecht), eine relativ starke Trennung zwischen Ich-Bewusstsein und unbewussten Selbstanteilen, die, sowohl kollektiv wie auch individuell gesehen, zu einer Spaltung mit entsprechenden Störungen, Krisen Krisen (> Krise) und Erkrankungen führen können. Im späteren Erwachsenenalter, etwa ab der zweiten Lebenshälfte, geht es dann um Überwindung dieser Trennung oder Spaltung. Das, was C. G. Jung als Individuationsprozess beschreibt (> Individuationsprozess: Zweite Lebenshälfte), beschreibt E. Neumann als Notwendigkeit der schöpferischen Erneuerung durch eine Hinwendung des Ich-Bewusstseins zum Selbst (> Bewusstsein, schöpferisches). Möglich wird das durch eine Wiederbelebung der emotionalen Komponente, die Aufhebung der sekundären Personalisierung und die Bewusstwerdung und neue Erfahrung des > Selbst, das nun als eigentliches Zentrum der Persönlichkeit erlebt wird.

Literatur: Neumann, E. (1949 a): Ursprungsgeschichte des Bewusstseins.

Autor: H. Stark-Völz